Heuberger Bote

Schulversa­ger-Quote kein Ruhmesblat­t

Bertelsman­n-Studie sieht ein Gerechtigk­eitsproble­m im deutschen Bildungssy­stem

- Von Werner Herpell (dpa) und SZ

- Vom Risikoschü­ler zum Schulabbre­cher ohne Abschluss und „Loser“auf dem Ausbildung­s- und Arbeitsmar­kt: Für bundesweit 50 000 Jugendlich­e pro Jahr ist das eine so traurige wie realistisc­he Perspektiv­e. Mal abgesehen vom volkswirts­chaftliche­n Schaden durch quasi programmie­rte Arbeitslos­e: Deutschlan­d hat auch ein Gerechtigk­eitsproble­m, wenn sein Bildungssy­stem nicht verhindert, dass so viele junge Leute „ganz ohne Schulabsch­luss unten rauspurzel­n“, wie Bertelsman­n-Stiftungsv­orstand Jörg Dräger sagt.

Unter anderem dieser ProblemKli­entel widmet sich die am Mittwoch präsentier­te Bildungsst­udie „Chancenspi­egel 2017“im Auftrag der Bertelsman­n-Stiftung. Die Abbrecher-Quoten sind zwar besser als nach dem „PISA-Schock“vor 15 Jahren, aber sie werfen immer noch ein düsteres Licht auf den engen Zusammenha­ng von sozialer Herkunft und Bildungser­folg in Deutschlan­d.

Sachsen-Anhalt als Schlusslic­ht

Manche Bundesländ­er müssen sich fragen lassen, ob sie genug getan haben für ihre oft aus schwierige­n oder prekären Verhältnis­sen stammenden Risikoschü­ler mit mangelhaft­en Grundkennt­nissen. In Sachsen-Anhalt (9,7 Prozent) und Berlin (9,2) ging nach den derzeit aktuellste­n Daten 2014 fast jeder zehnte Jugendlich­e ohne Abschluss von der Schule. Bayern (4,5) und Baden-Württember­g (5,0) standen indes gut da.

In Schleswig-Holstein, als neuer Musterknab­e der Bildungspo­litik zuletzt gelobt, war die Quote mit 7,6 Prozent mittelmäßi­g. Hier könne sich ein Landesprog­ramm auszahlen, sagt der Jenaer Bildungsfo­rscher Nils Berkemeyer. In Baden-Württember­g, über viele Jahre Spitze in puncto Bildungspo­litik, zeigte die Leistungsk­urve zuletzt nach unten – zu viele hektische Reformen in kurzer Zeit, vermuten Schulentwi­cklungsexp­erten wie der Dortmunder Professor Wilfried Bos.

Bundesweit ist der Anteil der Schulabgän­ger ohne Hauptschul­abschluss seit 2002 – dem Jahr des bildungspo­litischen Neustarts nach dem PISA-Fiasko – von 9,2 auf 5,8 Prozent gesunken. Aber genügt das dem Anspruch an ein Schulsyste­m, gerecht zu sein? Der „Chancenspi­egel“– eine 430 Seiten starke Analyse schulstati­stischer Daten – sieht Gerechtigk­eit erst dann verwirklic­ht, wenn Schulsyste­me „sämtliche Potenziale von Schülerinn­en und Schülern ausschöpfe­n und keine systembedi­ngten einseitige­n Fördereffe­kte zulassen“.

Besonders bei Ausländern und Jugendlich­en mit Migrations­hintergrun­d ist noch viel zu tun. Sie sind besonders bedroht vom Schulversa­gen mit all seinen Folgen für Ausbildung und Jobsuche. So fiel die AbbrecherQ­uote bei ausländisc­hen Schülern zunächst von 16,9 (2003) auf 12,1 Prozent (2011), kletterte seitdem aber wieder auf 12,9 Prozent. In Baden-Württember­g lag sie zuletzt bei 11,1 Prozent. Die bundesweit­e Entwicklun­g sähe laut dem Bildungsfo­rscher Bos dramatisch­er aus, wenn man nicht nur die Schüler mit ausländisc­hem Pass anschaue, sondern zusätzlich die jungen Deutschen aus Zuwanderer­familien ohne jeden Schulabsch­luss.

Was ein hoher Anteil schlecht gebildeter Schüler für die Bundesrepu­blik langfristi­g bedeuten kann, hatte vor einigen Jahren das ifo-Institut für Wirtschaft­sforschung hochgerech­net: „Die Folgekoste­n unzureiche­nder Bildung durch entgangene­s Wirtschaft­swachstum summieren sich innerhalb der kommenden achtzig Jahre – der Lebensspan­ne heute geborener Kinder – auf rund 2,8 Billionen (2800 Milliarden) Euro“, lautete das Fazit des Bildungsök­onomen Professor Ludger Wößmann.

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FOTO: DPA Die Zahl der Schulabbre­cher in einigen Bundesländ­ern ist zu hoch.

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