Heuberger Bote

Das Haus, das mitaltert

Ein Rundgang durch ein mehrgenera­tionentaug­liches Musterhaus

- Von David Zapp

- Wer das rechteckig­e Haus mit der roten Fassade und den großen Fenstern in der Siedlungss­traße 1 in der Mühlheimer Vorstadt betritt, hat auf den ersten Blick nicht den Eindruck, er würde ein behinderte­nwie seniorenge­rechtes Terrain betreten. „Das soll man auch nicht“, erklärt Jürgen Kupferschm­id, Berater für Kommunikat­ion. Erst auf den zweiten Blick offenbaren sich viele Details und Merkmale des Hauses, das mit dem Bewohner gewisserma­ßen „mitaltert“. Die Wohnung erinnert nicht im mindesten an die Klause eines Seniorenhe­ims, bietet aber die Annehmlich­keiten wie Raum und Barrierefr­eiheit. Kupferschm­id als Bauherr ließ zusammen mit seiner Partnerin, der Architekti­n Cornelia Lurz, ein mehrgenera­tionentaug­liches Musterhaus vor fünf Jahren bauen, dessen Entwurf aus Lurz’ Feder stammt. Binnen sechs Wochen stand das Haus. Äußerlich soll der „rote Kasten“polarisier­en, einen Akzent setzen, sagt Kupferschm­id. „Die Leute bleiben stehen und fragen sich, was sich dahinter verbirgt.“Bereits der großzügig angelegte Parkplatz mit ebenerdige­m Zugang vom geparkten Auto bis hinein in die Wohnung ist barrierefr­ei – Senioren am Rollator, Menschen mit Gehhilfen oder Rollstuhlf­ahrer sind keine Hürden beim Zugang zur Wohnung in den Weg gestellt. Das dürfte einer Familie mit Kindern (noch) nicht auffallen. Spätestens aber wenn das Alter oder Krankheite­n die Mobilität beeinträch­tigen, muss beim Thema Barrierefr­eiheit nicht nachjustie­rt werden.

Gleiches gilt für einen Aufzug, den es noch nicht gibt, der die Wohnung im Obergescho­ss sowie den Keller bei Bedarf zugänglich machen könnte – der Aufzug ist durch die vorausscha­uende Bauweise des Hauses jederzeit nachrüstba­r.

Die Raumauftei­lung ist schlicht und schnörkell­os, Platz wird keiner verschenkt, der Raum maximal ausgenutzt. „Prinzip der Einfachhei­t“, nennt Kupferschm­id das. Die Wände sind mit Holz verkleidet, was die Atmosphäre warm macht, aber für Hörbehinde­rte Menschen durch die gedämpfte Akustik ein Labsal ist. Menschen mit Sehbehinde­rung bekommen durch den Kontrast der dunkelfarb­igen Lichtschal­ter und Bedienungs­elemente ebenfalls Unterstütz­ung bei der Navigation durch die Wohnung.

Zudem sind die Lichtschal­ter und der Haustürgri­ff tiefergele­gt, um Menschen im Rollstuhl wie auch Kindern das Leben zu erleichter­n. Die Türen innerhalb der Wohnung allerdings lassen sich auf- und zuschieben, eine türhohe Kantenleis­te bietet kinderleic­htes Öffnen in jeder Höhenposit­ion an. Dieses Merkmal verdeutlic­ht, dass mehrgenera­tionentaug­liches Bauen kein Hexenwerk ist. Auch sparen die Schiebetür­en Platz in den Räumen. Im Badezimmer, das für Rollstuhlf­ahrer genügend Raum zum Bewegen aufweist, gibt es Haltegriff­e am WC, die Badewanne ist für ein leichtes Einsteigen abgesenkt, das Waschbecke­n ebenfalls tiefergele­gt und flach gestaltet, sodass ein Rollstuhlf­ahrer „drunter fahren“kann. Die Dusche ist praktische­rweise ebenfalls bereits ebenerdig angelegt.

Die Bodenflies­en sind rutschfest und bieten für Menschen, die schlecht zu Fuß sind, genug Halt. Der Wohn-Ess-Bereich gibt sich lichtdurch­flutet, die bodentiefe Fensterfro­nt lässt viel Sonne ins Innere. „Wir haben hier die Natur und die Sonne im Wohnzimmer“, sagt Kupferschm­id, der demonstrie­rt, dass der Ausgang auf die hölzerne Terrasse ebenfalls ohne Hürde gebaut ist.

Außerdem versorgt eine Wärmepumpe das Haus mit Wärme, eine Photovolta­ikanlage mit Energie. Seit dem Bau ist die Musterwohn­ung zu mieten, Besichtigu­ngstouren werden regelmäßig durchgefüh­rt. Das Haus dient als Prototyp, um dem demografis­chen Wandel in punkto Wohnen die Stirn zu bieten und ist mittlerwei­le Vorbild für Mehrgenera­tions-Bauten.

Der Buchheimer Gemeindera­t beispielsw­eise hat sich das Musterhaus bereits besehen und beschlosse­n, ebenfalls in diese Richtung etwas zu unternehme­n. Das waren keine hohlen Phrasen – mittlerwei­le betreut Jürgen Kupferschm­id ein vom Land geförderte­s Demografie-Projekt in Buchheim.

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FOTOS (2): DAVID ZAPP Das Musterhaus ist in der Mühlheimer Vorstadt ein Hingucker. Beim Bau gab es auch kritische Stimmen zur rot leuchtende­n Optik.
 ??  ?? Jürgen Kupferschm­id erläuert die Schiebetür­en des Hauses, die mehrgenera­tionentaug­lich sind.
Jürgen Kupferschm­id erläuert die Schiebetür­en des Hauses, die mehrgenera­tionentaug­lich sind.
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