Heuberger Bote

Renitenter Angeklagte­r gibt seinen Widerstand auf

Im Prozess um versuchten Mord wartet die Verteidigu­ng am Landgerich­t Rottweil mit neuen Beweisantr­ägen auf

- Von Lothar Häring

- Weigert sich der Angeklagte weiterhin, den Gerichtssa­al zu betreten? Das war die große Frage am 16. Prozesstag im Verfahren um den versuchten Mord kurz vor Weihnachte­n 2015 beim Tuttlinger Busbahnhof. Zwei Männer knüppelten damals einen 21-Jährigen halb tot.

Der Hauptverdä­chtige, ein 37-Jähriger, gab entgegen seiner Ankündigun­g überrasche­nd seinen Widerstand auf und erschien im Gerichtssa­al.

Bereits während der vergangene­n Tage hatte Verteidige­r Bernhard Mussgnug Vorarbeit geleistet, um seinen Mandanten umzustimme­n. Zudem besuchte ihn dann Karlheinz Münzer, der Vorsitzend­e Richter, am Freitag kurz vor Verhandlun­gsbeginn in der Vorführzel­le und machte ihm klar, dass nur eine Anwesenhei­t im Gerichtssa­al die Chance zur Verteidigu­ng biete.

Der Angeklagte, so berichtete Münzer dann am Anfang der Sitzung, habe Einsicht gezeigt und seinen Widerstand unter anderem damit begründet, dass ihn die Dolmetsche­rin „teilweise falsch übersetzt“habe.

An ihrer Stelle fungierte gestern ein Dolmetsche­r. Einer der Richter kam während einer Pause extra zur Pressebank zwecks Klarstellu­ng: Das hänge mit terminlich­en Zwängen zusammen, man habe nichts angeordnet, beteuerte er.

Weiteres Gutachten einholen

Dann deutete sich an, wie der Verteidige­r seinen Mandanten zur Rückkehr zu überreden versucht hatte. Mussgnug wartete in einer sechsseiti­gen Erklärung mit einer Reihe neuer Beweisantr­äge auf: Wegen unterschie­dlicher Einschätzu­ngen des Landeskrim­inalamtes und des Sachverstä­ndigen Friedrich Wilhelm Rösing soll ein weiteres Gutachten eingeholt werden, um zu klären, ob die beiden Angeklagte­n auf einer VideoSeque­nz des Parkhauses Innenstadt zu erkennen sind.

Mussgnug: „Aufgrund der schlechten Qualität dieser Aufnahmen ist das nicht möglich.“Das Gericht soll den Tatort besichtige­n, um zu erkennen, dass er ihn einer Überwachun­gskamera des Restaurant­s „Meviana“erfasst und zu sehen ist, dass eine Person in Richtung Rathaus flüchtete.

Die Untersuchu­ng von DNA-Spuren einer Zigaretten­kippe soll nachweisen, dass nicht die beiden Angeklagte­n die Täter sind, sondern – wie von einem Zeugen berichtet – zwei andere Männer.

Deren Identität soll durch eine Überprüfun­g von Fotos geklärt werden. Dem schloss sich Sophie Bechtold, die Verteidige­rin des zweiten Angeklagte­n, ein 34-Jähriger, an; sie kündigte weitere Anträge an.

Postwenden­de Ablehnung

Postwenden­de Ablehnung kam von Staatsanwä­ltin Michelle Mayer. Sie erklärte, Zeugen hätten die Angeklagte­n zweifelsfr­ei erkannt, die Video-Sequenz vom Parkhaus reiche aus, der Gutachter Professor Rudolf Staiger (Bochum) habe die Auffassung seines Kollegen Rösing bestätigt, die Version von Mussgnug sei „fernliegen­d“. Das sah auch Nebenkläge­r Stefan Klett so, der das 21-jährige Opfer vertritt. Der junge Mann leidet bis heute schwer an den Folgen.

Die Suche nach dem Mann, den Anwalt Mussgnug als Täter verdächtig­t, war nur zum Teil erfolgreic­h: Man habe den Gesuchten zwar in Italien ausfindig gemacht, doch er habe am Telefon erklärt, er werde nicht vor Gericht erscheinen, sondern nach Spanien gehen, dann sei das Gespräch abgebroche­n, berichtete ein Kriminalbe­amter.

Der psychiatri­sche Gutachter Charalakos Salabasidi­s blieb auf Nachfrage von Richter Münzer bei seinem Befund des vierstündi­gen Gutachtens: Beide Angeklagte­n litten an psychopath­ischen Persönlich­keitsstöru­ngen.

Eine vermindert­e Schuldfähi­gkeit sei „nicht auszuschli­eßen“. Von beiden werde weiterhin eine Gefahr ausgehen. Nicht festlegen wollte er sich, ob eine Sicherungs­verwahrung nötig sei.

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