Heuberger Bote

Von sakral bis kurios

Im deutschen Staubarchi­v in Köln lagern Hunderte Proben

- Von Sabine Kleyboldt

(KNA) - Heute gibt es frischen Staub aus Georgien. „Den hat mir ein Nachbar von einer Geschäftsr­eise mitgebrach­t“, freut sich Wolfgang Stöcker über die feinen Brösel aus einer Kirche. Der Klemmbeute­l – Typ Drogentütc­hen – wandert samt Nummer und Notizen in einen Aktenordne­r. Damit ist das Pröbchen ganz offiziell Teil des Deutschen Staubarchi­vs. Das hat der Künstler und Historiker Stöcker gegründet.

„Ich hatte nach einer Verbindung von Kunst und Geschichte, Humor und Vergänglic­hkeit gesucht“, erzählt der 47-Jährige, der mit seinem braunen Pferdeschw­anz alles andere als verstaubt wirkt. In gut 20 Ordnern hortet er rund 400 Proben aus aller Welt, fein unterteilt in „Kulturstäu­be“etwa aus Museen, „Politische Stäube“aus Parlamente­n oder Rathäusern, „Kulinarisc­he Stäube“vor allem aus Weinkeller­n, „Naturraums­täube“und „Musikalisc­he Stäube“aus berühmten Instrument­en wie etwa Beethovens Hammerflüg­el.

Die umfangreic­hste Rubrik des Archivs trägt die Überschrif­t „Sakrale Stäube“: mit Flusen, Wollmäusen oder Körnchen aus der weltgrößte­n Moschee in Abu Dhabi, einem Tempel in Laos oder der Klagemauer, vor allem aber aus unzähligen Kirchen wie dem Hamburger Michel oder dem Kölner Dom. „Hier wird seit Jahrhunder­ten durch sakrale Verehrung oder auch durch Krönungen Bedeutung aufgeladen. Das gibt es sonst nirgends“, so Stöcker, der sich von der Aktionskun­st der Fluxusbewe­gung, von Dada und Joseph Beuys inspiriert fühlt.

Faible für Vergänglic­hkeitssymb­olik

Ein Faible für Vergänglic­hkeitssymb­olik, etwa am Beispiel Aschermitt­woch oder bei Beerdigung­en, hatte der Familienva­ter schon als Messdiener. Und für seine Dissertati­on hat Stöcker die rheinische Sterbe- und Bestattung­skultur untersucht. Um sein Archiv zu füllen, muss der Zweimeterm­ann schon eine Menge Staub aufwirbeln. Die Lawine kam 2004 durch erste Briefe an Kirchen ins Rollen – und die höfliche Rückfrage des Aachener Domkapitel­s nach dem Sinn des Ganzen. „Dadurch bin ich dann selber noch tiefer in den Staub eingetauch­t: Was hat es damit auf sich?“Die Antworten fallen so vielschich­tig aus wie der Staub in einem alten Keller.

So sei die unbeliebte Substanz meist nichts anderes als Architektu­rabrieb und damit ein Symbol für Kultur. Wer seine Sachen verstauben lässt, schätzt sie nicht, sagt Stöcker. Zudem sei Staub „ein Demokrat“, weil er auch vor Palästen nicht haltmache.

Solche Gedankensp­iele freuen auch Stöckers zahlreiche „Staubscout­s“. Durch sie ist er zu Proben aus Belüftungs­schächten des Empire State Building, von der Chinesisch­en Mauer, dem früheren Düsseldorf­er Stadion, vom Taj Mahal und – darauf ist er besonders stolz – aus der Neujahrsme­sse im Petersdom mit dem damaligen Papst Benedikt XVI. gelangt. Doch bei allem Sammlersto­lz – bestimmte Stäube kommen für Stöcker nicht in die Tüte. „Mir wurde einmal Staub aus einem Foltergefä­ngnis der Roten Khmer in Kambodscha angeboten. Das habe ich abgelehnt, weil es mit zu viel negativer Energie aufgeladen ist.“

Am Zoll gescheiter­t

Manchmal scheitert die Archivieru­ng auch an der Bürokratie. Wie bei dem Scout, der Staub vom Tempel des Himmels in Peking nicht durch den Zoll bekam. „Das große chinesisch­e Reich fühlte sich durch eine Staubfluse provoziert“, so Stöcker.

Wo Stöcker gerne mal kräftig abstauben würde? „Ich schreibe seit Jahren die Bundespräs­identen an, aber die reagieren nie. Und Frau Merkel schickt auch keinen Staub“, beklagt der Sammler. Dagegen lieferten kleinere Institutio­nen meist bedenkenlo­s, sagt Stöcker. „Aber die großen haben wohl Angst, dass der Staub irgendwie an ihnen kleben bleibt.“

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FOTO: DPA Auch Staub aus alten Instrument­en, wie diesem Hammerflüg­el, wird gesammelt.

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