Heuberger Bote

Ein kritischer Freund Deutschlan­ds

Zum Tod des großen amerikanis­chen Historiker­s Fritz Stern

- Von Barbara Miller

- Er war überzeugte­r Amerikaner. Doch die Geschichte des Landes, das er als Zwölfjähri­ger mit seinen Eltern verlassen musste, weil sie Juden waren, wurde zu seinem Lebensthem­a. Fritz Stern war einer der besten Kenner der historisch­en Entwicklun­g Deutschlan­ds im 20. Jahrhunder­t. Bis zum Schluss war er auch ihr kritischer Begleiter. Fritz Stern ist am Dienstag in seiner New Yorker Wohnung gestorben, drei Monate nach seinem 90. Geburtstag.

In seinem letzten Interview äußerte sich der Historiker besorgt über das Erstarken rechter Kräfte in Europa. „Ich glaube, wir stehen vor einem Zeitalter der Angst, der weit verbreitet­en Angst, der von rechts aus gesehen politisch ausgenutzt­en Angst. Und man merkt ja schon am Beispiel von Polen, wie zerbrechli­ch die Freiheit ist. Es ist ein Schock, mit welcher Schnelligk­eit in Polen ein autoritäre­s System errichtet wird.“

Flucht vor Verfolgung 1938

Wie schrecklic­h Diktaturen sind, hat Fritz Stern am eigenen Leib erfahren. In seiner Autobiogra­fie „Fünf Deutschlan­d und ein Leben“, 2007 im Beck-Verlag erschienen, beschreibt er sehr anschaulic­h, wie illiberale Traditione­n gepaart mit Rassismus eine Gesellscha­ft vergiften und Menschen zerstören. Fritz Stern stammt aus einer Familie angesehene­r Wissenscha­ftler in Breslau. Die Mutter war promoviert­e Physikerin, der Vater Medizinpro­fessor. Der Nobelpreis­träger Fritz Haber war Sterns Taufpate. Die Familie war wohlhabend – bis zur Emigration 1938. Eindrucksv­oll, dabei wie in seinen wissenscha­ftlichen Werken ganz nüchtern, beschreibt Stern, wie dem Mord an den Juden der Raub ihres Eigentums vorausging. Sterns engste Familie konnte sich in die USA retten. Doch viele Mitglieder wurden in den Konzentrat­ionslagern umgebracht. Die Sterns mussten in New York wieder bei null anfangen: Der Vater bekam keine Zulassung als Mediziner. Die Mutter gründete eine Montessori-Schule und veröffentl­ichte wissenscha­ftliche Werke zur Pädagogik. Der junge Fritz begann ein Studium der Geschichte an der Columbia University in New York.

Wiewohl er an vielen renommiert­en Hochschule­n im In- und Ausland unterricht­ete, blieb Stern doch immer der Columbia verbunden, an der er 1953 mit einer Arbeit über „Kulturpess­imismus als politische Gefahr“promoviert worden war. Wie auch in seinen späteren Studien kam Stern zu dem Schluss, dass der Nationalso­zialismus auch auf ein Versagen des Bildungs- und Großbürger­tums zurückging. Die gesellscha­ftlichen Eliten seien vom nationalis­tisch-konservati­v-rassistisc­hen Gedankengu­t des 19. Jahrhunder­ts geprägt gewesen. Deutschlan­d sei damals wirtschaft­lich stark und wissenscha­ftlich führend gewesen. Es hätte eine Chance gehabt zu einer liberalen, fortschrit­tlichen Entwicklun­g. Doch dem stand ein antimodern­es Denken entgegen.

Stern widmete sein Forscherle­ben der Frage nach den Ursachen des Nationalso­zialismus. Das führte zunächst zum Ersten Weltkrieg, dann zurück zur Kaiserzeit: 1968 erschien auf Deutsch „Bethmann Hollweg und der Krieg. Die Grenzen der Verantwort­ung“. Zehn Jahre später folgte „Gold und Eisen. Bismarck und sein Bankier Bleichröde­r“. Zeitlebens beschäftig­te ihn das Verhältnis von Juden und Nicht-Juden und was es für die deutsche Geschichte bedeutet hat.

Stern blickte jedoch nicht nur zurück. Er beobachtet­e die Politik in Europa und besonders in Deutschlan­d mit kritischem Blick. Schon 1954 kam er an die Freie Universitä­t Berlin für eine Gastprofes­sur, 1966 an den Bodensee an die Universitä­t Konstanz.

Zu jener Zeit war er bereits Berater des amerikanis­chen Außenminis­teriums. Später sollte ihn die britische Premiermin­isterin Margaret Thatcher fragen, ob Großbritan­nien der Wiedervere­inigung Deutschlan­ds zustimmen könne. In einem Interview mit der Zeitschrif­t „Stern“von 2007 erinnert sich der Historiker an die Zusammenku­nft 1989 auf dem Landsitz Chequers: „Sie hörte uns sehr lange zu. Ihr Misstrauen war ungeheuer groß. Sie fürchtete, dass ein vereintes Deutschlan­d erneut das mächtigste Land in Europa sein werde. Sie fragte sogar, wann die Deutschen wieder gen Osten marschiere­n würden.“Überzeugt hätten er und seine Kollegen die Eiserne Lady nicht. Sie habe lediglich unter dem Druck der USA der Wiedervere­inigung zugestimmt. Er selbst versuchte immer, an das neue Deutschlan­d zu glauben. Er habe die neue deutsche Republik begrüßt, „mit großem Vertrauen und kleinem Unbehagen“, wie er später sagen wird.

Die Stimme des bedeutends­ten US-amerikanis­chen Historiker­s deutscher Geschichte wurde stets auch außerhalb enger universitä­rer Zirkel gehört – und geschätzt. 1984 zeichnete ihn die Universitä­t Tübingen (zusammen mit Hans Jonas) mit dem Leopold-Lucas-Preis aus. 1994 bekam er den Orden Pour le mérite, 1999 den Friedenspr­eis des Deutschen Buchhandel­s. In der „Schwäbisch­en Zeitung“zeigte sich der Berichters­tatter tief beeindruck­t von der Rede des damals 73-jährigen Geschichts­wissenscha­ftlers: „Seine Rede (...) war ein weiterer Beleg für die dynamische Verbindung von universell­er Gelehrthei­t, fesselnder Analyse und glänzender Rhetorik. Hinzu kam bei dieser wahren Stern-Stunde in der Paulskirch­e aber noch die Dimension einer zutiefst humanen Friedferti­gkeit.“

Stern selbst berichtet, wie er seinen Hass auf Deutschlan­d abgelegt hatte, als er 1954 Zeuge der Gedenkfeie­rn für die Opfer des 20. Juli 1944 wurde. Im Jahr 2010 hielt er selbst die Rede bei den Feiern im Bendlerblo­ck. Es war auch eine Rede über sein Selbstvers­tändnis als Historiker: „Das Menschlich­e, das immer individuel­l ist, mit historisch­em Wissen zu verbinden, ist stets eine Herausford­erung, und ganz besonders wenn es Menschen betrifft, die man als Menschen bewundert, deren Denken und Verhalten uns aber gelegentli­ch fremd vorkommt.“

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FOTO: ARNO BURGI Der Historiker Fritz Stern 1926 – 2016.

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