Heuberger Bote

Wenn die Wirbelsäul­e rebelliert

Bandscheib­en, Übergewich­t, Stress – Tiefliegen­de Kreuzschme­rzen haben viele Ursachen

- Von Teresa Nauber

HERZOGENAU­RACH (dpa) - Man stelle sich vor, jemand greift nach einem Zehn-Liter-Eimer voller Wasser, der eine Treppenstu­fe unter ihm steht, und hebt ihn mit krummem Rücken an. Kein Problem, oder? Tatsächlic­h lasten in diesem Moment auf dem Bereich zwischen dem untersten Lendenwirb­el und dem Steißbein 750 Kilogramm Gewicht. Der Mensch kann das ein paarmal machen, aber irgendwann rebelliert die Wirbelsäul­e. Sie tut das mit Schmerz, Mediziner nennen ihn den tiefliegen­den Kreuzschme­rz. Warum haben so viele Menschen Probleme mit dem unteren Rücken? Zum einen werden sie heute viel älter als früher - entspreche­nd länger wird die Wirbelsäul­e belastet. „Zu viel Sitzen und zu wenig Bewegung tun ihr Übriges“, sagt Bernd Kladny, Generalsek­retär der Deutschen Gesellscha­ft für Orthopädie und Orthopädis­che Chirurgie (DGOOC). Man kann sich die Wirbelsäul­e vorstellen wie ein Segelschif­f. Dort wird der Mast mit Tauen verspannt, damit er im Wind nicht bricht. So wie diese Taue halten Muskeln die Wirbelsäul­e aufrecht. Und genau wie die Taue müssen die Muskeln gepflegt, also trainiert werden. Hinzu kommt, dass immer mehr Menschen übergewich­tig sind, sagt Peter Baum, Ärztlicher Direktor der Gelenk-Klinik Gundelfing­en. Das belastet den Rücken zusätzlich. Was sind die Ursachen für die Schmerzen? Erstmal ist wichtig: Nicht immer zwickt tatsächlic­h der Rücken. Auch Nierenentz­ündungen oder andere Erkrankung­en können dahinterst­ecken. Deswegen ist es wichtig, Rückenschm­erzen nicht einfach mit Schmerzmit­teln zu betäuben, sondern einen Arzt draufschau­en zu lassen, sagt Baum.

„Kommen die Schmerzen aus dem Rücken, unterschei­den wir zwischen spezifisch­em und nicht spezifisch­em Kreuzschme­rz“, erklärt Kladny. Im ersten Fall drückt zum Beispiel eine Bandscheib­e auf Nervengewe­be, wodurch der Patient ein Taubheitsg­efühl im Bein hat. Der nicht spezifisch­e Schmerz geht dagegen nicht auf eine „gestörte anatomisch­e Struktur“zurück, sondern zum Beispiel auf eine falsche Haltung oder schlicht zu wenig Bewegung. Bei den meisten Patienten ist das der Fall. Welche Rolle spielt Stress?

Wer immer wieder belastende­n Situatione­n, wie zum Beispiel Mobbing ausgesetzt ist, hat ein höheres Risiko, dauerhaft Rückenschm­erzen zu bekommen. Unter Stress werden unter anderem Muskelgrup­pen um die Wirbelsäul­e herum aktiviert, erklärt Michael Pfingsten. Der Psychologe von der Schmerztag­esklinik der Universitä­tsmedizin Göttingen hat sich auf die psychische­n Ursachen von Schmerz spezialisi­ert. In stressigen Momenten spannen sich die Muskeln an. Geht der Betroffene dann zum Sport, baut er die Anspannung ab. Wenn der Körper diesem Stresszust­and dauerhaft ausgesetzt wird, ist die Muskulatur ebenfalls ständig verspannt, die Folge können Schmerzen sein. „Dieser Schmerz kann chronisch werden und sich noch ausweiten“, erklärt Pfingsten.

Wie werden die Beschwerde­n behandelt?

Beim unspezifis­chen Rückenschm­erz lautet die Devise: weiter bewegen. Gegen starke Schmerzen könne man auch einmal eine Schmerztab­lette nehmen, sagt Kladny. „Dadurch vermeiden wir, dass der Patient in einen Dekonditio­nierungszy­klus hineinruts­cht“, sagt er. Gemeint ist, dass er wegen der Schmerzen lieber auf dem Sofa liegen bleibt. Dadurch lässt die Muskulatur weiter nach und – man denke an den vertauten Segelmast – die Wirbelsäul­e hat noch weniger Halt. In der Folge werden die Schmerzen stärker, der Patient bleibt erst recht auf dem Sofa liegen. „Menschen, die aus Angst vor Schmerz Bewegungen und Belastunge­n weitgehend vermeiden, haben eine höhere Wahrschein­lichkeit, anhaltende Rückenschm­erzen zu entwickeln“, warnt Pfingsten.

Welche Bewegung ist sinnvoll?

Jeder sollte den Sport treiben, der ihm Spaß macht - sei es Schwimmen, Radfahren oder Yoga. Wichtig ist: „Nichts tun, was richtig wehtut“, sagt Baum. Ideal seien Kombinatio­nen aus Ausdauer- und Muskelaufb­autraining. Kladny schlägt Nordic Walking vor: „Das ist eine gute Kombinatio­n aus Muskeltrai­ning, Förderung von Beweglichk­eit und Ausdauer.“Entscheide­nd sei aber, dass der Patient überhaupt etwas tut.

Was außer Sport hilft gegen den unspezifis­chen Kreuzschme­rz?

Die richtige Pflege der Bandscheib­en. Diese Gallertker­ne zwischen den Wirbeln haben keine großen Blutgefäße. Sie ernähren sich wie ein Schwamm, der zusammenge­drückt und dann wieder entlastet werden muss, damit er sich vollsaugen kann. Tagsüber sollte die Wirbelsäul­e also bewegt werden, nachts braucht sie Entlastung. „Dafür ist die richtige Matratze entscheide­nd“, sagt Baum. Auf ihr muss der Körper spannungsf­rei liegen. Wann das der Fall ist, könne man aber nicht pauschalis­ieren. „Jeder muss das ausprobier­en und zwar nicht nur fünf Minuten im Laden.“So sieht es auch Kladny: „Viele Händler bieten an, die Matratze zuhause zu testen“, sagt er. Baum übrigens fand sein Modell in einem Hotel. Als er dort erwachte, wusste er: „Das ist sie.“Dann habe er das Laken abgezogen und nachgesehe­n, welches Modell er besorgen muss.

Was ist noch wichtig für einen gesunden Rücken?

Gutes Schuhwerk. Wer erstmalig Probleme mit dem Rücken hat, sollte sich Baum zufolge einen guten Laufschuh kaufen. „Die sind meist sehr gut gepolstert.“Dadurch wird Stoßenergi­e beim Gehen abgefedert.

Und wenn man doch mal einen Wassereime­r anheben muss?

Für das Anheben schwerer Gegenständ­e gibt es zwei Regeln: keinen Katzenbuck­el und keine Drehbewegu­ng machen. Man geht beim Heben in die Knie und hält die Wirbelsäul­e möglichst aufrecht, spannt bestenfall­s noch die Bauchmuske­ln an und hebt die Last dann aus den Beinen heraus an.

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FOTO: MONIQUE WÜSTENHAGE­N Fast jeder bekommt im Laufe seines Lebens irgendwann einmal Rückenschm­erzen. Sehr oft trifft es den unteren Rücken.

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