„So mancher Ankauf sorgte für einen Skandal“
Schweizer Privatsammlung gastiert in der Staatsgalerie Stuttgart – Kuratorinnen-Duo erläutert Ausstellung
- Van Gogh und Cézanne, Manet, Vallotton, Renoir – fast alle Vorreiter der Moderne gehören zu Sammlung, die das Schweizer Ehepaar Arthur und Hedy Hahnloser-Bühler von 1906 bis 1936 zusammengetragen hat. Ihre Kollektion postimpressionistischer Kunst ist von Freitag an unter dem Titel „Aufbruch Flora“in der Stirling-Halle der Staatsgalerie Stuttgart zu sehen. Danach geht die Sammlung nach Bern. Dort findet sie ein neues Zuhause. Der Stadt Winterthur fehlt das Geld zur Renovierung der Villa Flora, in der das Sammlerpaar einst gelebt hat. Antje Merke hat sich mit den beiden Kuratorinnen Neela Struck und Angelika Affentranger-Kirchrath über die Kollektion unterhalten.
Was ist das Besondere an der Sammlung Hahnloser-Bühler?
Angelika Affentranger-Kirchrath: Ich würde sagen, das Spezielle daran ist, dass das Ehepaar nicht retrospektiv, sondern gegenwartsbezogen gesammelt hat. „Il faut vivre notre temps“, war das Motto von Hedy Hahnloser-Bühler. Die beiden kannten auch die meisten ihrer Künstler persönlich und waren mit ihnen befreundet. Diese bewusste Beschränkung war vermutlich aber auch den Umständen geschuldet, dass die Impressionisten um die Jahrhundertwende schon zu teuer waren. Verbunden war ihre Sammlertätigkeit übrigens stets mit wegweisenden Anregungen für das damals noch recht kleine Winterthur. So mancher Ankauf wie etwa „La Blanche et Noire“von Félix Vallotton sorgte in der Stadt für heftige Diskussionen.
Eine Privatsammlung ist auch immer im Kontext ihrer Umgebung zu sehen. Wie vermitteln Sie in der Ausstellung den Zusammenhang von Bildern und Einrichtung, von Künstlern und dem Sammlerehepaar?
Neela Struck: Wir haben uns entschieden, ein privates Element in die Gestaltung zu integrieren – und zwar ein Originaltapetenmuster, das Hedy Hahnloser-Bühler entworfen hat. Sie hat ja die Zeichenschule für Kunst und Gewerbe in St. Gallen besucht und dort Ornamentzeichnen gelernt. Genau diese Tapete, die in der Villa Flora das Treppenhaus schmückt, taucht jetzt in der Ausstellung immer in den Durchgängen zwischen den einzelnen Räumen auf und sorgt für ein gewisses privates Flair. Passend dazu sind die Wandfarben, für die wir vier frische Töne wie beispielsweise grün oder violett ausgewählt haben, um die künstlerische Aufbruchsstimmung um 1900 herum zum Ausdruck zu bringen.
Wie viele Arbeiten aus der Staatsgalerie sind in die Ausstellung eingewoben?
Insgesamt sind es zehn Kunstwerke.
Wie ist die Schau gruppiert?
Sie ist nach Künstlern angelegt, allerdings durchbrochen von einzelnen Themenräumen. So sind zum Beispiel am Anfang erst einmal Werke von verschiedenen Künstlern zu sehen, darunter die „Flora“-Skulptur von Aristide Maillol, die bislang im Garten der Villa stand, sowie Porträts der Familie, die Vallotton im Laufe ihrer Freundschaft gemalt hat. Später folgt dann noch ein großer Saal mit Werken von Vätern der Moderne, wie Paul Cézanne oder Henri Matisse.
Was ist aus Ihrer Sicht ein Höhepunkt in der Ausstellung?
Also der Besucher darf sich auf Highlights wie Vincent van Goghs „Sämann“oder Edouard Manets „Amazone“freuen. Ich persönlich bin sehr glücklich darüber, dass wir aus einer Privatsammlung Pierre Bonnards „Promenade en mer“ausleihen durften. Das ist ein entzückendes Familienporträt der Hahnloser-Bühlers, das auf einer gemeinsamen Segelpartie mit dem Künstler in der Nähe von Cannes entstanden ist. Bonnard hatte sich lange geweigert, das Ehepaar mitsamt den Kindern auf Bestellung zu malen, während dieses Bild spontan zustande kam.
Das Ehepaar war – wie gesagt – mit den meisten Künstlern gut befreundet. Treibende Kraft aber war wohl vor allem die Kunsthandwerkerin Hedy, die darüber hinaus jeden Dienstagnachmittag bei schwarzem Kaffee zu hitzigen Kunstdebatten einlud und mit mutigen Vorstößen die konservative Kulturpolitik der Stadt Winterthur umkrempelte. Findet sich auch dieser Aspekt in der Schau wieder?
Ja, unbedingt. Die Details dazu erfährt der Besucher vor allem aus den Begleittexten sowie im Audioguide. So mancher Ankauf wie etwa die „Badende“von Vallotton war nämlich mit Diskussionen in Winterthur verbunden. Es waren übrigens auch Hahnloser-Bühlers, die dazu beigetragen haben, dass besagter Maler wiederholt in der Schweiz ausstellen durfte.
Das heißt: Das private hat das öffentliche Sammeln und Ausstellen befruchtet?
Genau. Man denke nur daran, wie viele Werke in der Staatsgalerie über mehrere Jahrzehnte auf private Initiativen zurückgehen. Dasselbe trifft auch auf die Situation um 1900 in Winterthur zu. Das wunderbare Engagement der beiden Kunstfreunde hat die Museumslandschaft der Stadt geprägt und wäre in ihrer heutigen Form ohne sie nicht denkbar. In der Ausstellung zeigt sich das beispielsweise an einem musealen Gemälde von Matisse aus unseren Beständen, das mit kleinen intimen Bildern aus der Sammlung des Ehepaars ergänzt wird.
Wache Zeitgenossenschaft ist allerdings begrenzt. So hatten die beiden Schweizer weder die Dadaisten, noch die Kubisten oder die Expressionisten im Blick. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Affentranger-Kirchrath: Das war eine ganz bewusste Entscheidung der beiden Sammler, sich auf die Nabis, die Fauves und einige Väter der Moderne zu beschränken. Die nachfolgenden Künstler waren ihnen letztlich zu modern. Von Picasso zum Beispiel haben sie einige grafische Blätter gekauft, aber er hat sie dann doch nicht so überzeugt, dass sie dabeigeblieben sind. Sie haben stattdessen lieber von ihren Künstlern Sammlungen in der Sammlung angelegt.