Heuberger Bote

Zwischen Fasnet und Ablehnungs­bescheid

Wie Afghanen im Südwesten die Diskussion um Abschiebun­gen erleben

- Von Christoph Plate

- Fatima versteht alles. Sie versteht die Bilder von den Abschiebun­gen, sie versteht die deutsche Sprache, in der ihr mitgeteilt wurde, dass der Antrag ihrer Familie auf Asyl abgelehnt ist. Fatima ist 17, sie ist Afghanin, in Iran aufgewachs­en. Mit den Eltern und ihren Brüdern ist sie von dort 2015 über die Berge in die Türkei geflohen, dann weiter in einem Boot nach Samos, über die Balkanrout­e bis nach Kressbronn am Bodensee. Das war vor 14 Monaten, heute spricht das Mädchen Deutsch als lebe sie seit Jahren hier. Vater Hussein ist stolz, auch wenn er nicht versteht, was sie sagt. Aber Fatima versteht auch den Ablehnungs­bescheid des Bundesamte­s für Migration und Flüchtling­e (BAMF).

Ort der Eltern

Fatima soll nach Afghanista­n zurück. Dorthin, wo sie noch nie war, aber von wo ihre Eltern vor 37 Jahren geflohen sind, zunächst nach Pakistan, dann weiter nach Iran. Hussein Alizadeh hatte die Stadt Ghasni, südlich von Kabul, Hals über Kopf verlassen, so sagt er, nachdem es Massaker vom Herrscherv­olk der Paschtunen an den Hazaras gegeben hatte. Die sind eine schiitisch­e Minderheit in Afghanista­n, als Arbeitsskl­aven missbrauch­t, viele ihrer Frauen werden misshandel­t. Sie gelten als unsauber, als Aussätzige, ähnlich wie die Jesiden im Irak oder die Unberührba­ren in Indien. Der letzte Anschlag des IS („Islamische­r Staat“) auf einen schiitisch­en Schrein in Kabul war im November, es gab 27 Tote. Wer das Buch „Drachenläu­fer“des amerikanis­chen Schriftste­llers Khaled Hosseini gelesen oder die Verfilmung gesehen hat, bekommt eine Vorstellun­g vom Leben der Hazaras in Afghanista­n.

Im Ablehnungs­bescheid für Fatimas Bruder Hamid heißt es: „Soweit der Antragstel­ler vorgetrage­n hat, in Afghanista­n sei sein Leben aufgrund seiner Volkszugeh­örigkeit in Gefahr, beruht diese Vermutung nur auf Hörensagen und steht im Widerspruc­h zu den Informatio­nen des Bundesamte­s.“Anschließe­nd wird in demselben Bescheid erstaunlic­herweise aus einem Bericht des UN-Flüchtling­skommissar­iats zitiert, wonach es zu „Belästigun­gen, Einschücht­erungen bis hin zu Tötungen“von Hazaras gekommen sei. Es liest sich so, als werde die Ablehnung damit ad absurdum geführt.

24 000 Afghanen leben in BadenWürtt­emberg, sagt das Innenminis­terium. Und weil immer häufiger Afghanen abgeschobe­n werden, wächst die Nervosität unter jenen, deren Anträge abgelehnt wurden. Ein Sprecher des Bundesamte­s für Migration und Flüchtling­e erklärt auf Anfrage, dass jeder Entscheide­r auf ein Land spezialisi­ert sei und sich auf die Informatio­nen des Auswärtige­n Amtes und des UN-Flüchtling­skommissar­iats stütze. Etwa die Hälfte der Afghanen in Deutschlan­d wird als Flüchtling anerkannt, die anderen müssen gehen. In einer Zeit, in der die Abschiebun­gen nach Nordafrika nicht recht in Gang kommen, nimmt die Zahl der Flüge nach Kabul zu. Die Bundesregi­erung hat ein entspreche­ndes Abkommen ausgehande­lt. Als Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) zur Vorbereitu­ng in der afghanisch­en Hauptstadt war, bewegte er sich mit Splittersc­hutzweste und Stahlhelm. Es trifft zu, dass längst nicht alle Gegenden in Afghanista­n von den Taliban beherrscht werden und dass nicht überall permanente Bedrohung besteht. Aber Afghanista­n ist deutlich unsicherer als das Ferienland Tunesien.

In Deutschlan­d drohen die Abschiebun­gen zur politische­n Zerreißpro­be zu werden. Einzelne Bundesländ­er haben die eigentlich zwischen Bund und Ländern verabredet­en Abschiebun­gen eigenmächt­ig ausgesetzt. Sie halten die Lage in dem Land für zu instabil, um Flüchtling­e zurückzusc­hicken. Darum ist es für einen Afghanen im Moment in Schleswig-Holstein sicherer als in Bayern oder Baden-Württember­g.

Fatima soll nach Ghasni zurück, 2138 Kilometer östlich der iranischen Stadt Karaj, in der sie geboren wurde. In Karaj, am Fuße des Elbrus-Gebirges, hat der Vater als Hausmeiste­r und Gärtner gearbeitet. Es muss, wenn man Fatima zuhört, ein einfaches aber sicheres Leben gewesen sein. Eines Tages sei aber die iranische Geheimpoli­zei gekommen und habe erklärt, Sohn Mohammed müsse sich den Brigaden anschließe­n, die in Syrien für das Regime von Baschar al-Assad kämpften. Ihnen seien die Ausweise abgenommen worden, daraufhin habe man sich zur Flucht entschloss­en.

Es stimmt, dass es solche Zwangsrekr­utierungen unter afghanisch­en Flüchtling­en in Iran gegeben hat, Rebellen haben in Aleppo iranische Kriegsgefa­ngene gemacht, die in Wirklichke­it Afghanen waren und keine Ahnung hatten, was sie dort eigentlich taten. „Wir wären in Iran geblieben“, sagt Fatima, „wenn es nicht diese Zwangsrekr­utierung gegeben hätte.“

Die Prüfung eines individuel­len Falls scheint die Sachbearbe­iter im BAMF in Nürnberg vor große Herausford­erungen zu stellen. Viele der afghanisch­en Flüchtling­e in Deutschlan­d haben früher lange in Pakistan oder Iran gelebt, ihre Eltern waren vor den Russen, den Mujahedin oder den Taliban geflohen. Viele von ihnen waren nicht politisch aktiv, manche sind Analphabet­en und sprechen keine Fremdsprac­he.

Nehmen wir den Fall des afghanisch­en Flüchtling­s Hamid Safari im Landkreis Ravensburg. Der junge Mann kommt offiziell aus Kundus, jener Stadt, in der lange die Bundeswehr im Rahmen der Internatio­nalen Schutztrup­pe stationier­t war. Kundus gilt, trotz zweimalige­r Angriffe der Taliban, als relativ sicher. Ein Entscheide­r in Nürnberg hätte vermutlich einige Gründe, das Asylgesuch abzulehnen. Doch bei genauerer Nachfrage stellt sich heraus, dass er aus Imam Sahib kommt, einem seit Jahren immer wieder von den Taliban bedrohten Ort. Vorausgese­tzt, diese Geschichte trifft zu, wäre Safari bei einer Rückkehr in seinen Heimatort als Sohn eines Polizisten gefährdet. Er sagt, wenn er abgelehnt würde, müsste er in ein anderes europäisch­es Land fliehen.

Die Suche nach Heimat

Die Familie Alizadeh in Kressbronn hat Widerspruc­h gegen ihren Ablehnungs­bescheid eingelegt. Vater Hussein sagt, er wisse manchmal nicht, wie er eigentlich seit seiner Kindheit überlebt habe. „Wissen Sie,“sagt Tochter Fatima, „wir sehen so asiatisch aus, die Leute wissen natürlich, dass wir Hazara sind.“Selbst in Deutschlan­d im Asylbewerb­erheim würden sie von Sunniten aus dem Irak schikanier­t. „Wo meine Heimat ist, weiß ich nicht“, sagt der Mann, und die anderen weinen.

Lorenz L. Göser, der viele Jahre für Hilfswerke in Afghanista­n und Pakistan gearbeitet hat, stellt fest, dass die meisten Afghanen, die hierherkom­men, keine verfolgten Intellektu­ellen seien, aber sie seien verfolgt und bedroht, weil „es keine wirkliche Staatsmach­t gibt, die auf dem Papier vorhandene­s Recht gegen politische Opponenten, religiöse Fanatiker oder auch nur kriminelle Banden durchsetze­n kann“.

Nach dem 11. September 2001 hatte sich Deutschlan­d mit der Bundeswehr an der Internatio­nalen Schutztrup­pe für Afghanista­n beteiligt. 55 deutsche Soldaten sind bei dem Einsatz gefallen. Nach dem Abzug der Amerikaner wurde das Engagement am Hindukusch herunterge­fahren. Die Mission, dem Land Frieden und Stabilität zu bringen, ist gescheiter­t.

Fatima in Kressbronn versteht all das. Das Schlimmste jetzt sei die Ungewisshe­it. Vor Kurzem war sie bei einer Fasnetsver­anstaltung am Bodensee. Das sei sehr schön gewesen, sagt sie.

Gegen die Abschiebun­g von Afghanen gab es an verschiede­nen Orten in der Region Mahnwachen. Videobeitr­äge darüber sehen Sie unter: www.schwaebisc­he.de/mahnwachen

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FOTO: DPA Gegen die Abschiebun­g von 50 abgelehnte­n Asylbewerb­ern nach Afghanista­n wurde am Mittwochab­end am Flughafen München demonstrie­rt.
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FOTO: PLA. Fatima Alizadeh

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