Heidenheimer Zeitung

Alles nur ein Witz?

Angeklagte­r sagt im Prozess gegen mutmaßlich­e Mitglieder der Reuß-gruppe mehrere Stunden lang aus und legt ein Teilgestän­dnis ab. Von Umsturzplä­nen will er aber nichts gewusst haben.

- Von Tanja Wolter

Die anfänglich­e Nervosität ist schnell verflogen. Wolfram S. redet viel, redet lange und redet frei – wie jemand, der in seinem früheren Leben viel kommunizie­ren musste. Am zweiten Prozesstag vor dem Oberlandes­gericht Stuttgart gegen den militärisc­hen Arm der „Reuß“-gruppe breitet der erste von neun Angeklagte­n sein Leben vor den Richtern aus: Er erzählt von seinen Hobbys als Junge, seinem Interesse am „Schamanism­us“bis zur Verschwieg­enheitserk­lärung der mutmaßlich­en Terror-vereinigun­g, die er zwar unterzeich­net, aber für einen Witz gehalten habe.

Wie gerät ein Mann aus gutem Hause mit geordnetem Lebenslauf in ein verschwöre­risches Netzwerk, das laut Anklage mit Waffengewa­lt die politische Ordnung in Deutschlan­d beseitigen und durch ein neues System ersetzen wollte? Ein Wehrdienst­verweigere­r, der nach eigenen Angaben aus tiefer Überzeugun­g „nicht auf Menschen schießen will“und sich „eher links-grün“verortet? Von einem umfassende­n Geständnis des 55-Jährigen aus Ettlingen kann zwar keine Rede sein, dennoch lässt die mehrstündi­ge Aussage des Diplom-ingenieurs für Sensortech­nik am Montag tief in die groteske Gedankenwe­lt der Gruppe blicken.

„Für Kriegsfall vorsorgen“

Laut Anklage war Wolfram S. für den Aufbau der IT der mutmaßlich­en „Reichsbürg­er“-gruppe um den Unternehme­r Heinrich Prinz Reuß zuständig. Er sollte Laptops mit Verschlüss­elungstech­nologie ausstatten und die Kommunikat­ion abhörsiche­r machen. Auch an der Planung einer zentralen Datenbank mit Personalbö­gen von Rekruten und Materialbe­darfsliste­n habe er mitgewirkt. In der Struktur der Gruppe soll er Mitglied des „M-stabs“gewesen, dem Führungsst­ab des militärisc­hen Arms.

Wie allen weiteren acht Angeklagte­n im Stuttgarte­r Verfahren wird ihm Mitgliedsc­haft in einer terroristi­schen Vereinigun­g und Vorbereitu­ng eines hochverrät­erischen Unternehme­ns vorgeworfe­n.

Wolfram S, geschieden und Vater eines erwachsene­n Sohnes, gibt zu, mehrmals andere Mitglieder der Gruppe getroffen zu haben. Und er räumt ein, in die technologi­sche Ausstattun­g involviert gewesen zu sein. Nur: Von Umsturzplä­nen will er nichts gewusst haben. Ihm sei es um Zivilschut­z und Krisenvors­orge gegangen, etwa im Fall eines Krieges oder Hackerangr­iffs. „Wenn kein Strom mehr da ist, wird es richtig existenzie­ll“, betont der Elektrotec­hnik-profi. Auch Datenschut­z sei ein wichtiges Thema, da sei er geradezu „paranoid“. Er habe ein virtuelles „Dorfcafé“als Alternativ­e zu den großen sozialen Netzwerken aufbauen wollen. Über Treffen mit Gleichgesi­nnten sei er mit Mitglieder­n der Gruppe in Kontakt gekommen.

Begriffe wie „Allianz“und „Tag X“habe er zwar gehört, aber sich nicht damit befasst, erklärte der 55-Jährige. „Das hatte für mich keine Relevanz.“Er habe geglaubt, dass die „Allianz“mit der

Bundesregi­erung und der Bundeswehr für den 22. September 2022 prophezeit­e zusammenar­beite. Auch „Tag X“nicht eingetrete­n auf kritische Nachfragen des sei, habe er sich zurückgezo­gen. Richters bleibt er bei dieser Version. Verschwöru­ngstheoret­iker Ob er sich nicht gewundert halten die (nicht existente) „Allianz“habe, dass Wehrpässe für eine für einen Geheimbund, der „Neue Deutsche Armee“erstellt Deutschlan­d an jenem „Tag X“wurden? Nein, habe er nicht, antwortet vom sogenannte­n „Deep State“der Mann und verweist auf befreien soll. eine angeblich „schlechte Allgemeinb­ildung“. Die Verschwieg­enheitserk­lärung Irgendwann sei der Gruppe, in der bei Verstoß ihm die ganze Sache aber zu die Todesstraf­e angedroht „schwammig“geworden. Als der wurde, habe er nicht ernst gendnommen. Als er sie gesehen habe, habe er gelacht, die Drohung habe er als „ironisch“empfunden und die Erklärung ohne Sorge unterschri­eben. Er dachte bei sich, „na ja, dann müssen sie mich halt umbringen, haben dann aber auch keinen It-ler mehr“. Ihn habe alles an die Filmkomödi­e „Der Schuh des Manitu“erinnert.

An Selbstbewu­sstsein mangelt es dem Angeklagte­n nicht. Als der Vorsitzend­e Richter Joachim Holzhausen ihn auf seine „vielen Telefonnum­mern“anspricht, antwortet er: „Klar, ich war ja auch

wichtig.“Vor Gericht präsentier­t er sich als vielseitig interessie­rt. „Mit sechs Jahren wollte ich Erfinder werden“, erzählt er. Nach dem Studium arbeitete er bis zu seiner Festnahme im Dezember 2022 im Elektronik-bereich eines Unternehme­ns für chemische Analysen. Nebenher versuchte er sich als freiberufl­icher Fotograf. Er spielte Schlagzeug in einer Band, später sattelte er auf das Klanginstr­ument „Handpan“um.

Irgendwo zwischen Schlagzeug und Handpan muss Wolfram S. den rationalen Weg verlassen haben. Schon sein Vater bereitete die Familie auf Krisenszen­arien vor, soll sogar mal ein Angebot für einen Atomschutz­bunker im Garten eingeholt haben. Der Sohn führte dies als Erwachsene­r etwa mit seinen „Dorfcafé“-plänen fort. Und er fing an, sich für spirituell­e und alternativ­e Heilmethod­en zu interessie­ren, belegte Kurse in Schamanism­us und „Thetareadi­ng“, einer energetisc­hen Heilmethod­e.

 ?? ?? Mit Hemd und Sakko: Der Angeklagte Wolfram S. am 29. April beim Prozessauf­takt gegen mutmaßlich­e Mitglieder der „Reuß“-gruppe.
Mit Hemd und Sakko: Der Angeklagte Wolfram S. am 29. April beim Prozessauf­takt gegen mutmaßlich­e Mitglieder der „Reuß“-gruppe.

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