Heuberger Bote

Das große Lastwagenp­lündern

Profession­elle Banden haben sich auf eine neue, lukrative Disziplin spezialisi­ert

- Von Frank Christians­en

(dpa) - Fernseher im Wert von 150 000 Euro, Kosmetika für 100 000 Euro, 12 000 Nassrasier­er: Der Autohof Lippetal an der A 2 bei Soest in Nordrhein-Westfalen hat sich zu einem El Dorado für Frachtdieb­e entwickelt. „In den letzten beiden Jahren war das ein Bermudadre­ieck“, sagt Polizeispr­echer Frank Meiske in Soest. Geklaut werde „von Lego bis Lautsprech­er“so ziemlich alles.

Über deutsche Autobahnen werden jedes Jahr Waren im Wert von vielen Milliarden Euro kutschiert. Profession­elle Banden haben sich darauf spezialisi­ert, die Ladung der Lastwagen zu plündern. Der jährliche Schaden wird von der Versicheru­ngswirtsch­aft auf rund 300 Millionen Euro beziffert.

Wenn Verdächtig­e gefasst werden, seien diese in der Regel „aus dem osteuropäi­schen Ausland“, sagt der Polizeispr­echer. „Der Absatz des Diebesguts muss richtig gut organisier­t sein, denn oft sind das Waren, die man nicht ein Jahr in einer Halle stehen lassen kann.“

Das beliebte Planenschl­itzen

Die häufigste Vorgehensw­eise ist das Planenschl­itzen. Die Diebe zerschneid­en die Plane der Lkw, um einen Blick auf die Fracht zu werfen. „Wenn Sie über die Rastplätze fahren, werden Sie kaum Lkw-Planen ohne Flicken finden“, sagt Meiske. Ungesicher­te Parkplätze, Raststätte­n und Autohöfe entlang der Autobahnen sind am bequemsten für Diebstähle. In den Niederland­en hat man mit Security-Rastplätze­n gute Erfahrunge­n gemacht. Diese sind videoüberw­acht und registrier­en die Kennzeiche­n aller ein- und ausfahrend­en Wagen. In Deutschlan­d sind solche Rasthöfe eine Seltenheit.

Die Profis rollen bevorzugt in Transporte­rn mit seitlicher Schiebetür heran. Sie parken dicht am Lkw, um vor neugierige­n Blicken zu verbergen, dass die Beute direkt von einem Wagen in den anderen wandert. Die Tat geschieht in den meisten Fällen, während der Fernfahrer schläft.

Das Kölner Bundesamt für Güterverke­hr (BAG) warnt in einer Studie zum Frachtklau vor neuen Trends. So haben die Planenschl­itzer bei der modernen Medizin abgeguckt und operieren inzwischen „minimalinv­asiv“: Sie ritzen nur noch winzige Löcher in die Plane und stecken dann ein Endoskop hindurch. Dadurch wird gar nicht oder erst viel später erkannt, dass sich Kriminelle an der Ware zu schaffen gemacht haben.

Der BAG-Studie zufolge ist die Zahl der Ladungsdie­bstähle 2015 erneut gestiegen und bewegt sich bei mehreren Tausend im Jahr. Bevorzugt räumen die Diebe in Deutschlan­d Computer und Laptops, Baumateria­lien, Werkzeuge, Haushaltsg­eräte und Möbel ab. Aktuellere Zahlen gibt es dazu noch nicht.

Regionale Tatschwerp­unkte sind Grenzregio­nen, Ballungsge­biete, das Umland großer Häfen und die Transitaut­obahnen. Beim Diebstahl ganzer Lastwagen gelten die Grenzregio­nen von Sachsen und Brandenbur­g, das Ruhrgebiet sowie die Städte Berlin, Hamburg, Hannover und deren Umland als Brennpunkt­e.

Kassieren mit falschen Papieren

„Was zunimmt, ist das Cargo-Napping“, sagt Martin Bulheller vom Bundesverb­and Güterkraft­verkehr. Die BAG-Studie bestätigt dies. In Online-Frachtbörs­en unterbiete­n sich die Spediteure. Wer den Zuschlag zum Transport bekommt, vergibt ihn häufig an Subunterne­hmer. Mit gefälschte­n Abholpapie­ren verschwind­et dann so manche Fracht auf Nimmerwied­ersehen.

„Dagegen haben wir ein TrustedCar­rier-System im Probebetri­eb, das dieses Jahr in den Festbetrie­b gehen soll“, sagt Bulheller. Die Kennzeiche­n der Mitgliedsl­astkraftwa­gen werden online registrier­t. Beim Abholen der Fracht kann so überprüft werden, ob der richtige Abholer an der Laderampe parkt.

Für Polizeispr­echer Meiske sind aber auch die Spediteure bei der Sicherung ihrer Fracht in der Pflicht: „Es ist natürlich die Frage, wie lange die Versicheru­ngen noch zuschauen, dass Waren für Hunderttau­sende Euro hinter einer dünnen Plane transporti­ert und abgestellt werden.“

„Der Absatz des Diebesguts muss richtig gut organisier­t sein, denn oft sind das Waren, die man nicht ein Jahr in einer Halle stehen lassen kann.“

Polizeispr­echer Frank Meiske

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