„Der Balkan ist der Abladeplatz der EU“
Boris Tadic, ehemaliger Präsident Serbiens, über Flüchtlingspolitik und Donald Trump
- Der Sozialdemokrat Boris Tadic war von 2004 bis 2012 Präsident Serbiens. Der 59-Jährige, geboren in Sarajevo, ist Psychologe. Am Freitag wird er beim Bodensee Business Forum in Friedrichshafen auftreten. Christoph Plate hat sich mit ihm unterhalten.
Präsident Tadic, kaum ist der neue US-Präsident vereidigt, scheint sich die Welt zu wandeln. Sieht man das auf dem Balkan auch so?
Der Sieg Trumps verändert die Stimmung in der internationalen Politik, auch in unserem kleinen Winkel der Welt. Der Balkan ist politisch sehr fragil, wir haben in den Kriegen der 1990er-Jahre schmerzhafte Erfahrungen gemacht, globale Politikwechsel haben hier unmittelbar Auswirkungen. Einige Politiker begrüßen Trump, sie erwarten, dass seine Präsidentschaft der Region gut tun würde. Ich bin da nicht sehr optimistisch.
Sie sind für eine EU-Mitgliedschaft Ihres Landes. Nun hat Trump gleich einmal die EU herabgewürdigt. Wittern die EU-Gegner in Serbien nun Morgenluft?
So ist es, nicht nur in Serbien, sondern auch in anderen Balkanstaaten. Trumps Einstellung zur EU ist nicht besonders hilfreich. Aber auch wenn die EU sich im Moment als unfähig erweist, Probleme zu lösen, bleibe ich beim proeuropäischen Kurs. Es gibt keine Alternative für den Balkan und für die EU. Überlegen Sie nur mal, wenn die EU auseinanderbricht, wird in Zukunft kein einziges europäisches Land auf dem Weltmarkt noch konkurrenzfähig sein. Die EUErweiterung ist derzeit die einzige Strategie, damit Europa weiter Einfluss in der Welt behält.
In Serbien ringen proeuropäische und prorussische Kräfte um die Oberhand. Wer wird gewinnen?
Es ist heute sehr schwierig zu sagen, wer für was steht. In der Regierung in Belgrad sitzen Parteien, die traditionell gegen die europäische Integration waren. Sie sind jetzt aber auf einmal aus taktischen Gründen dafür, wenn auch nur formell und nicht sehr überzeugend. Ich wünsche mir darum, dass die EU stärker an der Lösung der eigenen Probleme arbeitet, um sich attraktiver zu machen.
Angesichts der Probleme im Nahen Osten, scheint der Balkan gerade in Vergessenheit zu geraten.
Ja, nach der Integration Kroatiens wurde auch von Deutschland ein Moratorium bei der EU-Erweiterung erklärt. Europäische Staatsund Regierungschefs konzentrieren sich im Moment auf die Flüchtlingskrise anstatt auf die EU-Erweiterung. Dabei hängen die beiden Dinge miteinander zusammen. Der Westbalkan wird von der EU als eine Art Abladeplatz für Migranten betrachtet, gleichzeitig soll der Balkan die Interessen der EU verteidigen. Dabei kommen die Flüchtlinge aus der Türkei doch zunächst einmal in einen EU-Staat, nach Griechenland, und erst dann in den Westbalkan. Die Flüchtlinge auf dem Balkan zu parken, stellt ein gefährliches Versagen der Europäer dar.
In Bosnien und im Kosovo sind von Saudi-Arabien finanzierte radikale islamische Gruppen aktiv. Ist der radikale Islamismus eine Bedrohung für die Staaten des ehemaligen Jugoslawiens?
Eine der Schwächen westlicher Politik ist das fehlende Verständnis für den Islam als Kultur, als Religion und als Politik. Radikaler Islam in Europa ist nichts Neues. Immer wenn ich früher darauf hingewiesen habe, reagierten meine Amtskollegen gleichgültig. Der Islam an sich ist keine radikale Religion, die Krieg oder Gewalt predigt. Die Spielart des Wahabismus von der arabischen Halbinsel findet sich im Kosovo, in Bosnien, auch in einigen EU-Staaten. Und er kann zur ernsthaften Bedrohung für die europäische Sicherheit werden.
Die Westeuropäer verstehen den Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo nicht, den Streit um Grenzen und Minderheiten. Warum ist es so schwer, sich zu einigen?
Dieser Konflikt spielt sich zwar in Europa ab, aber er ist für Außenstehende tatsächlich schwer zu verstehen. Kosovo-Albaner haben ihre eigenen Interessen, Serben haben ihre. Unglücklicherweise hat der Westen seinerzeit nicht nach Lösungen gesucht, die allen Beteiligten dienen. Ich habe als Präsident Serbiens für Versöhnung gearbeitet, auch im Sinne der EU. Solange dieser Konflikt nicht gelöst ist, wird es keine Stabilität für die EU geben. Aber mit Nationalisten an der Macht kann man nicht wirklich an einer Versöhnung arbeiten. Dabei ist gerade die EU doch das beste Beispiel für einen erfolgreichen Versöhnungsprozess.
Sie werden am Freitag am Bodensee Business Forum teilnehmen und Kollegen wie Hamid Karzai aus Afghanistan, Christian Wulff aus Deutschland oder Werner Faymann aus Österreich treffen. Was erwarten Sie sich davon?
Diskussionen mit Kollegen sind immer wichtig, auch und gerade wenn sie aus einer fragilen Region kommen, wie mein alter Freund Karzai. Es ist gut, gemeinsam Ideen zu entwickeln, wie wir die aktuellen Probleme lösen können, von der Flüchtlingskrise bis zur neuen Weltpolitik unter Donald Trump. Wir leben nicht mehr in der gleichen Welt wie vor zehn Jahren. Und wir wissen nicht, wie diese Welt in noch einmal zehn Jahren aussehen wird. Umso wichtiger ist der Dialog.