Zwischen Fasnet und Ablehnungsbescheid
Wie Afghanen im Südwesten die Diskussion um Abschiebungen erleben
- Fatima versteht alles. Sie versteht die Bilder von den Abschiebungen, sie versteht die deutsche Sprache, in der ihr mitgeteilt wurde, dass der Antrag ihrer Familie auf Asyl abgelehnt ist. Fatima ist 17, sie ist Afghanin, in Iran aufgewachsen. Mit den Eltern und ihren Brüdern ist sie von dort 2015 über die Berge in die Türkei geflohen, dann weiter in einem Boot nach Samos, über die Balkanroute bis nach Kressbronn am Bodensee. Das war vor 14 Monaten, heute spricht das Mädchen Deutsch als lebe sie seit Jahren hier. Vater Hussein ist stolz, auch wenn er nicht versteht, was sie sagt. Aber Fatima versteht auch den Ablehnungsbescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF).
Ort der Eltern
Fatima soll nach Afghanistan zurück. Dorthin, wo sie noch nie war, aber von wo ihre Eltern vor 37 Jahren geflohen sind, zunächst nach Pakistan, dann weiter nach Iran. Hussein Alizadeh hatte die Stadt Ghasni, südlich von Kabul, Hals über Kopf verlassen, so sagt er, nachdem es Massaker vom Herrschervolk der Paschtunen an den Hazaras gegeben hatte. Die sind eine schiitische Minderheit in Afghanistan, als Arbeitssklaven missbraucht, viele ihrer Frauen werden misshandelt. Sie gelten als unsauber, als Aussätzige, ähnlich wie die Jesiden im Irak oder die Unberührbaren in Indien. Der letzte Anschlag des IS („Islamischer Staat“) auf einen schiitischen Schrein in Kabul war im November, es gab 27 Tote. Wer das Buch „Drachenläufer“des amerikanischen Schriftstellers Khaled Hosseini gelesen oder die Verfilmung gesehen hat, bekommt eine Vorstellung vom Leben der Hazaras in Afghanistan.
Im Ablehnungsbescheid für Fatimas Bruder Hamid heißt es: „Soweit der Antragsteller vorgetragen hat, in Afghanistan sei sein Leben aufgrund seiner Volkszugehörigkeit in Gefahr, beruht diese Vermutung nur auf Hörensagen und steht im Widerspruch zu den Informationen des Bundesamtes.“Anschließend wird in demselben Bescheid erstaunlicherweise aus einem Bericht des UN-Flüchtlingskommissariats zitiert, wonach es zu „Belästigungen, Einschüchterungen bis hin zu Tötungen“von Hazaras gekommen sei. Es liest sich so, als werde die Ablehnung damit ad absurdum geführt.
24 000 Afghanen leben in BadenWürttemberg, sagt das Innenministerium. Und weil immer häufiger Afghanen abgeschoben werden, wächst die Nervosität unter jenen, deren Anträge abgelehnt wurden. Ein Sprecher des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge erklärt auf Anfrage, dass jeder Entscheider auf ein Land spezialisiert sei und sich auf die Informationen des Auswärtigen Amtes und des UN-Flüchtlingskommissariats stütze. Etwa die Hälfte der Afghanen in Deutschland wird als Flüchtling anerkannt, die anderen müssen gehen. In einer Zeit, in der die Abschiebungen nach Nordafrika nicht recht in Gang kommen, nimmt die Zahl der Flüge nach Kabul zu. Die Bundesregierung hat ein entsprechendes Abkommen ausgehandelt. Als Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) zur Vorbereitung in der afghanischen Hauptstadt war, bewegte er sich mit Splitterschutzweste und Stahlhelm. Es trifft zu, dass längst nicht alle Gegenden in Afghanistan von den Taliban beherrscht werden und dass nicht überall permanente Bedrohung besteht. Aber Afghanistan ist deutlich unsicherer als das Ferienland Tunesien.
In Deutschland drohen die Abschiebungen zur politischen Zerreißprobe zu werden. Einzelne Bundesländer haben die eigentlich zwischen Bund und Ländern verabredeten Abschiebungen eigenmächtig ausgesetzt. Sie halten die Lage in dem Land für zu instabil, um Flüchtlinge zurückzuschicken. Darum ist es für einen Afghanen im Moment in Schleswig-Holstein sicherer als in Bayern oder Baden-Württemberg.
Fatima soll nach Ghasni zurück, 2138 Kilometer östlich der iranischen Stadt Karaj, in der sie geboren wurde. In Karaj, am Fuße des Elbrus-Gebirges, hat der Vater als Hausmeister und Gärtner gearbeitet. Es muss, wenn man Fatima zuhört, ein einfaches aber sicheres Leben gewesen sein. Eines Tages sei aber die iranische Geheimpolizei gekommen und habe erklärt, Sohn Mohammed müsse sich den Brigaden anschließen, die in Syrien für das Regime von Baschar al-Assad kämpften. Ihnen seien die Ausweise abgenommen worden, daraufhin habe man sich zur Flucht entschlossen.
Es stimmt, dass es solche Zwangsrekrutierungen unter afghanischen Flüchtlingen in Iran gegeben hat, Rebellen haben in Aleppo iranische Kriegsgefangene gemacht, die in Wirklichkeit Afghanen waren und keine Ahnung hatten, was sie dort eigentlich taten. „Wir wären in Iran geblieben“, sagt Fatima, „wenn es nicht diese Zwangsrekrutierung gegeben hätte.“
Die Prüfung eines individuellen Falls scheint die Sachbearbeiter im BAMF in Nürnberg vor große Herausforderungen zu stellen. Viele der afghanischen Flüchtlinge in Deutschland haben früher lange in Pakistan oder Iran gelebt, ihre Eltern waren vor den Russen, den Mujahedin oder den Taliban geflohen. Viele von ihnen waren nicht politisch aktiv, manche sind Analphabeten und sprechen keine Fremdsprache.
Nehmen wir den Fall des afghanischen Flüchtlings Hamid Safari im Landkreis Ravensburg. Der junge Mann kommt offiziell aus Kundus, jener Stadt, in der lange die Bundeswehr im Rahmen der Internationalen Schutztruppe stationiert war. Kundus gilt, trotz zweimaliger Angriffe der Taliban, als relativ sicher. Ein Entscheider in Nürnberg hätte vermutlich einige Gründe, das Asylgesuch abzulehnen. Doch bei genauerer Nachfrage stellt sich heraus, dass er aus Imam Sahib kommt, einem seit Jahren immer wieder von den Taliban bedrohten Ort. Vorausgesetzt, diese Geschichte trifft zu, wäre Safari bei einer Rückkehr in seinen Heimatort als Sohn eines Polizisten gefährdet. Er sagt, wenn er abgelehnt würde, müsste er in ein anderes europäisches Land fliehen.
Die Suche nach Heimat
Die Familie Alizadeh in Kressbronn hat Widerspruch gegen ihren Ablehnungsbescheid eingelegt. Vater Hussein sagt, er wisse manchmal nicht, wie er eigentlich seit seiner Kindheit überlebt habe. „Wissen Sie,“sagt Tochter Fatima, „wir sehen so asiatisch aus, die Leute wissen natürlich, dass wir Hazara sind.“Selbst in Deutschland im Asylbewerberheim würden sie von Sunniten aus dem Irak schikaniert. „Wo meine Heimat ist, weiß ich nicht“, sagt der Mann, und die anderen weinen.
Lorenz L. Göser, der viele Jahre für Hilfswerke in Afghanistan und Pakistan gearbeitet hat, stellt fest, dass die meisten Afghanen, die hierherkommen, keine verfolgten Intellektuellen seien, aber sie seien verfolgt und bedroht, weil „es keine wirkliche Staatsmacht gibt, die auf dem Papier vorhandenes Recht gegen politische Opponenten, religiöse Fanatiker oder auch nur kriminelle Banden durchsetzen kann“.
Nach dem 11. September 2001 hatte sich Deutschland mit der Bundeswehr an der Internationalen Schutztruppe für Afghanistan beteiligt. 55 deutsche Soldaten sind bei dem Einsatz gefallen. Nach dem Abzug der Amerikaner wurde das Engagement am Hindukusch heruntergefahren. Die Mission, dem Land Frieden und Stabilität zu bringen, ist gescheitert.
Fatima in Kressbronn versteht all das. Das Schlimmste jetzt sei die Ungewissheit. Vor Kurzem war sie bei einer Fasnetsveranstaltung am Bodensee. Das sei sehr schön gewesen, sagt sie.
Gegen die Abschiebung von Afghanen gab es an verschiedenen Orten in der Region Mahnwachen. Videobeiträge darüber sehen Sie unter: www.schwaebische.de/mahnwachen