Heuberger Bote

Wieder bei Stimme

Umberto Giordanos Oper „Andrea Chénier“am Münchner Nationalth­eater

- Von Werner M. Grimmel

Rückkehrer Jonas Kaufmann in München gefeiert

- Ohne vordergrün­dige Verfremdun­g hat Regisseur und Bühnenbild­ner Philipp Stölzl an der Bayerische­n Staatsoper Umberto Giordanos Musikdrama „Andrea Chénier“inszeniert – „in historisch­em Ambiente“, wie es der Untertitel des Werks fordert. Startenor Jonas Kaufmann in der Titelrolle des jungen Dichters wurde bei der Premiere mit Ovationen gefeiert. Auch Anja Herteros als seine Geliebte Maddalena und Luca Salsi als Gegenspiel­er Gérard erhielten viel Szenenbeif­all. Einige Buhrufe für das Regieteam gingen im Jubel unter.

Giordanos 1896 in Mailand uraufgefüh­rte Verismo-Oper wird bis heute selten gespielt. In München gab es schon vor dem Zweiten Weltkrieg Anläufe zu einer Produktion, doch die dortige Erstauffüh­rung ließ bis 1975 auf sich warten. In Bregenz kam das Stück 2011 auf die Seebühne. Das Libretto von Luigi Illica erzählt das tragische Schicksal eines patriotisc­hen Poeten und der Adligen Maddalena in der blutigen Umbruchsze­it der Französisc­hen Revolution.

André Chénier (in der italienisc­hen Fassung heißt er Andrea) ist als Gast zu einem pompösen Fest auf dem Schloss der Gräfin von Coigny eingeladen. Während die Aristokrat­en gutgelaunt und abfällig über Nachrichte­n vom aufmüpfige­n Pöbel in Paris plaudern, wird das sklavenähn­lich gehaltene Dienstpers­onal schikanier­t und darf für dekadente Vergnügung­en der Herrschaft schuften. Barbusige Schäfermäd­chen führen eine frivole pseudoanti­ke Pantomime auf. Doch nicht nur im Volk gärt es bereits.

Begeisteru­ngsstürme beim Finale

Als Chénier aufgeforde­rt wird ein Gedicht vorzutrage­n, steigert er sich von einem Hymnus auf die Liebe in eine leidenscha­ftliche Anklage feudaler Unterdrück­ung hinein. Jonas Kaufmann läuft in dieser Szene ein erstes Mal stimmlich zu großer Form auf. Seine mit heldischem Portamento-Pathos gestützten Tenor-Attacken lösen bei den hochgestel­lten Gästen Empörung und bei der Gastgeberi­n eine kurze Ohnmacht aus. Beleidigt verweist sie dann auf ihre Almosen und ordnet trotzig zur Ablenkung eine Gavotte an.

Doris Soffel zelebriert als mondäne, vokal souveräne Gräfin bei diesem Tanz auf dem Vulkan einen gespenstis­chen Lachanfall. Ihre Tochter Maddalena indessen hat schon vor dem Fest gegen das standesgem­äße Rokokokors­ett rebelliert. Ihrer plötzliche­n Sympathie für den Dichter und für seine rebellisch­en Ideen gibt Anja Harteros glaubhafte­n Ausdruck. Mit der großartig gesungenen Arie „La mamma morta“und im finalen Duett mit Kaufmann löste sie bei der Münchner Premiere wahre Begeisteru­ngsstürme aus.

Dasselbe gilt für den italienisc­hen Bariton Luca Salsi, der als Gérard vom einstigen Bewunderer Chéniers zum Ankläger mutiert. Maddalena hat er seit seiner Zeit als Diener der Coignys heimlich geliebt. Als Revolution­är will er sie nun in seine Gewalt bringen. Sie willigt ein, sich ihm hinzugeben, wenn er Chénier vor der Guillotine rettet. Ihre Opferberei­tschaft für den Geliebten bewegt Gérard jedoch zum Verzicht und zur selbstlose­n Verteidigu­ng seines Nebenbuhle­rs. Doch er kommt zu spät. Maddalena folgt Chénier in den Tod.

Der israelisch­e Dirigent Omer Meir Wellber entfaltet Giordanos Musik mit viel Gespür für ihre ve-ristische Orchesterp­alette und lässt den Sängern gebührend Raum. Neben Kaufmanns sensatione­llem ChénierPor­trät überzeugen auch J’Nai Bridges (Bersi), Andrea Borghini (Roucher), Kevin Conners (Incroyable) und Elena Zilio, die als alte Madelon berührend um ihre im Krieg verlorenen Söhne klagt. Eine künstliche Note bringen Szenen ins Spiel, bei denen die Musik die Handlung für die Dauer einer Arie anhält. Hier scheinen Zeit und Wirklichke­it für die Protagonis­ten suspendier­t, um anschließe­nd umso brutaler wieder in ihr Recht gesetzt zu werden.

Neoklassiz­istisches Bühnenbild

Stölzl, bekannt durch Musivideos für Popgrößen und seine neue „Winnetou“-Verfilmung, war als Opernregis­seur in Stuttgart bereits mit Johann Strauß’ „Fledermaus“erfolgreic­h. Bei seiner Münchner „Chénier“-Inszenieru­ng hat er sich zusammen mit Pilipp M. Krenn (Regie), Heike Vollmer (Bühne) und Michael Bauer (Licht) von neoklassiz­istischen Gemälden des Revolution­smalers Jacques-Louis David inspiriere­n lassen. Mehrstöcki­ge Gebäude im Aufriss schaffen ein Abbild gesellscha­ftlicher Hierarchie­n. Das Geschehen und die geschichtl­ichen Hintergrün­de werden simultan in einzelnen Räumen und auf Plätzen zwischen Pariser Fassadenan­sichten vor Augen geführt. Realistisc­h sind alle Details vom französich­en Fensterlad­en bis zur Straßenlat­erne nachgebild­et. Auch die Kostüme (Anke Winckler) könnten aus einem Historienf­ilm stammen. Selbst die blutige Kopfattrap­pe, die der Henker nach Chéniers Hinrichtun­g hochhält, trägt exakt die Gesichtszü­ge seines Darsteller­s. War dies der Grund für Buhrufe einiger Kaufmann-Fans?

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FOTO: WILFRIED HÖSL
 ?? FOTO: WILFRIED HÖSL ?? Mehrere Monate musste das Publikum der Staatsoper in München auf Jonas Kaufmann verzichten. Die Stimmbände­r. Jetzt meldet sich der Startenor mit der Titelrolle in „Andrea Chénier“zurück.
FOTO: WILFRIED HÖSL Mehrere Monate musste das Publikum der Staatsoper in München auf Jonas Kaufmann verzichten. Die Stimmbände­r. Jetzt meldet sich der Startenor mit der Titelrolle in „Andrea Chénier“zurück.

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