Bahn-Chef Grube steigt aus
65-Jähriger tritt nach Streit mit Aufsichtsrat zurück – Stuttgart-21-Gegner schöpfen Hoffnung
BERLIN/STUTTGART (dpa/lsw) - Einer der größten Konzerne Deutschlands steht überraschend ohne Chef da: Bahn-Chef Rüdiger Grube ist im Streit um eine Vertragsverlängerung am Montag zurückgetreten. Vorübergehend übernimmt nun Finanzchef Richard Lutz. Ein Nachfolger des 65-Jährigen soll bald gefunden werden, wie die Bahn nach einer Aufsichtsratssitzung mitteilte. Einer der Favoriten ist der frühere Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU).
In der Sitzung waren Differenzen über die geplante Verlängerung für Grube zu Tage getreten. Dessen Vertrag lief noch bis Dezember. Angeblich warf Grube dem Kontrollgremium vor, sich nicht an Absprachen gehalten zu haben. Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) sprach anschließend von „wenig Einigungsbereitschaft auf beiden Seiten“und fügte hinzu: „Das ist in der Tat eine so nicht zu erwartende Wendung.“
Aus dem Umfeld des Aufsichtsrats war am Montag zu hören, Grube sei in der Sitzungsvorlage noch eine Vertragsverlängerung um drei Jahre bis Ende 2020 zugesichert worden. Der Vorstandschef habe dafür unter anderem auf eine Gehaltserhöhung verzichtet. In der Sitzung habe man ihm dann aber doch nur zwei weitere Jahre als Chef geben wollen.
Grube, seit 2009 Vorstandschef des Konzerns mit 300 000 Angestellten und rund 40 Milliarden Euro Umsatz, verlässt den Konzern inmitten einer großen Initiative, die Qualität, Kundenzahl und Ergebnis der Bahn deutlich verbessern sollte. Erst kürzlich hatte Grube das Programm „Zukunft Bahn“noch mit großen Worten zur Chefsache erklärt.
In Stuttgart löste der Rücktritt gemischte Reaktionen aus. Während die CDU-Fraktion im Landtag den Schritt Grubes mit Bedauern zur Kenntnis nahm, wittern die Gegner des Bahnhofsprojekts Stuttgart 21 Morgenluft. „Rüdiger Grube stand für Stuttgart 21, mit seinem Rücktritt ist auch S 21 am Ende“, sagte der Sprecher der Parkschützer, Matthias von Herrmann, am Montag. Ein neuer Bahn-Chef sei nun frei in der Bewertung des „milliardenteuren, verlustreichen und gefährlichen Prestigeprojekts“.
- Ein paar unentwegte Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 harrten an diesem Montag wieder einmal vor der Zentrale des Konzerns aus. Vor dem Eingang rollte der erste autonom fahrende Kleinbus „Olli“der Bahn auf und ab. Das sollte den drinnen zu einer Sondersitzung zusammengekommenen Aufsichtsräten signalisieren, dass die Bahn auf dem Weg in die Digitalisierung schon ein Stück weit vorangekommen ist. Das war auch das Hauptthema des Treffens der Kontrolleure. Am Rande sollte der Vertrag mit Vorstandschef Rüdiger Grube verlängert werden. Dafür war nach monatelangen Verhandlungen alles vorbereitet. Doch aus der Nebensache wurde plötzlich das Thema des Tages.
Denn Grube bat den Aufsichtsrat um eine sofortige Auflösung seines noch bis zum Jahresende laufenden Vertrags. Das Kontrollgremium entsprach der Bitte. Die Nachricht überraschte selbst enge Mitarbeiter des Vorstandschefs. Von „blanken Entsetzen“war zu hören. „Gestern Abend war doch alles klar“, wunderte sich ein Mitglied des Kontrollgremiums über die unerwartete Wendung. Nun wird Finanzvorstand Richard Lutz die Geschäfte des Konzerns mit weltweit rund 300 000 Beschäftigten leiten, bis ein Nachfolger gefunden worden ist.
Unüberbrückbare Differenzen
Anlass der spektakulären Entscheidung Grubes waren wohl die Vertragsmodalitäten, über die im Hintergrund schon monatelang gefeilscht wurden. Der Bahnchef wollte drei weitere Jahre die Geschicke der Bahn lenken. Und er pochte auf eine höhere Vergütung. Nicht des Geldes wegen, denn der Vertrag bringt ihm schon einen jährlichen Millionenbetrag ein. Grube wollte seine Leistung honoriert wissen. Anders gesagt, er zweifelte am Rückhalt des Aufsichtsrates für seinen Kurs. Wie aus Bahnkreisen verlautete, einigte man sich schließlich auf einen Mittelweg: Drei Jahre Vertragslaufzeit, aber keine Gehaltserhöhung. Am entscheidenden Sitzungstag war dann wohl nur noch von einer zweijährigen Verlängerung des Kontrakts die Rede. Daraufhin schmiss Grube die Brocken hin.
Die Rückendeckung durch den Eigentümer Bund war in den vergangenen Jahren schon spürbar gesunken. Vor allem der Verlust von 1,3 Milliarden Euro im Jahr 2015 missfiel dem Aufsichtsrat. Einen Eindruck des Vertrauensverlustes lieferte Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) während einer Bahnfahrt mit Grube und Journalisten. Forsch diktierte der Politiker den Medienvertretern drei Bedingungen für eine Vertragsverlängerung in die Blöcke. Die Bahn müsse wieder Gewinne erwirtschaften, pünktlicher fahren und bei der Digitalisierung vorankommen, womit vor allem ein funktionierendes WLAN in der zweiten Klasse der Fernzüge gemeint war. Pikanterweise saß Grube während dieses Vortrags nur eine Reihe weiter im Zug und bekam von der Aufgabenliste nichts mit. Rückendeckung sieht anders aus.
Die Vorgaben hat der bisherige Bahnchef dann noch erfüllen können. Rund 1,8 Milliarden Euro Gewinn vor Steuern und Zinsen stehen in seiner letzten Bilanz. Der Pünktlichkeitswert lag 2016 mit 79 Prozent nur wenig unter der Zielmarke von 80 Prozent. Und die Reisenden in der zweiten Klasse können jetzt auch während der Fahrt auf den meisten Streckenabschnitten im Internet surfen oder E-Mails abrufen. Was letzten Endes zu der Konfrontation geführt hat, die den Rücktritt auslöste, ließe sich nur spekulieren.
Aufschluss darüber könnte die Nachfolgeregelung geben. Der Verkehrsminister verspricht eine „zügige“Suche, will aber noch keine Namen nennen. Dabei steht ein Name schon lange für den Sprung an die Konzernspitze im Raum. Ronald Pofalla, der frühere Kanzleramtsminister und jetzige Politikvorstand des Unternehmens, gilt als aussichtsreicher Kandidat. Anfang 2015 wechselte der einstige CDU-Politiker nach einer Karenzzeit von einem Jahr auf den Managerposten bei der Bahn. Doch der Abgang Grubes könnte Pofalla einen Strich durch die Rechnung machen. Denn der Union wird im Wahljahr kaum an einer Debatte über Belohnungsposten für verdiente Parteikämpfer gelegen sein. Das Interesse an einem Rücktritt Grubes aus dieser Richtung erscheint daher gering.
Linke und Grüne fordern nun einen ausgewiesenen Bahnfachmann als neuen Bahnchef. Leicht dürfte die Suche danach allerdings nicht werden. Bundesweit gelten nur wenige Manager als geeignet für den Posten im Staatskonzern, der ein ganz anderes Anforderungsprofil mit sich bringt als bei einem normalen Unternehmen. Ein Bahnchef muss sich nicht nur um eine gute Bilanz kümmern, sondern auch eng mit der Politik zusammenarbeiten und in der Öffentlichkeit präsent sein. Grube konnte mit allen Beteiligten.
Doch er machte auch Fehler. Zum Beispiel nahm die Bahn die neue Konkurrenz der Fernbusse erst viel zu spät ernst. Die Leistungen auf der Schiene entsprachen auch nicht den Ansprüchen. Besonders die Pünktlichkeit ließ zu wünschen übrig. Grube riss das Steuer mit dem Programm „Zukunft Bahn“spät herum. Aber die Erfolge des Strategiewechsels sind erst in Anfängen sichtbar. Dazu wird dem Vorstand noch das finanzielle Desaster beim Bau des Projekts Stuttgart 21 angelastet. Kritiker fordern nun prompt, die Arbeiten an der Großbaustelle abzubrechen.