Heuberger Bote

Kontinenta­leuropäer als Brexit-Schachfigu­ren

- Von Sebastian Borger, London

Nach der Niederlage im Londoner Oberhaus ringt die Regierung von Premiermin­isterin Theresa May um ihr Brexit-Austrittsg­esetz. Der für die Gesetzgebu­ng im Unterhaus zuständige Minister David Lidington sprach davon, alle Ergänzunge­n zu dem Gesetz würden die Verhandlun­gen mit Brüssel erschweren. Hingegen feierten Opposition­sabgeordne­te das Abstimmung­sergebnis als Sieg der Vernunft.

Die Regierungs­vorlage besteht aus zwei Absätzen und ermächtigt May dazu, den EU-Austritt nach Artikel 50 des Lissabon-Vertrages einzuleite­n. Im Unterhaus war das Gesetz in unveränder­ter Form beschlosse­n worden. Die zweite Parlaments­kammer hatte am Mittwochab­end mit 358:256 Stimmen den beiden Absätzen eine Bleibegara­ntie für die rund drei Millionen Bürger anderer EU-Staaten hinzugefüg­t. Kommende Woche könnte die Regierung erneut unterliege­n. Dann geht es im Oberhaus um das Mitsprache­recht des britischen Parlaments über das Ergebnis der Austrittsv­erhandlung­en.

Selbst wenn auch diese Ergänzung verabschie­det wird, dürfte Mays Zeitplan nicht gefährdet sein. Die Opposition im Oberhaus hat angekündig­t, sie werde sich nicht querstelle­n, falls das Unterhaus die Änderungsv­orschläge aus der zweiten Kammer ablehnt. In London wird derzeit der 15. März als wahrschein­lichster Termin für die Ankündigun­g des Austritts gehandelt.

Der Status der rund drei Millionen EU-Bürger ist nominell bisher unveränder­t. Doch hat die Brexit-Entscheidu­ng bei vielen Bestürzung und zunehmende Unklarheit über die Zukunft ausgelöst. Viele beantragte­n eine Aufenthalt­sgenehmigu­ng, die im Rahmen der Personenfr­eizügigkei­t bisher nicht notwendig war. Allein im dritten Quartal 2016, also in den drei Monaten nach dem Referendum vom 23. Juni, verdreifac­hte sich die Zahl der Anträge. Die besorgten EU-Bürger stießen auf eine unvorberei­tete und personell unterbeset­zte Regierungs­bürokratie. Falsche und schlampige Entscheidu­ngen des Innenminis­teriums steigern die Verunsiche­rung.

85-seitiges Formular

Wer sich den Aufenthalt­sstatus garantiere­n lassen möchte, muss 65 Pfund bezahlen, ein 85-seitiges Formular ausfüllen und dabei jeden Auslands-, auch Urlaubsauf­enthalt der vergangene­n fünf Jahre auflisten. Die Wartezeit beträgt zwischen vier und sechs Monaten; da viele Dauer-Residenten nur noch den Pass, nicht aber den Personalau­sweis ihres Heimatland­es besitzen, müssen sie in der Zeit auf Auslandsre­isen verzichten. Das vergleichb­are Formular in Deutschlan­d hat zwei Seiten und kostet acht Euro, in Irland erhält man die Genehmigun­g kostenlos.

May hat sich stets zur rechtliche­n Absicherun­g der Betroffene­n bekannt, verknüpft aber die Bleibegara­ntie auf der Insel mit dem Schicksal der rund 1,2 Millionen Briten, die im Rest der EU leben. Harte EU-Feinde im Kabinett wie der Außenhande­lsminister Liam Fox haben EU-Ausländer als „wichtige Trumpfkart­e“für Verhandlun­gen bezeichnet.

Auf Schätzunge­n basierende Erhebungen des nationalen Statistika­mtes ONS zufolge stellten 2015 die Polen mit 900 000 Menschen die größte Einwandere­rgruppe, gefolgt von Iren und Rumänen. Insgesamt gehören 2,8 bis 3,5 Millionen Bürger anderer EU-Staaten zur britischen Gesamtbevö­lkerung von 65 Millionen Menschen.

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