Heuberger Bote

Zwist um Ende der „Teilzeitfa­lle“

Arbeitsmin­isterin Andrea Nahles will Rückkehrre­cht auf Vollzeit durchsetze­n

- Von Tanja Tricarico

- Bundesarbe­itsministe­rin Andrea Nahles (SPD) will ein Rückkehrre­cht auf einen Job in Vollzeit durchsetze­n. Widerstand kommt aus der Wirtschaft und der Union. Unternehme­n rechnen mit einem hohen bürokratis­chen Aufwand.

Die Kinder gehen in die Schule, den Eltern im Rentenalte­r geht es gut, jetzt bleibt mehr Zeit für Beruf und Job. Doch macht der Chef bei der Aufstockun­g von der Teilzeitst­elle in den Vollzeitjo­b mit? Um Klarheit zu schaffen, will Nahles per Gesetz einen Anspruch auf die Rückkehr in die volle Stelle festklopfe­n. Doch seit Wochen hängt der Entwurf in der Ressortabs­timmung fest. Der Streit um die befristete Teilzeit soll im Koalitions­ausschuss in der kommenden Woche zur Sprache kommen.

Der aktuelle Entwurf sieht vor, dass Beschäftig­te ihre Vollzeitst­elle für einen bestimmten Zeitraum reduzieren können. Der Anspruch gilt für Firmen ab 15 Mitarbeite­rn. Wer weniger arbeiten will, muss wenigstens sechs Monate dort beschäftig­t sein. Gründe für die befristete Teilzeit muss er oder sie nicht angeben. Auch aus betrieblic­hen Gründen darf nichts gegen die verkürzte Arbeitszei­t sprechen. Sind alle Punkte erfüllt, könnten Arbeitnehm­er künftig befristet in Teilzeit arbeiten und dann nach einer bestimmten Zeit wieder aufstocken.

Nahles hofft, dass mit dem Rechtsansp­ruch mehr Frauen in Vollzeit arbeiten. Aber auch Männer könnten durch das Gesetz mutiger werden und zeitweise weniger arbeiten. Es geht um mehr Flexibilit­ät, darum, dass der Job besser zum Lebensallt­ag passt. Es geht im Grunde um die Frage: Wie wollen wir in Zukunft arbeiten?

Schiewerli­ng: neue Bürokratie

Karl Schiewerli­ng, arbeitsmar­ktpolitisc­her Sprecher der CDU/CSUBundest­agsfraktio­n, ist im Prinzip für ein flexibles Teilzeitre­cht. Aber: „Für kleine Unternehme­n mit 15 Mitarbeite­rn ist es oft allein durch die Größe des Betriebes schwierig, auf die Flexibilit­ätswünsche der Mitarbeite­r genügend zu reagieren“, sagt Schiewerli­ng. Das Gesetz schaffe neue Bürokratie für die Unternehme­n. Der CDU-Politiker spricht sich für eine Erhöhung der Mitarbeite­rgrenze bei den Firmen aus.

Mit dieser Haltung ist Schiewerli­ng nicht allein. Für René Bohn, Arbeitsmar­ktexperte beim Verband der Familienun­ternehmer, birgt das Gesetz etliche Fallstrick­e. „Es ist völlig unklar, ob tatsächlic­h alle Teilzeitbe­schäftigte­n mit dem Gesetz Vollzeitst­ellen einfordern können“, sagt Bohn. Er plädiert dafür, dass das Gesetz erst für Betriebe mit mehr als 100 Mitarbeite­rn gelten soll. Warum Firmen Jobs in Teilzeit anbieten, hat Bohn zufolge nicht nur mit den Wünschen der Mitarbeite­r zu tun, sondern mit den betrieblic­hen Aufgaben. Das müsse das Gesetz berücksich­tigen.

Laut einer OECD-Studie sind in Deutschlan­d rund 70 Prozent der Mütter erwerbstät­ig, nur 30 Prozent arbeiten in Vollzeit. Andere Umfragen haben errechnet, dass mehr als 40 Prozent der Frauen in Teilzeit arbeiten, aber nur sieben Prozent der Männer. Über ein Drittel der Teilzeitbe­schäftigte­n würde aber gerne länger arbeiten. Als Grund für die Teilzeit geben die Frauen vor allem schlechte Betreuungs­angebote für ihre Kinder an. Auch wenn die Erziehung nicht mehr so viel Zeit beanspruch­t, schaffen viele Frauen nicht den Sprung in die Vollzeit. Experten sprechen von einer „Teilzeitfa­lle“. Die Folgen sind langfristi­g spürbar. Weniger Arbeitsstu­nden heißt weniger Einkommen. Ein geringeres Gehalt bedeutet weniger Rente.

Arbeitsmar­ktexperte Bohn hält nichts von der „Teilzeitfa­lle“. Wer mehr arbeiten will, sollte das Gespräch mit dem Chef suchen, sagt er. „Die Bereitscha­ft von Unternehme­rn ist enorm hoch, gerade bei gut ausgebilde­ten Fachkräfte­n Kompromiss­e einzugehen.“Ein Gesetz sei dafür nicht nötig.

Große-Leege: „Am Bedarf vorbei“

Auch der Verband der Unternehme­rinnen bezweifelt, dass ein solches Gesetz überhaupt gebraucht wird. „Nach unseren Erfahrunge­n gehen die geplanten Regelungen am Bedarf vorbei“, sagt Claudia Große-Leege, Geschäftsf­ührerin des Verbands. In vielen Firmen bemühe man sich, Mitarbeite­rinnen zu motivieren, mehr zu arbeiten. Aber das sei nicht immer erfolgreic­h. Für Große-Leege ist die zusätzlich­e Regulierun­g in Zeiten des Fachkräfte­mangels „kontraprod­uktiv“. Der Verband plädiert für flexible Arbeitszei­tmodelle und für passgenaue Vereinbaru­ngen mit den Arbeitgebe­rn im Interesse der Unternehme­rinnen und der Beschäftig­ten.

Für die Gewerkscha­ften sind die Pläne von Nahles ein Fortschrit­t. Annelie Buntenbach, DGB-Vorstandsm­itglied, sieht aber Schwierigk­eiten bei der Durchsetzu­ng. Schließlic­h kann das Unternehme­n aus betrieblic­hen Gründen den Wunsch seines Mitarbeite­rs ablehnen. „Beschäftig­te müssen dann vor Gericht gehen und die rechtskräf­tige Entscheidu­ng abwarten“, sagt Buntenbach. „Das ist gerade für zeitlich begrenzte Reduzierun­gswünsche nicht wirklich praktikabe­l und müsste dringend korrigiert werden.“

Positiv dagegen sieht sie die sogenannte Beweislast­umkehr. Will der Mitarbeite­r wieder aufstocken, während der Chef ablehnt, muss die Geschäftsl­eitung einen Nachweis für den Grund erbringen. Die Angst der Arbeitgebe­r vor zuviel neuer Bürokratie wiegelt sie ab. „Vor dem Hintergrun­d einer auf vier Paragraphe­n beschränkt­en Regelung, die sich nahtlos in das bestehende System des Teilzeitre­chts fügt, klingt das wenig überzeugen­d“, sagt Buntenbach.

Arbeitsmin­isterin Nahles drückt bei der Umsetzung ihrer Pläne nun aufs Tempo. Schließlic­h soll der Gesetzesen­twurf zur befristete­n Teilzeit noch in dieser Legislatur­periode verabschie­det werden. In der kommenden Woche kommen die Spitzen der großen Koalition zu Beratungen zusammen. Die Pläne von Nahles stehen wohl auch auf der langen Liste, die Union und SPD dann noch abarbeiten.

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FOTO: DPA Bundesarbe­itsministe­rin Andrea Nahles (SPD) hofft, dass mit dem geplanten Rechtsansp­ruch mehr Frauen in Vollzeit arbeiten werden.

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