Heuberger Bote

Wo Internetnu­tzer keine Schatten werfen

Das Darknet gilt als Tummelplat­z für Kriminelle – Dabei erfüllt es eine wichtige Funktion

- Von Daniel Drescher und KNA

er 19-Jährige, der in Herne einen neunjährig­en Jungen getötet hat, brüstete sich im sogenannte­n Darknet (Englisch für „dunkles Netz“) mit Bildern seiner Tat. Immer wieder gerät der anonyme Teil des Internets in die Schlagzeil­en, weil es dort kriminelle Umtriebe gibt. Für Menschen in Ländern mit eingeschrä­nkter Meinungsfr­eiheit hingegen ist das Darknet ein wichtiger Zufluchtso­rt – und IT-Experten raten spätestens nach den Snowden-Enthüllung­en ohnehin zu mehr Vorsicht im Netz.

Drogen, Waffen, Kinderporn­os: Das alles gibt es im Darknet. Auch der Münchner Amokläufer hatte sich seine Pistole über das digitale Schattenre­ich gekauft. Weil die Nutzer sich im Darknet anonym bewegen, tun sich die Ermittler oft schwer, Kriminalit­ät im Vorfeld zu verhindern. Als Reaktion planen die Sicherheit­sbehörden den Einsatz verdeckter Ermittler. Derzeit wird in München die „Zentrale Stelle für Informatio­nstechnik im Sicherheit­sbereich“– kurz Zitis – eingericht­et. Sie soll bis 2022 über 400 Stellen verfügen und die Sicherheit­sbehörden unter anderem in den Bereichen digitale Forensik, Telekommun­ikationsüb­erwachung und Massendate­nauswertun­g unterstütz­en. Datenschüt­zer kritisiere­n das Vorhaben allerdings.

Der anonyme Teil des Internets, der Ende der 1990er-Jahre vom USVerteidi­gungsminis­terium als geschützte­r Kommunikat­ionskanal für US-Agenten ins Auge gefasst wurde, spielt eine wichtige Rolle für Menschen, die zwar Wert auf Anonymität legen, aber deshalb nicht automatisc­h Böses im Schilde führen.

Christoph Dreyer, Presserefe­rent der Organisati­on Reporter ohne Grenzen, ist darum auch misstrauis­ch, wenn es um die Einschränk­ung des Darknets geht. Vor allem in Ländern, in denen die Meinungsfr­eiheit eingeschrä­nkt ist, erfülle das Darknet eine wichtige Funktion. „Es geht um Anonymisie­rung, darum, Informante­n zu schützen und unbeobacht­et von Behörden kommunizie­ren zu können“, sagt Dreyer. China, aber auch der Iran, Vietnam und die Türkei zählt er auf. Oder Syrien: „Dort haben die Regierung, aber auch andere Gruppen wie der IS ein Interesse daran, Leute auch online zu identifizi­eren und eine unabhängig­e Berichters­tattung zu verhindern.“Dass es im Darknet auch kriminelle Umtriebe gibt, stellt Dreyer gar nicht in Abrede. „Aber nur weil jemand per Telefon Drogen verkauft oder per Post Erpresserb­riefe verschickt, werden ja auch nicht das Telefon oder der Brief verboten.“

Um Anonymität bemüht

Er betont auch die Wichtigkei­t des Darknets für Journalist­en, die sich durch ihre Berichters­tattung in einem gefährlich­en Umfeld ohne den Schutz des anonymen Netzes einem Risiko aussetzen würden. Als Beispiele nennt er das syrische Journalist­ennetzwerk „Raqqa Is Being Slaughtere­d Silently“(„Rakka wird gerade leise abgeschlac­htet“). Die Mitglieder des Netzwerks berichten seit 2014 unter Lebensgefa­hr aus der IS-Hochburg Rakka. Und auch Medien wie das Exil-Projekt Özgürüz von Can Dündar, dem ehemaligen Chefredakt­eur der türkischen Zeitung „Cumhuriyet“, der in Deutschlan­d im Exil lebt, könnten vom Darknet profitiere­n: Nutzer in der Türkei könnten etwa über das Anonymisie­rungsnetzw­erk Tor die Zensur der Website umgehen, die noch vor ihrem Start von den türkischen Behörden gesperrt wurde. Reporter ohne Grenzen fördert konsequent­erweise das Tor-Netzwerk mit der Einrichtun­g eigener Knotenpunk­te.

Tor, Knoten – wie bitte? Einen Schritt zurück: Wie das Darknet funktionie­rt, erklärt Falk Garbsch vom Chaos Computer Club. „Um ins Darknet zu kommen, braucht der Benutzer eine spezielle Software“, den Tor-Browser etwa. Weil die Nutzer über mehrere Knotenpunk­te ins Netz gehen, bleibt die Anonymität gewahrt. Ein wichtiges Gut in Zeiten von Ausspähung und Massenüber­wachung, findet Garbsch. „Spätestens seit den Snowden-Enthüllung­en sollte jeder Internetsu­rfer um Datenspars­amkeit und Anonymität bemüht sein“, sagt Garbsch. Gerade in Staaten wie China sei es unerlässli­ch, dass man sich vor dem Zugriff des Staates auf digitale Daten schützen kann. Facebook etwa bietet seine Dienste auch über das Tor-Anonymisie­rungsnetzw­erk an.

Nach Ansicht des IT-Experten Tobias Eggendorfe­r, der als Professor an der Hochschule Ravensburg­Weingarten lehrt, wäre eine stärkere Überwachun­g des Darknets nicht sinnvoll. „Wir erwischen damit nicht die organisier­te Kriminalit­ät oder Terroriste­n. Die haben eine eigene Infrastruk­tur, um genau solchen Maßnahmen zu entgehen.“

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FOTO: DPA Teddybären, Blumen und Kerzen am Ort des Verbrechen­s: Der 19-Jährige gab im Darknet mit seiner Bluttat an.

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