Schuld und Sühne in Teheran
Asghar Farhadis „The Salesman“ist ein Film über Tugendwächter aller Art
Der neue Film des iranischen Autors Asghar Farhadi heißt „The Salesman“und ist einer jener fünf Filme, die um den Auslandsoscar wetteifern. Und er ist ohne Frage ein starker Konkurrent für Maren Ades „Toni Erdmann“. Doch nach Trumps Einreiseverboten hat der vielfach ausgezeichnete Regisseur Asghar Farhadi schon angekündigt, der Preisverleihung aus Protest fernzubleiben, ebenso wie seine Hauptdarstellerin Taraneh Alidoosti.
Der Titel bezieht sich auf Arthur Millers Theaterstück „Tod eines Handlungsreisenden“. Die Hauptfigur, Emad (Shahab Hosseini), probt dieses Drama gerade mit seiner Frau Rana (Taraneh Alidoosti). Es gibt aber auch deutliche Anspielungen auf die europäische Kultur: „The Salesman“erinnert an Bergmans Film „Szenen einer Ehe“und an Dostojewskis Roman „Schuld und Sühne“.
Der Film betont, während er seine Geschichte entfaltet, diverse Bezüge und Parallelen zwischen Kunst und Leben, zwischen gespielter Inszenierung auf der Theaterbühne und der Lebenswirklichkeit seiner Hauptfiguren. Emad und Rana haben endlich eine neue Wohnung gefunden. Aber die ist nicht nur einsturzgefährdet. Sie wurde zuvor von einer Prostituierten bewohnt.
Vielleicht hat der Überfall auf Rana damit zu tun. Sie wird in der eigenen Wohnung von einem Mann belästigt, der sie offenbar mit der Vormieterin verwechselt hat. Dieser Vorfall wird sich in die Beziehung dauerhaft einnisten, wird sie vergiften. Rana weigert sich, den Unbekannten anzuzeigen. Sie gibt vor, sich nicht zu erinnern und schweigt. Emad, der auch Lehrer ist, kann das nicht mit seinem Ehrgefühl vereinbaren. Er sucht den Mann, stellt ihn und schickt sich an, Rache zu nehmen, obwohl er sich wohl besser um seine Frau kümmern würde.
Der Film fragt: Wem hilft die Wahrheit, wenn dabei Existenzen zerstört werden?
Farhadi, ein großer Frauen-Regisseur, bezieht in diesem Film sehr deutlich Position: Unaufgeregt nimmt er Partei für Rana, gegen den aufgeheizten Furor der Selbstgerechten und die puritanischen Tugendwächter, die nur von Ehre, Werten und Traditionen reden, aber darüber die Menschen aus den Augen verlieren. Und er wendet sich gegen das gekränkte Ego des Mannes und das Grund-Misstrauen gegen Frauen in einem patriarchalischen Land.
Die Bezüge zur herrschenden Situation im Iran sind offensichtlich. Wer ein bisschen nachdenkt, und sich in Erinnerung ruft, dass Regisseur Farhadi seit fast zehn Jahren einen Teil des Jahres in Paris lebt, dem werden auch Parallelen zu Europa nicht entgehen. Denn auch dort wird die Freiheit durch Selbstgerechtigkeit, Puritanismus und Doppelmoral bedroht.
Als Innenansicht des Lebens im Iran ist auch dieser Film Farhadis wieder ein großer Schatz: Man nimmt teil am Alltag der urbanen iranischen Mittelschicht. Diese Leute sind gebildet, an Kultur interessiert, westlich orientiert und führen eine gleichberechtigte Ehe.
Aber in diesen normalen Alltag schleichen sich kleine Risse ein: Die Zensoren des Staates kommen bei den Theaterproben vorbei, eine Frau im Bus rückt von Ehad weg, weil er ihr angeblich zu nahe kommt. Und zur Polizei hat Rana kein Vertrauen, darum zeigt sie den Angriff nicht an.
Am Ende kommt es dann zu einem Showdown: Der Täter wird gestellt, Emad will ihn nicht etwa der Polizei übergeben, sondern ihn vor dessen Familie bloßstellen, und dadurch wiederum deren Familienehre treffen. Rana wird da wieder zum Objekt und erkennt den sadistischen Impuls in Emads Handeln. Der wird sie mehr treffen, als alles, was ihr vorher angetan wurde.