Joy Denalanes „Gleisdreieck“: Sanft wie nie
Wer mit Joy Denalane aufgewachsen, vielleicht sogar ein wenig erwachsen geworden ist, damals in den 1990er- und frühen NullerJahren, für den könnte „Gleisdreieck“(Nesola/ Universal Music) mit einer kleinen Enttäuschung beginnen. Joy Denalane hatte womöglich die süßeste Zahnlücke und die tollsten Locken in der deutschen Musikszene, ganz sicher aber hatte sie die kraftvollste, raumgreifendste, zuversichtlichste Stimme. Mit der sang sie mehr oder weniger subtil (es waren die 1990er!) gemeinsam mit Max Herre, diesem anderen Lockenwunder, der heute ihr Mann ist, über einen One-Night-Stand („Mit dir“), die Macht der Sprache („Esperanto“) und schließlich auf ihrem großartigen Solo-Debütalbum „Mamami“kämpferisch und gleichzeitig optimistisch über alle Probleme der damaligen Welt (AIDS, Diskriminierung, Armut). Und nun: „Gleisdreieck“: erstaunlich poppig, eingängige Melodien, mal lakonische, mal ironische, manchmal gar schlichte Texte, gesungen von dieser immer noch wunderschönen, aber irgendwie gewaltsam eingefangen scheinenden Stimme. Man könnte sie sich gut vorstellen, wie sie ihre Lieder in einer Großstadtbar den Gestrandeten vorträgt, nur begleitet von einem Klavier. Doch wer sich einlässt auf die Lieder, den Zwischentönen lauscht, sich davontragen lässt von den Stimmungen, merkt schnell: Das hat schon alles seinen Sinn. Wenn das Leben, wenn die ganze Welt komplizierter und vor allem lauter wird, kann man natürlich dagegen anschreien. Oder eben sanft Gefühle transportieren. (fil)