Noch gibt es zu wenige Organspender
Rund 30 Prozent der Menschen im Landkreis besitzen einen entsprechenden Ausweis
- Am 4. Juni ist der Tag der Organspende. Europaweit liegt Deutschland im unteren Mittelfeld, was die Zahl der Transplantationen pro Jahr betrifft. Redakteurin Ingeborg Wagner sprach mit Dr. Ramazan Celik über die Situation in der Region. Der Anästhesist und Intensivmediziner ist der Transplantationsbeauftragte des Tuttlinger Kreiskrankenhauses.
Dr. Celik, wie viele Patienten des Kreiskrankenhauses Tuttlingen stehen auf der Warteliste für eine Organtransplantation?
Nur sehr wenige, bedingt durch die Größe unseres Hauses. Tatsächlich haben wir durch unsere Dialyseabteilung vor allem Nierenkranke, die auf eine Transplantation hoffen. Diese wird aber nicht vor Ort durchgeführt, sondern in der Regel in der Universitätsklinik in Freiburg, da Tuttlingen akademisches Lehrkrankenhaus der Uniklinik ist. Im Transplantationszentrum Freiburg warten ungefähr 300 bis 400 Menschen auf eine Spenderniere. Eine Organentnahme können wir auch in Tuttlingen durchführen, die Transplantation aber nur in den Zentren.
Wie viele Organspender gibt es pro Jahr im Klinikum Tuttlingen im Schnitt?
Das ist sehr selten. In den vergangenen Jahren haben wir nur eine Organspende realisieren können. Der Spender konnte gleich drei Patienten helfen.
Heißt das, dass Sie als Transplantationsbeauftragter nicht sehr viel zu tun haben?
Nein, ganz im Gegenteil: Es gibt sehr viel Arbeit, denn die wichtigste Hürde, die es zu überwinden gilt, ist die Aufklärung zu diesem Thema. Ich organisiere Themenabende, lege Broschüren auf und aus, auch außerhalb der Klinik. Zudem bin ich Ansprechpartner für jeden, der eine Frage zur Organspende hat. Und ich arbeite ja vor allem als Anästhesist im OP und auf der Intensivstation.
Woran liegt diese geringe Zahl an Organspenden hier im Klinikum?
Das größte Problem für uns ist, dass nur sehr wenige Menschen einen Organspendeausweis haben oder nur wenige Angehörige einer Organspende zustimmen. Die Statistik sagt, dass 2014 nur rund 35 Prozent Prozent der Bundesbürger im Besitz eines Organspendeausweis waren. Davon haben manche auch einer Organspende widersprochen. Ich gehe davon aus, dass sich im Landkreis Tuttlingen 25 bis 30 Prozent der Einwohner für eine Organspende entschieden haben, auch wenn ich denke, dass diese Zahl hoch gegriffen ist.
Wie überzeugen Sie die Unentschlossenen? Die Skandale der vergangenen Jahre haben sicherlich nicht dazu beigetragen.
Das ist richtig. Allerdings hatten diese Skandale auch den Nebeneffekt, dass die Gesetze weiter verschärft wurden. Zwei Beispiele: Die Transplantationszentren werden nun in unregelmäßigen Zyklen ohne Voranmeldung kontrolliert. Zudem müssen mindestens drei Ärzte, davon einer, der mit dem Patienten zuvor nichts zu tun hatte, ihn begutachten, bevor er auf die Warteliste für eine Transplantation kommt. Ganz wichtig ist mir eines: Wir Ärzte werden jeden Patienten, der schwerverletzt oder schwerkrank eingeliefert wird, maximal versorgen. Priorität Nummer eins ist, sein Leben zu retten. Erst wenn wir sehen, dass alle Behandlungsmöglichkeiten voll ausgeschöpft sind, richten wir den Fokus auf eine mögliche Organspende.
Viele Menschen haben eine große Scheu davor, den Spenderausweis auszufüllen. Was sagen Sie denen?
Es ist ja so, dass die Voraussetzungen für eine postmortale Organspende ebenfalls verschärft wurden, zum Beispiel bei der Hirntodfeststellung. Diese müssen zwei Ärzte unabhängig voneinander bestätigen, beide müssen Fachärzte sein und Intensivmedizinerfahrung mitbringen. Darunter ein Facharzt für Neurologie oder Neurochirurgie.
Aus Datenschutzgründen dürfen Sie keine Zahlen aus der Region nennen. Wie sieht es bundesweit aus?
2015 standen rund 10 240 Menschen auf der Warteliste für ein Organ. Transplantiert wurde 3777 Mal, inklusive der Lebendspenden. Am häufigsten wurden Nieren transplantiert, rund 2200 Mal. Bei Nieren ist auch die Warteliste am größten.
Warum ist diese Zahl so hoch?
Wie gesagt: Zum einen gibt es recht viele Menschen, die nierenkrank sind. Zum anderen hält die Niere bei Verstorbenen außerhalb des Körpers am längsten durch und kann deshalb auch am weitesten transportiert werden. Nur Gewebe hält sich noch länger.
Wo sollte man seinen Organspendeausweis aufbewahren?
Am besten im Portemonnaie oder bei den anderen persönlichen Papieren. Bei einem Unfall oder einem Unglück schaut jeder Polizist dort nach. Doch auch wenn der Ausweis vorliegt, sprechen wir immer und in jedem Fall mit den Angehörigen. Eine Ausnahme ist natürlich, wenn es eine Patientenverfügung vorliegt, die ausdrücklich eine Organspende verneint. Diesen Willen respektieren wir.