Das Haus, das mitaltert
Ein Rundgang durch ein mehrgenerationentaugliches Musterhaus
- Wer das rechteckige Haus mit der roten Fassade und den großen Fenstern in der Siedlungsstraße 1 in der Mühlheimer Vorstadt betritt, hat auf den ersten Blick nicht den Eindruck, er würde ein behindertenwie seniorengerechtes Terrain betreten. „Das soll man auch nicht“, erklärt Jürgen Kupferschmid, Berater für Kommunikation. Erst auf den zweiten Blick offenbaren sich viele Details und Merkmale des Hauses, das mit dem Bewohner gewissermaßen „mitaltert“. Die Wohnung erinnert nicht im mindesten an die Klause eines Seniorenheims, bietet aber die Annehmlichkeiten wie Raum und Barrierefreiheit. Kupferschmid als Bauherr ließ zusammen mit seiner Partnerin, der Architektin Cornelia Lurz, ein mehrgenerationentaugliches Musterhaus vor fünf Jahren bauen, dessen Entwurf aus Lurz’ Feder stammt. Binnen sechs Wochen stand das Haus. Äußerlich soll der „rote Kasten“polarisieren, einen Akzent setzen, sagt Kupferschmid. „Die Leute bleiben stehen und fragen sich, was sich dahinter verbirgt.“Bereits der großzügig angelegte Parkplatz mit ebenerdigem Zugang vom geparkten Auto bis hinein in die Wohnung ist barrierefrei – Senioren am Rollator, Menschen mit Gehhilfen oder Rollstuhlfahrer sind keine Hürden beim Zugang zur Wohnung in den Weg gestellt. Das dürfte einer Familie mit Kindern (noch) nicht auffallen. Spätestens aber wenn das Alter oder Krankheiten die Mobilität beeinträchtigen, muss beim Thema Barrierefreiheit nicht nachjustiert werden.
Gleiches gilt für einen Aufzug, den es noch nicht gibt, der die Wohnung im Obergeschoss sowie den Keller bei Bedarf zugänglich machen könnte – der Aufzug ist durch die vorausschauende Bauweise des Hauses jederzeit nachrüstbar.
Die Raumaufteilung ist schlicht und schnörkellos, Platz wird keiner verschenkt, der Raum maximal ausgenutzt. „Prinzip der Einfachheit“, nennt Kupferschmid das. Die Wände sind mit Holz verkleidet, was die Atmosphäre warm macht, aber für Hörbehinderte Menschen durch die gedämpfte Akustik ein Labsal ist. Menschen mit Sehbehinderung bekommen durch den Kontrast der dunkelfarbigen Lichtschalter und Bedienungselemente ebenfalls Unterstützung bei der Navigation durch die Wohnung.
Zudem sind die Lichtschalter und der Haustürgriff tiefergelegt, um Menschen im Rollstuhl wie auch Kindern das Leben zu erleichtern. Die Türen innerhalb der Wohnung allerdings lassen sich auf- und zuschieben, eine türhohe Kantenleiste bietet kinderleichtes Öffnen in jeder Höhenposition an. Dieses Merkmal verdeutlicht, dass mehrgenerationentaugliches Bauen kein Hexenwerk ist. Auch sparen die Schiebetüren Platz in den Räumen. Im Badezimmer, das für Rollstuhlfahrer genügend Raum zum Bewegen aufweist, gibt es Haltegriffe am WC, die Badewanne ist für ein leichtes Einsteigen abgesenkt, das Waschbecken ebenfalls tiefergelegt und flach gestaltet, sodass ein Rollstuhlfahrer „drunter fahren“kann. Die Dusche ist praktischerweise ebenfalls bereits ebenerdig angelegt.
Die Bodenfliesen sind rutschfest und bieten für Menschen, die schlecht zu Fuß sind, genug Halt. Der Wohn-Ess-Bereich gibt sich lichtdurchflutet, die bodentiefe Fensterfront lässt viel Sonne ins Innere. „Wir haben hier die Natur und die Sonne im Wohnzimmer“, sagt Kupferschmid, der demonstriert, dass der Ausgang auf die hölzerne Terrasse ebenfalls ohne Hürde gebaut ist.
Außerdem versorgt eine Wärmepumpe das Haus mit Wärme, eine Photovoltaikanlage mit Energie. Seit dem Bau ist die Musterwohnung zu mieten, Besichtigungstouren werden regelmäßig durchgeführt. Das Haus dient als Prototyp, um dem demografischen Wandel in punkto Wohnen die Stirn zu bieten und ist mittlerweile Vorbild für Mehrgenerations-Bauten.
Der Buchheimer Gemeinderat beispielsweise hat sich das Musterhaus bereits besehen und beschlossen, ebenfalls in diese Richtung etwas zu unternehmen. Das waren keine hohlen Phrasen – mittlerweile betreut Jürgen Kupferschmid ein vom Land gefördertes Demografie-Projekt in Buchheim.