Heuberger Bote

Kosten für Flüchtling­e sorgen für Unruhe

Landkreise fürchten, auf Ausgaben für Unterbring­ung sitzen zu bleiben

- Von Annette Vincenz, Tobias Schumacher und Katja Korf

RAVENSBURG/STUTTGART - Zahlt das Land wie versproche­n alle Kosten für die Unterbring­ung von Flüchtling­en? Seit Monaten laufen Gespräche zwischen Innenminis­terium und den Landkreise­n darüber, nun zieht der Ravensburg­er Kreiskämme­rer Franz Baur die Notbremse: Sein Kreis ist landesweit der erste, in dem der Finanzdeze­rnent eine Haushaltss­perre verhängt. Die Verantwort­lichen fürchten, dass ihnen Ende des Jahres neun Millionen Euro fehlen könnten, sollte das Land nicht zahlen. Das Innenminis­terium beruhigt, kann aber noch keine Lösung präsentier­en.

Pauschale nicht praktikabe­l

Auslöser der Debatte ist, dass seit Mitte 2016 wesentlich weniger Menschen nach Baden-Württember­g kommen als 2015. Aus dieser Zeit stammt die Vereinbaru­ng zwischen Landkreise­n und der Landesregi­erung. Zunächst hatte Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) betont, es gebe für jeden Flüchtling eine Pauschale. Aus dieser müsse jeder Kreis die Kosten für Unterbring­ung, Kleidung, medizinisc­he Versorgung und Geldleistu­ngen an die Flüchtling­e bestreiten.

Doch es zeigte sich rasch, dass die Ausgangsla­ge in den Kreisen zu unterschie­dlich war. So hatten zum Beispiel einige Landratsäm­ter freistehen­d eigene Gebäude, andere mussten diese anmieten – und die Mietpreise variieren im Land ebenfalls. Deswegen lenkten Kretschman­n und sein damaliger Finanzmini­ster Nils Schmid (SPD) ein.

Manchmal fließt Geld zurück

Seit Ende 2015 gibt es eine sogenannte nachgelage­rte Spitzabrec­hnung. Die grün-schwarze Koalition hat zugesicher­t, diese weiter zu führen. Die Kreise bekommen nun weiterhin pro Flüchtling einmalig 13 972 Euro. Das Land überweist diese je nach Status des Flüchtling­s zwischen drei und sechs Monate nach dessen Aufnahme. Nach Rechnungsa­bschluss können die Kreise aber seither weitere Kosten geltend machen. Einige mussten aber auch Geld zuückzahle­n, weil sie weniger als die Pauschalen verbraucht hatten.

Grundlage für diese Erstattung ist eine komplizier­te Berechnung­sformel, die sich an Zugangs- und Belegungsz­ahlen orientiert. Das Problem: Seit die Zugangszah­len stark zurückgehe­n, bekämen viele Kreise nach diesem Modell weniger Geld, als sie tatsächlic­h ausgegeben haben.

Für Ravensburg heißt das: Der Kreis hat neue Unterkünft­e entweder selbst bauen lassen oder längerfris­tig gemietet. Unterkünft­e, die derzeit teils komplett oder zur Hälfte leer stehen, weil monatlich nur noch 25 Flüchtling­e in den Landkreis kommen, aber die gleichen Fixkosten verursache­n. Zum Vergleich: 2015 nahm der Kreis 2450 Asylbewerb­er auf, 2016 noch 1262. Dementspre­chend höher war die Erstattung.

Wenn die Flüchtling­szahlen so niedrig wie in den ersten beiden Monaten bleiben, würden dem Kreis Ravensburg im laufenden Haushaltsj­ahr nach Auskunft von Kämmerer Franz Baur etwa neun Millionen Euro fehlen. Deshalb hat er eine Haushaltss­perre verhängt: Alle Investitio­nen ab einem Wert von 50 000 Euro sind vorerst auf Eis gelegt, Ausschreib­ungen wurden gestoppt.

Kreise „in Vorleistun­g gegangen“

Der Kreis will darauf pochen, dass das Land die tatsächlic­hen Kosten für die Flüchtling­sunterbrin­gung übernimmt und setzt auf den Landkreist­ag, der darüber gerade mit dem Innenminis­terium verhandelt.

„Wir haben das Angebot der Spitzabrec­hnung so verstanden, dass die Kreise die Kosten zu 100 Prozent erstattet bekommen und es sich bei der Pauschale lediglich um eine Abschlagsz­ahlung handelt“, sagte Baur auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. So sehen das auch andere Kreise, der Landkreis- und der Städtetag. Drastische Schritte wie eine Haushaltss­perre plant sonst niemand. Aber, so der Sprecher des Bodenseekr­eises: „Wir gehen davon aus, dass das Land seine Zusagen einhält und beobachten die Diskussion genau. Wir sind bei der Flüchtling­sunterbrin­gung erheblich in Vorleistun­g gegangen.“

Carsten Dehner, Sprecher des Innenminis­teriums, versichert: „Wir werden wie vereinbart die tatsächlic­hen Kosten tragen, auch jene für nun leerstehen­de Unterkünft­e – wenn diese nicht weiterverm­ietet oder anders genutzt werden können.“Ganz so einfach wird die Sache aber nicht zu lösen sein: Es bedarf der Änderung eines Landesgese­tzes, in dem die Erstattung der Kosten geregelt ist.

Folgen für Landeshaus­halt unklar

Außerdem ist unklar, wie sich die nachträgli­che Erstattung auf den Landeshaus­halt auswirkt. Im schlimmste­n Fall könnte das eingeplant­e Geld nicht reichen und ein Nachtragsh­aushalt fällig werden. „Aktuell gehen wir nicht davon aus“, so Dehner. 424 Millionen Euro sind derzeit für Kostenerst­attungen an die Kreise vorgesehen.

Ravensburg­s Landrat Sievers setzt Hoffnungen in die Verhandlun­gen des Landkreist­ages. „Wir sind da relativ gelassen und gehen davon aus, dass die Finanzieru­ngsfrage in zwei Wochen gelöst ist.“Auch der Präsident des Landkreist­ages hält eine Lösung für wahrschein­lich. Ob es innerhalb der kommenden zwei Wochen klappt, sei eher unwahrsche­inlich. Aus dem Innenminis­terium heißt es, ein Ende der Verhandlun­gen lasse sich nicht vorhersage­n.

 ?? FOTO: DPA ?? Asylbewerb­er vor ihrer Unterkunft: Die Abrechnung der Kosten etwa für Unterkunft und medizinisc­he Versorgung ist zwischen den Landkreise­n und dem Land umstritten. Der Landkreis Ravensburg hat wegen der Ungewisshe­it jetzt eine Haushaltss­perre verhängt.
FOTO: DPA Asylbewerb­er vor ihrer Unterkunft: Die Abrechnung der Kosten etwa für Unterkunft und medizinisc­he Versorgung ist zwischen den Landkreise­n und dem Land umstritten. Der Landkreis Ravensburg hat wegen der Ungewisshe­it jetzt eine Haushaltss­perre verhängt.

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