Heuberger Bote

Der ESC – ein Fall für den Geheimdien­st

Nach politische­n Verwerfung­en überprüft die Ukraine die russische Teilnehmer­in

- Andreas Stein, Friedemann Kohler und Claudia Thaler

(dpa) - Beim diesjährig­en Eurovision Song Contest (ESC) in der Ukraine könnte auf die Sängerin des russischen Beitrags, Julia Samoilowa, ein Auftrittsv­erbot zukommen. Erst am Sonntagabe­nd hatte der halbstaatl­iche russische TV-Sender Perwy Kanal in Moskau mitgeteilt, dass die 27-jährige Rollstuhlf­ahrerin für den Wettbewerb in Kiew im Mai mit dem Lied „Flame is Burning“ins Rennen gehe. Am Montag leitete der ukrainisch­e Geheimdien­st prompt die Überprüfun­g eines früheren Auftritts der Musikerin auf der Krim ein, wie die Pressespre­cherin Jelena Gitlanskaj­a am Montag auf Facebook schrieb.

Die Sängerin im Rollstuhl ist im Juni 2015 in der Stadt Kertsch auf der ukrainisch­en Halbinsel aufgetrete­n, die von Russland im Jahr 2014 annektiert worden war. Reisen auf die Krim über Russland sind seit der Annexion aber von ukrainisch­er Seite verboten und werden mit einer mehrjährig­en Einreisesp­erre geahndet. Der früher als Grand Prix bekannte ESC an sich ist eigentlich erklärt unpolitisc­h.

Sollte Samoilowa nicht über das ukrainisch­e Festland eingereist sein, könnte dies eine Teilnahme beim ESC im Mai verhindern. Kiew hat angekündig­t, für den Wettbewerb keine Ausnahme zu machen. „Ich bin überzeugt, dass eben ein solches Einreiseve­rbot in nächster Zeit vom Geheimdien­st der Ukraine verhängt werden muss und wird“, schrieb der präsidente­nnahe Politologe Taras Beresowez bei Facebook. Das sei die einzig richtige Entscheidu­ng. Außenminis­ter Pawel Klimkin sagte örtlichen Medien zufolge: „Ich meine, dass das Gesetz für alle gleich sein sollte. Russland betreibt schon viele Jahre Provokatio­nen.“

Kremlsprec­her Dmitri Peskow sagte hingegen in Moskau, dass die Nominierun­g der 27-Jährigen „keine politische Provokatio­n“sei. Die Wahl habe nichts mit dem Auftritt Samoilowas auf der Krim zu tun. „Jeder (Russe) war schon irgendwann mal auf der Krim, es gibt wohl kaum jemanden, der noch nicht dort war“, sagte Peskow.

Samoilowa leidet an einer seltenen Erkrankung des Rückenmark­s. Seit ihrer Kindheit sitzt sie im Rollstuhl. Sie wurde 2013 als Teilnehmer­in einer russischen TV-Show bekannt und sang bei der Eröffnung der Paralympis­chen Winterspie­le in Sotschi 2014.

Einige Kritiker gehen davon, dass Russland mit der Teilnahme der behinderte­n Sängerin ein schlechtes Abschneide­n im ESC zu verhindern versuche. „Ich werde das Gefühl nicht los, dass das Mädchen zu politische­n Zwecken verwendet wird“, schrieb der bekannte Blogger Ilja Warlamow. Es gehe den Veranstalt­ern nicht darum, ein gutes Lied zu präsentier­en, sondern um jeden Preis „die Ukrainer zu schlagen“.

Siegtitel als Provokatio­n gewertet

Zuerst hatte es Spekulatio­nen über Russlands Teilnahme am diesjährig­en Musikwettb­ewerb gegeben. Abgeordnet­e hatten einen Boykott des Events in Kiew gefordert. In der Ostukraine herrschen seit Jahren kriegsarti­ge Zustände. Weil Russland die Separatist­en unterstütz­t, stehen sich beide Länder feindlich gegenüber. Der ukrainisch­e Geheimdien­st SBU belegte zudem viele russische Künstler mit einem Auftrittsv­erbot.

2016 siegte die Krimtatari­n Jamala mit dem Lied „1944“für die Ukraine. Er erinnert an die Deportatio­n ihres Volkes von der Krim. Viele werteten das Lied als Provokatio­n gegen Moskau; viele Russen waren empört, dass die Ukraine mit einem ihrer Ansicht nach politisch motivierte­n Lied gewinnen konnte. Texte, Ansprachen und Gesten politische­r Natur sind während des Contests eigentlich untersagt. Dies gilt ebenso für die Texte wie für die Bühnenshow.

Die Halbfinale des diesjährig­en Eurovision Song Contest finden am 9. und 11. Mai in der ukrainisch­en Hauptstadt Kiew statt, das Finale am 13. Mai.

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FOTO: DPA Die im Rollstuhl sitzende Sängerin Julia Samoilowa bei der Eröffnungs­feier der Paralympis­chen Winterspie­le 2014 im russischen Sotschi.

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