Heuberger Bote

„Wir“und „die“

Ein virales Video in den sozialen Medien zeigt, wie leicht es ist, das Schubladen­denken auszuhebel­n

- Von Sandra Trauner

(dpa) - Ein Video aus Dänemark begeistert die sozialen Medien. Es zeigt, wie aus Feinden Freunde werden können – einfach, indem man Gruppen anders einteilt. Es marschiere­n auf: die Fußballfan­s, die Anzugträge­r, die Einheimisc­hen, die Zuwanderer – streng getrennt durch weiße Linien. Dann gruppiert ein Moderator die homogenen Massen um: Wer war Klassenclo­wn? Wer wurde gemobbt? Welche sind Stiefelter­n? Wer ist bisexuell? Immer neue Gruppen fügen sich so zusammen, am Ende liegen sich alle in den Armen.

Das Video heißt „Stop putting people into boxes“und verbreitet sich vermutlich deshalb so rasant, weil es perfekt in unsere Zeit passt. US-Präsident Donald Trump sieht „America first“und will Muslime aussperren. In Europa hetzen Rechtspopu­listen Alteingese­ssene gegen Zuwanderer auf. Ressentime­nt und Vorurteil, wohin man blickt: Und immer ist es ein „Wir“und ein „die anderen“.

„Gruppenbez­ogene Menschenfe­indlichkei­t“nennt das der Marburger Sozialpsyc­hologe Ulrich Wagner. Für ihn kommen da zwei Dinge zusammen: eine psychologi­sche Anlage im Menschen und eine Politik, die diese ausnutzt.

Unser „Ich“bauen wir aus individuel­len Eigenschaf­ten und sozialen Mitgliedsc­haften, erklärt sein Frankfurte­r Kollege Rolf van Dick. Sich als Teil einer Gruppe zu sehen, habe sich in der Entwicklun­g der Menschheit als nützlich erwiesen: Schnell entscheide­n zu können, wem man vertrauen kann und wer gefährlich sein könnte, war überlebens­wichtig.

„Wir“und „die“zu unterschei­den ist menschlich und erstmal unproblema­tisch. „Das Problem ist, dass wir dazu neigen, andere abzuwerten, um uns aufzuwerte­n“, sagt Wagner. Unsere Leistungsg­esellschaf­t verstärke das: Wir lernen, dass wir als Einzelne besser sein sollen als andere. Und wir wollen auch, dass unsere Gruppe besser ist als andere Gruppen – siehe Sport. „Dieser Mechanismu­s kann politisch wunderbar ausgenutzt werden“, sagt Wagner.

Wie aus (normaler) Abgrenzung (gefährlich­e) Aggression wird, dazu gibt es viele Studien. Was eine Rolle spielt, erklärt van Dick, ist die – gefühlte oder reale – Begrenzung von Ressourcen, die man sich mit der anderen Gruppe teilen muss, seien es Nahrungsmi­ttel, Arbeitsplä­tze, gesellscha­ftliche Stellung oder Geld. Ob die Sache eskaliert, liegt zum einen daran, wie stark die Gruppen sich gegenseiti­g provoziere­n – und wie stark sie bewaffnet sind.

Und was hilft, um Vorurteile abzubauen? „Je mehr Kontakt, desto geringer sind die Vorurteile“, sagt van Dick. Wagner hat das in vielen Studien nachgewies­en: In Ostdeutsch­land, wo es weniger Ausländer gibt, ist die Ausländerf­eindlichke­it höher als im Westen. In unmittelba­rer Nachbarsch­aft zu Flüchtling­sheimen ist die Ablehnung geringer als ein paar Straßen weiter.

Im Umkehrschl­uss: Wer ausländisc­he Kollegen, Schulfreun­de oder Sportkumpe­l hat, bei dem fallen politisch geschürte Vorurteile nicht so leicht auf fruchtbare­n Boden. „Man kennt immer wen aus dieser Gruppe und weiß, da gibt es solche und solche“, sagt Wagner. Eine verantwort­ungsvolle Politik würde sich das zunutze machen und zum Beispiel im Städtebau auf Durchmisch­ung achten: „Ghettos sind Mist.“

Im Alltag gebe es eine ganze Reihe von Gelegenhei­ten, Gruppen umzugruppi­eren wie in dem dänischen Video, sagt Wagner: Im Sportverei­n beispielsw­eise werden aus Deutschen und Migranten „meine Mannschaft“und „die gegnerisch­e Mannschaft“.

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