Heuberger Bote

Schottland als Chance für die EU

- Von Alexei Makartsev

Als die Schotten 2014 mit 55 zu 45 Prozent der Stimmen Nein zur Unabhängig­keit sagten, nannte die erleichter­te EU-Kommission das Ergebnis „gut für das geeinte, offene und starke Europa“. Drei Jahre später kündigt die Regionalre­gierung in Edinburgh ein zweites Referendum an. Gibt es Proteste und Mahnungen in Brüssel? Weit gefehlt.

In den knapp drei Jahren hat sich auf dem Kontinent viel verändert. Weder geeint noch wirklich offen ist Europa heute, dessen Mitgliedss­taaten durch Zäune, Grenzkontr­ollen, Isolationi­smus und unsolidari­sches Handeln in der Flüchtling­skrise den Gemeinscha­ftsgedanke­n aushöhlen. Nach dem Brexit wird Europa in Zukunft auch weniger stark sein.

Das Vereinigte Königreich wird sich unvermeidl­ich von der EU verabschie­den. Darum ist ein schottisch­es Ja zur staatliche­n Souveränit­ät im zweiten Anlauf keine Horrorvisi­on mehr für Britannien­s Partner im Ausland. Im Gegenteil: Manche werden im neuen Vorstoß der charismati­schen Nationalis­tin Nicola Sturgeon eine große Chance für die kriselnde europäisch­e Idee sehen. Schottland sieht sich Kontinenta­leuropa kulturell und wirtschaft­lich sehr eng verbunden, es ist demokratis­ch und rechtsstaa­tlich, zudem gelten dort bereits die gleichen EU-Gesetze wie in Frankreich und Polen. Sollten die „Braveheart“-Nachfolger den Alleingang wagen und formell den EU-Beitritt beantragen, darf sich Europa vielleicht bald über ein neues, engagierte­s Mitglied freuen, für das Integratio­n kein Schimpfwor­t ist.

Ein souveränes Schottland in der EU könnte nach dem Brexit den Regierunge­n in Westminste­r als Brücke nach Europa sogar nützlich sein. Ohnehin hat die konfliktbe­ladene politische Partnersch­aft zwischen London und Edinburgh in der jetzigen Form keine guten Perspektiv­en. Aus der Sicht der Schotten hat Premiermin­isterin May im Brexit-Prozess ihre Befindlich­keiten ignoriert. Anders als 2014 kann London den Schotten für die Zukunft keine Wohlstands­garantien bieten. So oder so wird ihre Zukunft ungewiss sein. Warum also nicht einen gut geplanten Sprung in die Unabhängig­keit riskieren?

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