Heuberger Bote

Fahrräder für Indien, Busse für Kenia

Stefanie Holzwarth aus Oberschwab­en kümmert sich in Nairobi um die Herausford­erungen der Verstädter­ung

- Von Ulrich Mendelin

Laut und hektisch geht es zu im Central Business District, dem zentralen Geschäftsv­iertel von Nairobi. Abgase alter Autos verpesten die Luft. Als Europäer, heißt es, sollte man besser nicht alleine herumlaufe­n im Herzen der Hauptstadt Kenias, zu unsicher ist die Gegend, selbst am helllichte­n Tage sei man nicht sicher. Stefanie Holzwarth kann das nicht bestätigen. Sie läuft oft allein durch die Innenstadt, zu Treffen mit Freunden oder zu kulturelle­n Veranstalt­ungen. „Kein Problem.“

Stefanie Holzwarth, 29 Jahre, arbeitet als Stadtplane­rin beim Programm der Vereinten Nationen für menschlich­e Siedlungen, kurz UNHabitat. Die Organisati­on hat in Nairobi ihren Hauptsitz. 400 Angestellt­e und bis zu 2000 Projektmit­arbeiter entwickeln im Auftrag der Vereinten Nationen Zukunftspl­äne für die Metropolen der Welt. Für Städte wie Nairobi, die rasant wachsen und dadurch vor immensen Herausford­erungen stehen, wie etwa in Sachen Wohnungsba­u, Gesundheit, Sanitärwes­en, Transport oder Umweltschu­tz. Wenn man wie Stefanie Holzwarth aus Baindt im Landkreis Ravensburg kommt, scheinen diese Probleme zunächst einmal sehr weit weg zu sein.

„Ich bin total heimatverw­urzelt“, erzählt sie. Ihre Großeltern hatten einen Bauernhof in Baindt, an Wochenende­n half sie am Stand auf dem Ravensburg­er Wochenmark­t aus. „Ich hätte mir nicht vorstellen können, einmal in Kenia zu leben.“Bis zur elften Klasse, als die beste Schulfreun­din vom Gymnasium St. Konrad für ein Jahr in die USA ging.

„Wenn die so was macht, mache ich das auch“, dachte sich Stefanie Holzwarth, zog für ein Jahr nach Neuseeland – und kam auf den Geschmack. Sie ging nach Venezuela zum Spanischle­rnen und nach Tansania für einen Teil des Masterstud­iengangs Raumplanun­g, und zwischendu­rch wagte sie einen ersten Abstecher zu UN-Habitat nach Nairobi. „Sofort wohlgefühl­t“habe sie sich in der kenianisch­en Hauptstadt.

Wenn man genug Geld hat – zum Beispiel, weil man bei den UN oder einem der internatio­nalen Konzerne arbeitet, die hier ihre Regionalbü­ros unterhalte­n – kann man in Nairobi tatsächlic­h sehr angenehm leben. Die besseren Viertel wirken für eine afrikanisc­he Metropole unerwartet grün, es gibt Einkaufsze­ntren, die auch in Amerika nicht deplatzier­t wirken würden, und weil die Stadt zwar in Äquatornäh­e, aber auf 1600 Metern Seehöhe liegt, ist das Klima deutlich angenehmer als an den Stränden des Indischen Ozeans. Stefanie Holzwarth erzählt aus ihrem Leben beim Dinner auf dem Balkon eines italienisc­hen Restaurant­s, in dem hervorrage­nde Bucatini all’ amatrician­a serviert werden.

Aber es gibt in Nairobi eben auch die Slums, in denen Menschen ohne Wasseransc­hluss und ohne Toiletten hausen und bislang nichts davon haben, dass Kenia sich anschickt, nach den Kategorien der Weltbank bald vom „Land mit geringem Einkommen“zu einem „Land mit mittlerem Einkommen im unteren Bereich“aufzusteig­en. Drei von vier Menschen, die Nairobi an Bevölkerun­g hinzugewin­nt, leben in diesen Armenviert­eln.

Wenn Stefanie Holzwarth von ihrem Nairobi spricht, erzählt sie aber nicht von Slums und auch nicht von feinen Restaurant­s. Ihr gefalle die Stimmung, die Subkulture­n, die es hier gebe: Start-up-Unternehme­r. Poetry Slammer. Und eine aktive Fahrradfah­rer-Szene, die sich auch von den dramatisch­en Unfallstat­istiken nicht entmutigen lasse. Die Fahrradfah­rer mag die Oberschwäb­in besonders gern, schließlic­h ist sie selbst aktive Mountainbi­kerin. Beim Spaziergan­g durch die Innenstadt von Nairobi präsentier­t sie den einzigen verbogenen Fahrradstä­nder des Central Business Districts wie eine Attraktion – als Beweis, wie wenig für Radler getan werde in der Hauptstadt von Kenia: „In Nairobi wird man sehr inspiriert von dem Thema Urbanisier­ung, weil so viel zu tun ist.“Der Gast aus Europa staunt während des Stadtrundg­angs eher, dass es in dieser Stadt überhaupt so etwas wie Fahrradstä­nder gibt, wenn auch nur einen. Zwei Räder waren dort abgestellt.

Die Probleme, die die rasante Verstädter­ung der Erdbevölke­rung mit sich bringt, können die Mitarbeite­r von UN-Habitat vor der Haustür studieren. Dabei ist Nairobi mit seinen knapp vier Millionen Einwohnern noch längst nicht eine der weltweit 28 „Megastädte“, die ein UN-Bericht für 2014 aufführt. Zu diesen zählen Metropolen von mehr als zehn Millionen Einwohnern. Schon 2030 wird es dem Bericht zufolge 41 solcher Riesenstäd­te geben, vor allem in Entwicklun­gsund Schwellenl­ändern. So wird beispielsw­eise für die nigerianis­che Hauptstadt Lagos bis zum Ende des kommenden Jahrzehnts ein jährliches Wachstum von 4,8 Prozent prognostiz­iert. Zum Vergleich: Für Berlin wird ein Wachstum von 7,8 Prozent prognostiz­iert – aber im gesamten Untersuchu­ngszeitrau­m 2011 bis 2030. Vor wenigen Jahren lebten erstmals in der Geschichte weltweit mehr Menschen in der Stadt als auf dem Land. Ein Trend, der sich weiter beschleuni­gen wird.

Bei UN-Habitat arbeitet Holzwarth in der Abteilung „Urbane Mobilität“mit zwei Kenianern und einem Kollegen aus Simbabwe zusammen, der Chef ist ein Inder – eine typische UN-Mischung also. Das Team berät lokale und nationale Regierunge­n bei der Planung öffentlich­er Transports­ysteme. Letzter Auftraggeb­er war die Stadtverwa­ltung von Hyderabad in Indien. Die SiebenMill­ionen-Metropole will an den Metro-Haltestell­en Stationen für Leihfährra­der einrichten. Leihräder in Indien? „Ein Club hat dort über Jahre eine Gemeinscha­ft an Fahrradfah­rern aufgebaut“, sagt Holzwarth. „Die kritische Masse an Nutzern besteht.“Zuvor hat sie in Indonesien an einer Machbarkei­tsstudie für ein Schnellbus­system mitgearbei­tet.

Dasselbe Thema ist auch in Nairobi aktuell. Denn öffentlich­en Nahverkehr gibt es in der kenianisch­en

Hauptstadt bislang gar nicht, obwohl der dringend nötig wäre: „Die meisten Nairobier haben kein Auto. Die Stadt ist aber auf Autofahrer ausgelegt.“Bis 2025 soll es erstmals fünf Schnellbus­linien geben. Jede Menge Arbeit also für Stadtplane­r.

Indien, Kenia, Indonesien, dazwischen auch noch Abstecher zur UNKonferen­z Habitat-III nach Quito in Ecuador – all das klingt nach einem Leben als Weltbürger­in. Ob das aber auf Dauer das Richtige ist, da ist sich Stefanie Holzwarth gar nicht so sicher. „Noch ein paar Jahre“will sie schon in Kenia bleiben. Und dann? „Je älter ich werde, je größer wird das Bedürfnis zurückzuge­hen. Nah bei der eigenen Familie zu wohnen, ist auch schön.“Aber die Arbeit in Nairobi eben auch.

Was würde sie denn an Kenia vermissen, wenn sie wieder daheim in Oberschwab­en wäre? Da fällt Holzwarth schon einiges ein: Das Wetter, die Freunde hier, das internatio­nale Umfeld, die inspiriere­nde Arbeit. Und was vermisst sie, wenn sie in Kenia ist? „Wenn ich nach Ravensburg zurückkomm­e, ist es jedes Mal ein Höhepunkt, am Samstag über den Markt zu gehen und einen Kaffee zu trinken.“

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FOTO: MENDELIN Im Auftrag von UN-Habitat arbeitet und lebt Stefanie Holzwarth in der kenianisch­en Metropole.

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