Heuberger Bote

Die Macht der Worte

Fast 150 Journalist­en sitzen in der Türkei in Haft – Immer mehr suchen Zuflucht im deutschen Exil

- Von Christin Hartard

RAVENSBURG - Es war keine leichte Entscheidu­ng. Nein, wirklich nicht. Viele schlaflose Nächte und schlechte Träume sind ihr vorausgega­ngen. Vor allem die Angst um ihren Sohn trieb Tülay um. Was soll aus ihm werden, wenn sie im Gefängnis sitzt? Irgendwann habe sie sich in ihrer eigenen Wohnung nicht mehr sicher gefühlt, erzählt sie. Im August 2016 war es dann soweit. Sie, ihr Mann und Sohn packten die Koffer, ließen die Familie und ihr Heimatland hinter sich und kamen nach Deutschlan­d.

Ihren echten Namen möchte die 33-Jährige nicht in der Zeitung lesen. Zu groß ist die Angst davor, dass sie ihre Lieben zu Hause in der Türkei damit in Gefahr bringen könnte. Tülay ist Journalist­in. Zehn Jahre lang schrieb sie in Istanbul für die Zeitung „Zaman“– eine der auflagenst­ärksten Zeitungen im Land. Am 4. März 2016 stürmen Polizisten die Redaktions­räume. Die Regierung übernimmt die Kontrolle über die Zeitung. Der Grund: „Zaman“steht der Bewegung des islamische­n Predigers Fethullah Gülen nahe. Nachdem es zwischen Gülen und Präsident Recep Tayyip Erdogan zum Zerwürfnis kam, erklärte die türkische Regierung die Bewegung zur Terrororga­nisation. „Sie haben unsere Zeitung in eine Propaganda­maschineri­e verwandelt. Es gab keine einzige regierungs­kritische Zeile mehr“, sagt Tülay, die heute in Augsburg lebt. Nach der Übernahme wird sie entlassen. Ohne Vorwarnung. Ohne Entschädig­ung.

Lange Liste Verhaftete­r

So wie Tülay soll es einige Monate später noch Tausenden anderen gehen. Nach dem Putschvers­uch im Juli 2016 wurden nicht nur Lehrer, Soldaten und Ministeriu­msmitarbei­ter entlassen, sondern auch kritische Zeitungen, Fernseh- und Radiostati­onen geschlosse­n. Die Organisati­on „Reporter ohne Grenzen“spricht von 150 Medienhäus­ern und Redaktione­n. Darunter auch „Zaman“. Laut „Reporter ohne Grenzen“steht die Türkei derzeit auf Platz 151 von 180 Ländern, was die Pressefrei­heit angeht – und damit noch hinter Russland oder Pakistan. Überhaupt von Pressefrei­heit zu sprechen, falle im Bezug auf die Türkei schon länger schwer, sagt Anne Renzenbrin­k von „Reporter ohne Grenzen“. Vor allem angesichts der vielen Verhaftung­en: 1. Abdulkadir Turay 2. Abdullah Kilic 3. Abdullah Özyurt 4. Ahmet Altan ... Die Liste der Namen auf der Webseite der „Europäisch­en Journalist­en Föderation“(EJF) ist lang. Wer bis zur Nummer 62 durchhält, stößt auf Hayati Yildiz. Das Bild, das die linke türkische Tageszeitu­ng „Evrensel“am 18. Februar auf ihrer Internetse­ite von Hayati Yildiz veröffentl­icht, zeigt einen jungen Mann. Unter dem dunklen Schnurrbar­t macht sich ein Lachen breit, die Augen blicken fröhlich in die Kamera. Das Bild, das dem Deutschen Journalist­enverband Baden-Württember­g vorliege, zeige einen anderen Hayati Yildiz, sagt Vorsitzend­e Dagmar Lange. Deutliche Spuren von Gewalteinw­irkung seien in seinem Gesicht zu sehen. Hayati Yildiz ist laut EJF einer von 142 inhaftiert­en Journalist­en in der Türkei. „Reporter ohne Grenzen“spricht von 49 Journalist­en, zählt allerdings nur jene, bei denen ein direkter Zusammenha­ng der Haft mit der journalist­ischen Tätigkeit nachgewies­en ist. „Diesen Zusammenha­ng herzustell­en, ist sehr schwierig. Denn was ihren Angeklagte­n vorgeworfe­n wird, wissen selbst die Anwälte zum Teil nicht“, sagt Renzenbrin­k.

Auch Tülay lebte seit der Schließung von „Zaman“mit der Angst, verhaftet zu werden. Viele ihrer Kollegen haben es nicht rechtzeiti­g geschafft, die Türkei zu verlassen. „Menschen, mit denen ich jahrelang zusammen in einer Redaktion gearbeitet habe, sind inhaftiert und das nur, weil sie ihren Job gemacht haben“, sagt sie. In den Augen von Erdogan seien ihre Kollegen Terroriste­n. Genauso wie Nummer 37 auf der Liste der EJF: Deniz Yücel. Wer ihn noch nicht kannte, der kennt ihn jetzt. „Welt“-Korrespond­ent, DeutschTür­ke, eingesperr­t in der Türkei. Seit der Journalist sich am 14. Februar im Istanbuler Polizeiprä­sidium meldete, weil nach ihm gefahndet wurde, sitzt er hinter Gittern. Yücel geht es offenbar den Umständen entspreche­nd. In einem Brief aus dem Polizeigew­ahrsam, den die „Welt“veröffentl­icht hat, schreibt er: „Ich habe hier keine Gewalt gesehen und von keiner gehört. Die Beamten, die den Trakt beaufsicht­igen, sind manchmal etwas grob im Ton, aber nicht ausfallend oder beleidigen­d.“

Das Bild von Hayati Yildiz lässt vermuten, dass das nicht immer so ist. „Folter ist in türkischen Gefängniss­en keine Ausnahme, sondern immer wieder an der Tagesordnu­ng“, sagt Dagmar Lange vom Deutschen Journalist­enverband Baden-Württember­g. Sie erzählt von einem anderen türkischen inhaftiert­en Kollegen, der schwer am Darm erkrankt sei. Medikament­e bekomme er nicht. Auch Human Rights Watch berichtet von Folter. Die Rede ist unter anderem von Schlafentz­ug, Prügel, sexuellem Missbrauch und Vergewalti­gungsdrohu­ngen. Die nach dem Putschvers­uch erlassene Notverordn­ung der Regierung setze wichtige Schutzvors­chriften außer Kraft, die solche Misshandlu­ngen ermögliche­n, sagen die Menschenre­chtler.

Lange ist sich sicher: Wenn die Namen der Inhaftiert­en öffentlich gemacht werden – so wie bei Yücel–, ist ein besserer Schutz gewährleis­tet. Deshalb hat der Deutsche Journalist­en-Verband und die Deutsche Journalist­innenund Journalist­en-Union in Baden-Württember­g ein Patenschaf­tsprojekt ins Leben gerufen. Deutsche Redaktione­n sollen so mit türkischen, inhaftiert­en Kollegen in Kontakt treten und deren Geschichte­n öffentlich machen.

„Wir glauben, dass es für die Inhaftiert­en sehr wichtig ist zu wissen, dass es da jemanden gibt, der sich um sie kümmert“, sagt Lange. Auch Yücel betont in einem seiner Briefe, wie dankbar er für die Unterstütz­ung ist. In den vergangene­n Wochen gingen Hunderte in Stuttgart, Köln oder Berlin für Yücel auf die Straße, um gegen seine Festnahme zu demonstrie­ren. Bisher allerdings ohne Erfolg.

Tülay ist froh darüber, dass sich so viele Menschen in Deutschlan­d für Yücels Freilassun­g einsetzen. „Ich wünschte nur, die deutsche Regierung hätte schon vorher reagiert, als türkische Journalist­en verhaftet wurden.“Die Verhaftung des „Welt“Korrespond­enten wertet sie auch als Einschücht­erungsvers­uch gegenüber allen, die noch unabhängig und kritisch berichten.

Eine von ihnen ist Inga Rogg. Sie arbeitet seit 2012 aus Istanbul als Türkei-Korrespond­entin für die „Neue Züricher Zeitung“. Auch die Stimmung gegenüber der ausländisc­hen Presse sei schon lange nicht mehr gut, sagt sie. Ausländisc­he Journalist­en stünden unter Beobachtun­g, müssten sich vorwerfen lassen, sie würden die Türkei mit kritischer Berichters­tattung schlechtma­chen. Seit dem Putschvers­uch habe sich die Situation noch verschärft. „Die Menschen sind vorsichtig­er geworden mit Interviews gegenüber ausländisc­hen Journalist­en“, so Rogg. Viele wollen nicht namentlich genannt werden. Hinzu kommt, dass einige Regionen im kurdischen Südosten zu No-Go-Gebieten geworden sind und eine Berichters­tattung so unmöglich gemacht wird. „Wer kritisch über den Kurdenkonf­likt berichtet, sieht sich sowieso oft mit dem Terrorismu­svorwurf konfrontie­rt“, sagt Renzenbrin­k.

Gökay Sofuoglu, Vorstand der Türkischen Gemeinde in BadenWürtt­emberg, beobachtet die Einschränk­ung der Meinungsfr­eiheit in der Türkei mit großer Sorge. Die Medienland­schaft sei quasi gleichgesc­haltet. „Man kann ein Medium nicht mehr von dem anderen unterschei­den. Im Fernsehen laufen teilweise stundenlan­ge Live-Übertragun­gen von Erdogans Reden“, so Sofuoglu. Auch Rogg sagt, türkische Opposition­spolitiker kämen in staatsnahe­n Medien quasi nicht zu Wort. Vor allem mit Blick auf das Referendum könne von einer fairen Kampagne nicht die Rede sein. Am 16. April entscheide­n die Türken über eine Verfassung­sänderung, die Präsident Erdogan wesentlich mehr Macht geben würde. „Die Türkei steht an einem Scheideweg und die Öffentlich­keit wird nicht richtig informiert“, so Rogg. Sie erzählt von einer türkischen Kollegin, die versucht, Erdogan in ihren Texten nicht namentlich zu erwähnen. Aus Angst davor, seinen Zorn auf sich zu ziehen. Aus Angst davor, die Nummer 143 auf der Liste zu werden.

Aber es gibt sie noch, kleine Inseln der Pressefrei­heit. Die Zeitung „Cumhuriyet“oder digitale Medien wie die Nachrichte­nseite „bianet“– doch auch sie arbeiten in einem Klima der Angst. Die Anfragen von türkischen Reportern an das Notreferat von „Reporter ohne Grenzen“seien seit dem Putschvers­uch deutlich gestiegen, sagt Renzenbrin­k. Immer mehr fürchten Verfolgung. Immer mehr entscheide­n sich wie Tülay dafür, ihr Heimatland zu verlassen. Auch Can Dündar, ehemaliger Chefredakt­eur der „Cumhuriyet“, lebt seit dem Sommer 2016 im Exil in Deutschlan­d. Nun hat er mit der gemeinnütz­igen Rechercheg­esellschaf­t Correctiv die zweisprach­ige, journalist­ische Onlineplat­tform „Özgürüz“ins Leben gerufen. Zu Deutsch: „Wir sind frei.“

Frei sein, das wollte auch Tülay. In der Türkei hatte sie ein gutes Leben, sagt sie. Eine große Wohnung, Familie, Freunde. Nun fängt sie in Deutschlan­d von vorne an. In einem Land, dessen Sprache sie erst noch lernen muss. Ihre Stimme will sie trotzdem erheben. Gemeinsam mit anderen türkischen Journalist­en im Exil gründete sie die englischsp­rachige Nachrichte­nseite „turkishmin­ute.com“. „Wir versuchen einfach nur von hier aus zu berichten, was in der Türkei geschieht“, sagt sie. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

„Sie haben unsere Zeitung in eine Propaganda­maschineri­e verwandelt“

Eine 33-jährige türkische Journalist­in

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FOTO: DPA Auch in Deutschlan­d, wie hier in Berlin, demonstrie­ren die Menschen für Pressefrei­heit in der Türkei und die Freilassun­g des verhaftete­n Journalist­en Deniz Yücel.

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