„Ich besitze kein Smartphone mehr“
Sänger Philipp Poisel spricht im Interview über sein neues Album und Amerika, das Leben und die Liebe
Natürlich haben wir daran gedacht, wie die politische Situation sein wird, wenn das Album erscheint. Meine CD und vor allem der Song „Mein Amerika“ist kein politisches Statement, es ist vielmehr eine Liebeserklärung an dieses Land und an all das, was es hervorgebracht hat. Das Freiheitsgefühl, das Amerika in mir auslöst, und die faszinierende Natur. All das ist nicht gleichzusetzen mit Trump, von dem ich mir den Traum nicht nehmen lassen wollte.
Was ist „dein Amerika“?
Als ich klein war, habe ich mir etliche amerikanische Sachen reingezogen. Angefangen bei Micky Maus auf dem Gameboy, die über die Rocky Mountains gehüpft ist über Wasserfälle und reißende Flüsse. Später dann amerikanische Serien wie „A-Team“, „Baywatch“oder „Knight Rider“. Amerikanische Künstler, wie Bruce Springsteen und sein Song „Streets of Philadelphia“, lassen mich träumen und staunen. Der Song hat eine Zeitlosigkeit, die ich mir auch immer für meine Musik gewünscht hätte.
Es ist sechseinhalb Jahre her, als dein letztes Album veröffentlicht wurde. Wie hast du dich musikalisch entwickelt?
Meine Band ist noch wichtiger geworden und so habe ich sie in meine Arbeit mit einbezogen. Ich wollte nicht wieder alleine mit meiner Gitarre dasitzen und Songs schreiben. Ein Album rauszubringen und den ganzen Prozess als Band zu erleben, das war mir wichtig.
Viele Fans schreiben in den sozialen Medien, dass dein neues Album elektronischer ist …
Ja, das verwundert mich. Elektronischer zu werden, war nicht meine Absicht. Das hat mich sehr überrascht. Aber es ist nichts Neues und eigentlich ja auch interessant, dass die Leute da draußen meine Musik unterschiedlich wahrnehmen. Ich kann damit leben, finde es aber schwierig, wenn manche dann das Alte vermissen und andere sagen, ich mache immer nur das Gleiche.
Wer beeinflusst dich für deine Musik?
Springsteen fasziniert mich. Seine Art, die Einsamkeit auszuleben und alleine zu Hause CDs aufzunehmen. Auf der anderen Seite aber so ein großartiger Rockstar zu sein. Er ist ein Riesen-Entertainer, der auf großen Bühnen steht. „Kings of Leon“begeistern mich auch krass. Der Sound und die Energie lassen mich staunen. Das ist eine richtige Band – richtige Profis, für die ich nur schwärmen kann.
Siehst du dich nicht als Profi?
Wenn ich „Kings of Leon“sehe, weiß ich nicht mehr so recht, ob wir Profis sind (lacht). Ich schwärme gerne für andere Künstler. Es macht schon Spaß, auch selber Fan zu sein.
Deine Single-Auskopplung heißt „Erkläre mir die Liebe“. Wer Philipp Poisel bei Google eingibt, stößt direkt auf diese Frage. Und was ist deine Erklärung?
Liebe kann nicht erklärt, sie kann nur gespürt werden. Den Song habe ich geschrieben, als ich verzweifelt war und vielleicht nach einer Erklärung gesucht habe. Ich wollte einfach spüren, was Liebe ist. Wenn man jemanden an seiner Seite hat, auf den man vertrauen kann, dann findet man auch in dunkelsten Zeiten einen Weg.
Wird die Liebe immer komplizierter?
In der digitalen Welt, in der jeder sehr leicht abgelenkt werden kann, verliert die Liebe ein wenig an Strahlkraft. Der Raum für Gefühle wird begrenzt. Ich besitze kein Smartphone mehr, weil ich den Kontakt zu mir selber dadurch verloren habe. Für mich ist es am wichtigsten, auf meine Gefühle zu achten und mich selber zu spüren. Erst dann kann ich Liebe und Sehnsucht und all das erleben.
Wie kommunizierst du ohne Smartphone?
Ich habe einen Laptop, der ist eine halbe Stunde am Tag an, dann klappe ich ihn wieder zu. Ich brauche das haptische, das echte Leben. Ich vermisse meinen Kassettenrekorder und ich hoffe, dass es noch lange eine Zeitung in Papierform geben wird. Das ist für mich nicht ersetzbar.
Im Song „Zum ersten Mal Nintendo“singst du über deinen Geburtsort sowie die Zeit, die du dort verbracht hast. Was sind die schönsten Erinnerungen?
Ich hatte damals keine Uhr. Früher bin ich einfach nach Hause gegangen, als es dunkel wurde. Das finde ich auch heute noch erstrebenswert.
Was können Erwachsene von Kindern lernen?
Am meisten von ihrer Unbeschwertheit. Mein utopisches Lebensziel ist, meine Uhr einfach wegzuschmeißen.
Von wem konntest du bislang am meisten fürs Leben lernen?
Von meinem Vater. Er ist mir ziemlich ähnlich. In ihm kann ich mich selber entdecken. Viel lernen konnte ich aber auch von der Einfühlsamkeit meiner Mutter.
Und musikalisch?
Von Herbert Grönemeyer. Ich frage mich immer, wie macht er das alles? Er sitzt am Klavier mit seiner charakteristischen Stimme, singt auf Deutsch und begeistert Riesen-Arenen. Ich schaue mir Konzerte an und lerne vom Profi. Herbert war immer für mich da. Als ich vor dem zweiten Album nicht weiterwusste, hat er mich sehr unterstützt.
Im Song „Roman“greifst du auch das Symbol „Bibel“auf. Bist du gläubig?
Ja, wenn ich bete dann meistens christlich. Es kann aber auch eine indianische Weisheit sein, die mir weiterhilft. Glaube hängt stark von der Herkunft ab. Ich bin mit dem Christentum aufgewachsen, es hat für mich aber keinen Absolutheitsanspruch. Oft finde ich die Antworten auf das Leben in der Natur. Wenn ich nachts in die Sterne schaue, dann weiß ich, wer ich bin.
Was sind Sehnsuchtsorte, von denen du träumst?
Einmal im Jahr will ich ans Meer fahren. Die Wärme der Sonne und den Wind mit seinem besonderen Geruch spüren. Aber auch Berge wecken meine Sehnsucht.
Was wäre dein Wunschtraum für die Welt?
Dass die Leute ihr Leben bewusst genießen können. Dass jeder machen kann, was er möchte. Dass niemand leiden muss. Viel Freiheit – und dass die Liebe nie verloren geht.