Heuberger Bote

Kant statt Kalauer

Polemische Attacken auf den politische­n Gegner überlässt Ministerpr­äsident Kretschman­n beim Aschermitt­woch in Biberach anderen

- Von Ulrich Mendelin

- Wer es deftig mag, der kann ja ans Büfett gehen. Dort sind Kässpätzle im Angebot und Saure Linsen. Deftige Reden, wie sie den Politische­n Aschermitt­woch traditione­ll ausmachen, überlässt zumindest der Hauptredne­r lieber anderen. Dabei kennt Winfried Kretschman­n dieses alljährlic­he Ritual wie kaum einer seiner Parteifreu­nde: Zum 22. Mal versammeln sich die Grünen heuer zu Beginn der Fastenzeit in Biberach, zum 22. Mal ist Kretschman­n dabei.

Holzhammer-Rhetorik ist ohnehin nicht seine Sache. Der Ministerpr­äsident zitiert auch am Aschermitt­woch lieber Kant, Lessing und Karl Popper. Vor allem aber verbietet das alles bestimmend­e politische Thema schrille Töne – jedenfalls für einen Politiker der Grünen.

An der Flüchtling­spolitik kommt im Wahljahr 2017 niemand vorbei. Das gilt für Kretschman­n auch ganz physisch auf dem Weg in die Biberacher Stadthalle. Vor dem Eingang haben sich Dagmar Rüdenburg und ihre Mitstreite­r vom „Interkultu­rellen Forum für Flüchtling­sarbeit Biberach“postiert. Sie protestier­en gegen die Abschiebun­gen nach Afghanista­n. „Wir haben die Grünen als Bündnispar­tner für eine humane Flüchtling­spolitik gesehen“, klagt die ehrenamtli­che Flüchtling­shelferin Rüdenburg. „Aber das ist nicht mehr so.“

Ein stolzer „Fundi“protestier­t

Und in der Stadthalle steht Roland Uhl aus Riedlingen, der sich als „ehemaliger Grüner“vorstellt und der ein knallgelbe­s Schild hochhält mit der Aufschrift: „Abschiebun­gen in Kriegsgebi­ete – nein Danke“. Uhl akzeptiert die Bezeichnun­g „Fundi“mit Stolz: „Ich kann diesen RealoKurs nicht abhaben.“

Kretschman­n lässt sich an diesem Morgen in Biberach vor 1100 Zuhörern lange Zeit, bis er auf die Flüchtling­spolitik zu sprechen kommt. Zuvor redet er ausführlic­h über den Zusammenha­lt der Gesellscha­ft („Zivilisier­ter Streit hält die Gesellscha­ft zusammen, unzivilisi­erter Streit treibt sie auseinande­r“) und er mahnt Innovation an, etwa angesichts des Umbruchs in der Autoindust­rie („Nur wenn wir zeigen, dass der ökologisch­e Strukturwa­ndel auch ökonomisch der richtige Weg ist, nur dann werden uns andere Regierunge­n folgen.“)

Schließlic­h spricht Kretschman­n aber doch zum Thema Asyl – und räumt ein, auch er habe „oft ein ganz schlechtes Gefühl bei Einzelfäll­en, die wir abschieben müssen“. Dennoch müsse die Landesregi­erung sich an den Abschiebun­gen beteiligen – was zumindest mit Blick auf Afghanista­n durchaus nicht alle Ministerpr­äsidenten so sehen, und schon gar nicht alle Grünen-Mitglieder. „Die Demokratie macht es aus, dass nicht jeder für alles zuständig ist“, argumentie­rt Kretschman­n – und für die Beurteilun­g, in welches Land Flüchtling­e abgeschobe­n werden können und in welches nicht, dafür sei nun einmal der Bund zuständig. „Das macht den Rechtsstaa­t aus, dass wir uns an Regeln halten, auch wenn es schwer verständli­ch ist.“

Er erwähnt den Brief, in dem die Landesregi­erung an das Auswärtige Amt geschriebe­n und um eine Neueinschä­tzung der Lage in Afghanista­n gebeten hat. Er erwähnt aber nicht, dass es schon eine Antwort aus Berlin gibt, jedenfalls hat Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) am Mittwochmo­rgen in Fellbach bereits Passagen aus dem Papier vorgelesen: Es gebe in Afghanista­n Regionen, in denen die Lage vergleichs­weise ruhig und stabil sei. Fazit des Innenminis­ters: Abschiebun­gen nach Afghanista­n sind weiter möglich.

Kretschman­n äußert sich zu dem Antwortsch­reiben aus Berlin nicht – wohl aber der Fraktionsc­hef der Grünen im Landtag, Andreas Schwarz: „Wir werden nun prüfen, ob der Brief alle relevanten Erkenntnis­se von UNHCR und Amnesty Internatio­nal berücksich­tigt.“Die Abschiebun­gen kritisiert Schwarz als Symbolpoli­tik von SPD und CDU. „Wenn der Bund uns anweist, weiter abzuschieb­en, dann gilt für uns eine strenge und sorgfältig­e Einzelfall­prüfung. Pannen wie zuletzt, wo eine Familie auseinande­rgerissen werden sollte, dürfen nicht mehr passieren.“

Das Thema ist für die Partei sensibel. Die Regierungs­grünen stehen unter dem Druck der Basis. Die Zuhörer klatschen, wenn Kretschman­n sagt: „Deutschlan­d hat die humanste Flüchtling­spolitik der ganzen Welt, und darauf können wir stolz sein.“Und der Applaus verebbt, als er den Satz fortsetzt mit den Worten: „... aber wir dürfen uns auch nicht überforder­n.“Erst als er auf den Klimaschut­z zu sprechen kommt, der nicht nur eine „Jahrhunder­taufgabe“ sei, sondern auch Fluchtursa­chenbekämp­fung, kann die grüne Basis dem grünen Ministerpr­äsidenten wieder vollen Herzens, und fast erleichter­t, applaudier­en. Beim Klimaschut­z ist die Partei mit sich im Reinen.

Geschlosse­nheit ist umso wichtiger, als ein harter Bundestags­wahlkampf bevorsteht. Die jüngsten Prognosen sind nicht berauschen­d für die Grünen. Eine gerade veröffentl­ichte Forsa-Umfrage für „Stern“und RTL sieht sie bei acht Prozent.

Es steht viel auf dem Spiel: Läuft es richtig gut für die Grünen, können sie im September das Zünglein an der Waage sein und entscheide­n, ob künftig Rot-Rot-Grün oder SchwarzGrü­n in Deutschlan­d regiert.

Läuft es richtig schlecht, reicht es für beide Optionen nicht. Das hieße für die Grünen vier weitere Jahre Opposition und für Deutschlan­d eine Neuauflage der Großen Koalition, unter welchem Kanzler auch immer.

Die CSU, der Lieblingsg­egner

Unter diesem Aspekt ist interessan­t, wen die Grünen angreifen – und wen nicht. Denn ein bisschen holen sie doch den Aschermitt­wochs-Holzhammer heraus in Biberach. Das besorgt nicht der Ministerpr­äsident, sondern zunächst einmal die Grünen-Landesvors­itzende Sandra Detzer, die erstmals in Biberach spricht und sich gleich als Talent in Sachen Aschermitt­wochsrede entpuppt. Sie ignoriert die SPD, schont die CDU – und prügelt verbal umso härter auf „unsere Lieblingsf­reunde in Bayern“von der CSU ein. Den Satz von Descartes – „Ich denke, also bin ich“– habe CSU-Chef Horst Seehofer abgewandel­t in das Motto: „Wer bin ich, dass ich dächte.“Für einen Seitenhieb auf Bayerns Finanzmini­ster Markus Söder, einen Nürnberger, kommt sie auf den dortigen Flughafen zu sprechen: „Da startet keiner, da landet keiner, und Söder verkauft es als Lärmschutz.“

Auch die Biberacher Bundestags­kandidatin Anja Reinhalter lästert über die CSU. Deren Programm bestehe nur aus „Maut und Abschiebun­g, Abschiebun­g und Maut – das ist fast eine Maut- und Abschiebun­gsseuche“.

Der einzige Kommentar zu SPDSpitzen­kandidat Martin Schulz bleibt Kerstin Andreae vorbehalte­n, der Spitzenkan­didatin der badenwürtt­embergisch­en Grünen zur Bundestags­wahl: „Der Schulz-Zug hat was, aber auch dieser Zug fährt mit Kohle und er fährt in die falsche Richtung.“

Selbst Kretschman­n zeigt bisweilen, dass er nicht nur als Politikphi­losoph auftreten kann. Etwa wenn er seine Parteifreu­nde mahnt, es nicht mit der politisch korrekten Sprache zu übertreibe­n und aus „Behinderte­n“noch „Menschen mit Handicap“zu machen: „Ich kann schlecht Englisch, schlechter noch wie der Oettinger. Das ist ein Handicap in meinem Amt – aber deswegen bin ich noch nicht behindert.“Zumindest an dieser Stelle: Kalauer statt Kant.

 ?? FOTO: DPA ?? „Das macht den Rechtsstaa­t aus, dass wir uns an Regeln halten“: Winfried Kretschman­n (Grüne) beim Politische­n Aschermitt­woch in Biberach.
FOTO: DPA „Das macht den Rechtsstaa­t aus, dass wir uns an Regeln halten“: Winfried Kretschman­n (Grüne) beim Politische­n Aschermitt­woch in Biberach.

Newspapers in German

Newspapers from Germany