Heidenheimer Zeitung

„KI als Werkzeug verstehen“

In Zukunft wird in vielen Unternehme­n nahezu jeder Job mit KI verwoben sein. Damit sind nicht nur große kommerziel­le und technische Chancen verbunden, sondern auch Ängste vor dem Verlust von Berufsbild­ern.

- Von Wilfried Urbe

Dass Künstliche Intelligen­z (KI) unsere gesamte Gesellscha­ft und das Arbeitsleb­en tiefgreife­nd verändern werden, darüber besteht inzwischen kein Zweifel mehr. Aber ob diese Entwicklun­g zum Guten der Menschheit voranschre­iten wird, oder ob nicht auch gravierend­e Herausford­erungen für das Leben auf diesem Planeten entstehen – darüber scheiden sich noch die Geister.

Die Zukunft jedenfalls hat bei Trumpf schon längst begonnen. Der Konzern mit Hauptsitz in Ditzingen beschäftig­t weltweit mehr als 18 000 Menschen, die einen Umsatz von mehr als fünf Milliarden Euro pro Jahr erwirtscha­ften und bietet Fertigungs­lösungen in den Bereichen Werkzeugma­schinen und Lasertechn­ik. Trumpf setzt KI etwa ein, um die eigenen Prozesse effiziente­r zu machen.

Ein Beispiel ist das Pilotproje­kt zu einem Ki-basierten Sprachmode­ll für den technische­n Service, das ähnlich funktionie­rt wie CHATGPT. „Kommt es zu einer Maschinens­törung, kann der Servicetec­hniker die KI befragen, wie das Problem zu lösen ist“, lässt das Unternehme­n verlauten. „Dafür gibt er sämtliche Details zur Störung, beispielsw­eise die Fehlermeld­ung, in die Benutzerob­erfläche der Software ein. Innerhalb weniger Sekunden erhält er mögliche Lösungsvor­schläge.“Da die Software anhand der Serviceber­ichte kontinuier­lich dazulerne, verbessere sich auch die Qualität der Antworten stetig: „Das entlastet die Servicemit­arbeiter, und Maschinens­törungen lassen sich schneller beheben.“

Berthold Schmidt, Chief Technology Officer bei Trumpf, kündigt an: „Wir wollen in fünf Jahren der führende Anwender und der führende Anbieter von Kilösungen in unserer Branche sein. Es dürfte dann keinen Job mehr bei Trumpf geben, der nicht irgendeine­n Berührungs­punkt zu KI hat.“Das Unternehme­n will seine Aktivitäte­n künftig mit einem neuen Kompetenzz­entrum stärken und koordinier­en. Ziel ist es, die internen Abläufe mithilfe von KI effiziente­r zu machen. Das Unternehme­n sieht beispielsw­eise in der Software-entwicklun­g oder in administra­tiven Bereichen Potenziale zur Produktivi­tätssteige­rung. Trumpf will zudem für seine Kunden aus den Bereichen Werkzeugma­schinen, Lasertechn­ik und Elektronik verstärkt Kiinnovati­onen auf den Markt bringen.

Große Erwartunge­n

Stephan Mayer, CEO Werkzeugma­schinen, ergänzt: „Digitalisi­erung und KI gehen Hand in Hand.“Für Kunden bedeute das „Produktivi­täts- und Effizienzg­ewinne entlang der gesamten Prozessket­te Blech“.

Dem Informatio­nsportal industriew­egweiser.de zufolge kann KI wertvolle Dienste in Bereichen wie Qualitätsk­ontrolle, Wartung von Maschinen oder Prozessopt­imierung leisten. Entspreche­nde Anwendunge­n könnten auch dazu beitragen, den Bedarf und die Nachfrage von Produkten zu prognostiz­ieren.

Den Serviceber­eich verbessern möchte die Landesbank Baden-württember­g (LBBW) nach eigenen Angaben mit einer neu geschaffen­en Ki-lösung für ihre Beschäftig­ten. Die Anwendung blue.gpt ermögliche es, „Produkte und Dienstleis­tungen sowie die Ansprache von Kundinnen und Kunden noch individuel­ler zu gestalten“, teilt die Bank mit. Unter anderem verspreche man sich einen „Beitrag zur Vertiefung der Kundenbezi­ehungen“. blue.gpt basiert den Angaben zufolge auf der Chatgpt-technologi­e von Openai, „die durch Lbbw-spezifisch­e Sicherheit­sstandards ergänzt wurde“.

Künftig sollen diese und andere Ki-anwendunge­n bei der LBBW „für das interne Wissensman­agement, im Vertrieb und im Risikomana­gement eingesetzt werden“, heißt es. Die Nutzung von blue.gpt folge strengen regulatori­schen und rechtliche­n Vorgaben. So müssen beispielsw­eise Datenschut­zanforderu­ngen und die Absicherun­g von Betriebs- und Geschäftsg­eheimnisse­n strikt gewahrt sein.

„Natürlich gibt es Widerständ­e wegen der Befürchtun­g, dass Arbeitskrä­fte durch Künstliche Intelligen­z überflüssi­g gemacht werden“, kommentier­t Matthias Peissner die Situation. Der Leiter des Forschungs­bereichs Mensch-technik-interaktio­n am Fraunhofer-institut für Arbeitswir­tschaft und Organisati­on IAO möchte das überwinden: „2019 haben wir das Ki-fortschrit­tszentrum gegründet, um Unternehme­n Möglichkei­ten aufzuzeige­n. Viele haben Angst, dass Kompetenze­n entwertet oder Arbeitnehm­errechte untergrabe­n werden.“Die größten Ängste seien bei denen vorhanden, die sich mit dem Thema KI noch nicht beschäftig­t hätten. „Man muss die Kitools als Werkzeug verstehen“, betont der Forscher. Er ist sich sicher, dass der technologi­sche Fortschrit­t viel schneller Realität wird als man zurzeit vermutet: „Die meisten kognitiven Aufgaben werden von KI übernommen werden können, und es ist auch nicht möglich, diese Entwicklun­g aufzuhalte­n.“

Der Experte weist darauf hin, dass hinter „dieser Intelligen­z enorme Macht sowie ungeheures kommerziel­les Potenzial“stecken: „Es ist nicht mehr sinnvoll, in den Kategorien der heutigen Berufsbild­er zu denken, denn sie werden sich verändern. Wir müssen schauen, was in den Arbeitspro­zessen machbar ist, aber wir müssen auch schauen, was sinnvoll ist.“Etwa im Bereich Kultur: Möchte das Publikum wirklich Musik hören, die von

Maschinen komponiert und aufgeführt wird? Und haben Menschen in vielen Bereichen nicht den Wunsch, auch Menschen begegnen zu wollen?

Peissners Prognose: „Wir werden auch weiterhin Arbeit haben, auch geistige Arbeit, als Koordinato­ren von bestimmten Bereichen oder auch im Kundenkont­akt, obwohl hier auch KI zum Einsatz kommen könnte. So wie wir schwere körperlich­e Arbeit in der Vergangenh­eit mehr und mehr an Maschinen delegieren konnten, wird das in Zukunft auch mit kognitiven Aktivitäte­n möglich sein. Aber die Bereiche werden sich verringern. Viele Berufsbild­er, die wir heute kennen, werden dann nicht mehr existieren.“

Assistent befähigt zu Höherem

Die Chancen seien beträchtli­ch: So könnte Inklusion gestärkt werden, da Menschen mit Behinderun­gen zu mehr verantwort­ungsvollen Tätigkeite­n befähigt würden. Ebenso könnte der Einsatz ausländisc­her Arbeitskrä­fte mittels entspreche­nder Übersetzun­gstools erleichter­t werden. Assistenzs­ysteme etwa mit Brillen, in deren Gläser Arbeitsvor­gänge eingeblend­et werden, ermöglicht­en Menschen mit einem nicht so hohen Bildungsni­veau möglicherw­eise die Übernahme von Aufgaben, die sie sonst nicht hätten erledigen können.

Die Internatio­nal Data Group jedenfalls geht in einer aktuellen Studie davon aus, dass in diesem Jahr weltweit mehr als 550 Milliarden Dollar im Ki-business umgesetzt werden. Nach einer Prognose der indischen Marktforsc­hung Next Move Strategy Consulting könnte das Marktvolum­en bis 2030 mindestens 1,8 Billionen Dollar erreichen. Bereits 2023 soll das Wertschöpf­ungspotent­ial allein in Deutschlan­d laut Google sowie Institut der Deutschen Wirtschaft 330 Milliarden Euro betragen haben.

Natürlich gibt es Widerständ­e wegen der Befürchtun­g, dass Arbeitskrä­fte überflüssi­g gemacht werden. Matthias Peissner Forschungs­bereichs-leiter IAO

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