Wo Internetnutzer keine Schatten werfen
Das Darknet gilt als Tummelplatz für Kriminelle – Dabei erfüllt es eine wichtige Funktion
er 19-Jährige, der in Herne einen neunjährigen Jungen getötet hat, brüstete sich im sogenannten Darknet (Englisch für „dunkles Netz“) mit Bildern seiner Tat. Immer wieder gerät der anonyme Teil des Internets in die Schlagzeilen, weil es dort kriminelle Umtriebe gibt. Für Menschen in Ländern mit eingeschränkter Meinungsfreiheit hingegen ist das Darknet ein wichtiger Zufluchtsort – und IT-Experten raten spätestens nach den Snowden-Enthüllungen ohnehin zu mehr Vorsicht im Netz.
Drogen, Waffen, Kinderpornos: Das alles gibt es im Darknet. Auch der Münchner Amokläufer hatte sich seine Pistole über das digitale Schattenreich gekauft. Weil die Nutzer sich im Darknet anonym bewegen, tun sich die Ermittler oft schwer, Kriminalität im Vorfeld zu verhindern. Als Reaktion planen die Sicherheitsbehörden den Einsatz verdeckter Ermittler. Derzeit wird in München die „Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich“– kurz Zitis – eingerichtet. Sie soll bis 2022 über 400 Stellen verfügen und die Sicherheitsbehörden unter anderem in den Bereichen digitale Forensik, Telekommunikationsüberwachung und Massendatenauswertung unterstützen. Datenschützer kritisieren das Vorhaben allerdings.
Der anonyme Teil des Internets, der Ende der 1990er-Jahre vom USVerteidigungsministerium als geschützter Kommunikationskanal für US-Agenten ins Auge gefasst wurde, spielt eine wichtige Rolle für Menschen, die zwar Wert auf Anonymität legen, aber deshalb nicht automatisch Böses im Schilde führen.
Christoph Dreyer, Pressereferent der Organisation Reporter ohne Grenzen, ist darum auch misstrauisch, wenn es um die Einschränkung des Darknets geht. Vor allem in Ländern, in denen die Meinungsfreiheit eingeschränkt ist, erfülle das Darknet eine wichtige Funktion. „Es geht um Anonymisierung, darum, Informanten zu schützen und unbeobachtet von Behörden kommunizieren zu können“, sagt Dreyer. China, aber auch der Iran, Vietnam und die Türkei zählt er auf. Oder Syrien: „Dort haben die Regierung, aber auch andere Gruppen wie der IS ein Interesse daran, Leute auch online zu identifizieren und eine unabhängige Berichterstattung zu verhindern.“Dass es im Darknet auch kriminelle Umtriebe gibt, stellt Dreyer gar nicht in Abrede. „Aber nur weil jemand per Telefon Drogen verkauft oder per Post Erpresserbriefe verschickt, werden ja auch nicht das Telefon oder der Brief verboten.“
Um Anonymität bemüht
Er betont auch die Wichtigkeit des Darknets für Journalisten, die sich durch ihre Berichterstattung in einem gefährlichen Umfeld ohne den Schutz des anonymen Netzes einem Risiko aussetzen würden. Als Beispiele nennt er das syrische Journalistennetzwerk „Raqqa Is Being Slaughtered Silently“(„Rakka wird gerade leise abgeschlachtet“). Die Mitglieder des Netzwerks berichten seit 2014 unter Lebensgefahr aus der IS-Hochburg Rakka. Und auch Medien wie das Exil-Projekt Özgürüz von Can Dündar, dem ehemaligen Chefredakteur der türkischen Zeitung „Cumhuriyet“, der in Deutschland im Exil lebt, könnten vom Darknet profitieren: Nutzer in der Türkei könnten etwa über das Anonymisierungsnetzwerk Tor die Zensur der Website umgehen, die noch vor ihrem Start von den türkischen Behörden gesperrt wurde. Reporter ohne Grenzen fördert konsequenterweise das Tor-Netzwerk mit der Einrichtung eigener Knotenpunkte.
Tor, Knoten – wie bitte? Einen Schritt zurück: Wie das Darknet funktioniert, erklärt Falk Garbsch vom Chaos Computer Club. „Um ins Darknet zu kommen, braucht der Benutzer eine spezielle Software“, den Tor-Browser etwa. Weil die Nutzer über mehrere Knotenpunkte ins Netz gehen, bleibt die Anonymität gewahrt. Ein wichtiges Gut in Zeiten von Ausspähung und Massenüberwachung, findet Garbsch. „Spätestens seit den Snowden-Enthüllungen sollte jeder Internetsurfer um Datensparsamkeit und Anonymität bemüht sein“, sagt Garbsch. Gerade in Staaten wie China sei es unerlässlich, dass man sich vor dem Zugriff des Staates auf digitale Daten schützen kann. Facebook etwa bietet seine Dienste auch über das Tor-Anonymisierungsnetzwerk an.
Nach Ansicht des IT-Experten Tobias Eggendorfer, der als Professor an der Hochschule RavensburgWeingarten lehrt, wäre eine stärkere Überwachung des Darknets nicht sinnvoll. „Wir erwischen damit nicht die organisierte Kriminalität oder Terroristen. Die haben eine eigene Infrastruktur, um genau solchen Maßnahmen zu entgehen.“