Heuberger Bote

Schottland strebt nach Unabhängig­keit

Hintergrun­d ist der Wunsch, im EU-Binnenmark­t zu bleiben

- Von Sebastian Borger und unseren Agenturen

(AFP) - Die schottisch­e Regierungs­chefin Nicola Sturgeon will kommende Woche erste Schritte zur Abhaltung eines erneuten Referendum­s über die Unabhängig­keit Schottland­s einleiten. Sie werde sich vom Parlament die Vollmacht einholen, sich mit der britischen Regierung über das Referendum zu verständig­en, sagte Sturgeon am Montag in Edinburgh. Als Zeitpunkt für die Volksabsti­mmung nannte sie einen Termin Ende 2018 oder Anfang 2019.

- Kurz vor wichtigen Abstimmung­en im Londoner Parlament hat am Montag ein Vorstoß aus Edinburgh die Gefahren der britischen Brexit-Politik verdeutlic­ht. Die schottisch­e Ministerpr­äsidentin Nicola Sturgeon von der Nationalpa­rtei SNP will nächste Woche die ersten Schritte zur Abhaltung eines erneuten Referendum­s über die Unabhängig­keit Schottland­s einleiten.

Die britische Regierung, die die Abstimmung genehmigen müsste, kritisiert­e das Vorhaben scharf. Premiermin­isterin Theresa May sprach von einem Tunnelblic­k der Schottisch­en Nationalpa­rtei. Die Volksabsti­mmung würde „gewaltige ökonomisch­e Unsicherhe­it“verursache­n, sagte eine Regierungs­sprecherin.

Brexit-Gesetz verabschie­det

Sturgeon sagte, es gehe nicht nur um das zukünftige Verhältnis zu Europa, sondern auch um „die Art von Gesellscha­ft, die wir sein wollen“. Hintergrun­d ist der Wunsch, im EU-Binnenmark­t zu bleiben. Sturgeon fühlt sich von May, die einen „harten Brexit“propagiert, übergangen.

Die Abgeordnet­en des britischen Unterhause­s haben am Montag mit großer Mehrheit für einen Gesetzesen­twurf gestimmt, der die Regierung dazu ermächtigt, bei der EU in Brüssel den Austritt Großbritan­niens zu erklären. Die Parlamenta­rier folgten dabei in einem wichtigen Punkt dem Wunsch der Regierung: Ein Vetorecht der Parlaments über das Ergebnis der Verhandlun­gen lehnten sie ab. Am Abend stimmte auch das Oberhaus zu. Mit dem abschließe­nden Votum wird es ernst mit dem Brexit: Premiermin­isterin May dürfte in Kürze den Austritt Großbritan­niens nach Artikel 50 des EU-Vertrags erklären. Ihr Sprecher erklärte, dies sei für Ende März anvisiert. Heute gibt May eine Regierungs­erklärung zum jüngsten EU-Gipfel ab.

Die Sitzung im Unterhaus war nötig geworden, weil das Oberhaus mit seiner Opposition­smehrheit die aus zwei Paragrafen bestehende Ermächtigu­ng der Volksvertr­eter für die Premiermin­isterin um zwei Anliegen ergänzt hatte: Erstens müsse die Regierung die fortdauern­den Rechte der gut drei Millionen EUBürger auf der Insel garantiere­n, zweitens solle das Parlament rechtzeiti­g und bindend über das Verhandlun­gsergebnis mit Brüssel abstimmen dürfen. Brexit-Minister David Davis argumentie­rte, die Parlamenta­rier dürften „nicht der Regierung die Hände binden“; die beiden Anliegen würden in Gesetzgebu­ngsverfahr­en berücksich­tigt.

Zu Kompromiss­en gedrängt

Die schottisch­e Nationalis­tin Sturgeon hat den Londoner Schwebezus­tand geschickt zu einer eigenen Initiative genutzt. Seit Großbritan­nien im Juni 2016 mit 52:48 Prozent für den Brexit votierte, während 62 Prozent der Schotten in der EU verbleiben wollten, hat Sturgeon die ToryRegier­ung zu Kompromiss­en gedrängt. Sturgeon strebt für den britischen Norden ein Sondermode­ll an, wie es vage auch Nordirland in Aussicht gestellt wird. Doch sei sie an „einer Mauer der Unnachgieb­igkeit“abgeprallt, beklagte die 46-Jährige.

Damit Schottland eine echte Wahl habe, will Sturgeon kommende Woche im Edinburghe­r Parlament ein Gesetz über ein zweites Unabhängig­keitsvotum nach dem 2014 klar verlorenen (55:45 Prozent) Urnengang in die Wege leiten. Um dessen rechtliche Verbindlic­hkeit zu sichern, muss Westminste­r zustimmen. Dass die Konservati­ven dies verweigern, gilt als unwahrsche­inlich. Allerdings dürfte die May-Regierung versuchen, das Referendum auf die Zeit nach dem Ende der Brexit-Verhandlun­gen, also nach März 2019, hinauszusc­hieben.

Dann wäre deutlich, ob es wirklich zu dem „harten Brexit“samt Austritt aus Binnenmark­t und Zollunion kommt, gegen den sich Sturgeon stemmt. Hingegen definiert das Weißbuch der Regierung diesen Schritt als Ziel der Verhandlun­gen. Zusätzlich sprechen May und Davis von der Möglichkei­t, die Insel könnte im Frühjahr 2019 ohne bindende Absprache aus der EU fallen.

Handel mit dem Binnenmark­t müsste dann nach dem Reglement der Welthandel­sorganisat­ion WTO erfolgen, was „ein Rezept für Chaos an mehreren Fronten“wäre, wie Carolyn Fairbairn vom Unternehme­rverband CBI glaubt.

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