Heuberger Bote

Erdogan gießt Öl ins Feuer

Türkischer Präsident greift verbal Deutschlan­d und Niederland­e an – De Maizière kündigt „Grenzen der Toleranz“an

- Von Kara Ballarin, Daniel Hadrys und Agenturen

ISTANBUL/BERLIN/STUTTGART Diesmal richten sich die Angriffe Recep Tayyip Erdogans nicht mehr vage gegen Berlin. Am Montagaben­d greift der türkische Präsident Angela Merkel direkt an. „Merkel stellt sich auch auf die Seite Hollands“, poltert er in einem Interview und wirft der Kanzlerin vor, Terroriste­n zu unterstütz­en.

Merkel-Sprecher Steffen Seibert reagiert nach der Sendung: „Die Bundeskanz­lerin hat nicht die Absicht, sich am Wettlauf der Provokatio­nen zu beteiligen.“Obwohl die Angriffe schwer zu ertragen sind, versucht die Bundesregi­erung, Ruhe zu bewahren. Bloß nicht an der Eskalation­sspirale drehen, heißt die Devise. Die türkische Führung eskaliert aber alleine weiter – auch gegen die Niederland­e. Erdogan lastet am Dienstag dem Land den Mord von etwa 8000 bosnischen Jungen und Männern an: „Wir kennen Holland und die Holländer noch vom Massaker von Srebrenica.“

„Unerträgli­che“Vorwürfe

Im Bosnienkri­eg hatten 1995 serbische Einheiten unter General Ratko Mladic die UN-Schutzzone Srebrenica überrannt und ein Massaker verursacht. Die Enklave Srebrenica stand damals unter dem Schutz der niederländ­ischen UN-Blauhelme. Der niederländ­ische Ministerpr­äsident Mark Rutte weist die Völkermord-Vorwürfe im Fernsehen als „widerliche Geschichts­verfälschu­ng“zurück.

Bundesinne­nminister Thomas de Maizière kritisiert Erdogans Vorwürfe gegen Merkel als „absurd“. Solche Angriffe hätten das Ziel, „die Türkei in eine Opferrolle zu bringen“, sagt der CDU-Politiker am Dienstag in Berlin. De Maizière macht zugleich klar, wann er Wahlkampfa­uftritte türkischer Politiker verbieten will: „Es gibt ganz klare Grenzen, an denen auch meine Toleranz endet.“Dies sei der Fall, „wenn Strafbarke­itsgrenzen überschrit­ten sind, wenn ausländisc­he Minister auf deutschem Boden den Wolfsgruß zeigen, oder unser Land mit respektlos­en Nazivergle­ichen diskrediti­ert wird oder wenn der Versuch unternomme­n wird, uns zu kränken“. Deutschlan­d könne die Einreise ausländisc­her Politiker unterbinde­n, sagt der Chef des Bundeskanz­leramts, Peter Altmaier (CDU), den Zeitungen der Funke-Mediengrup­pe. „Dass die Bundesregi­erung bisher nicht ihre völkerrech­tlichen Möglichkei­ten ausgeschöp­ft hat, ist keine Freikarte für die Zukunft. Ein Einreiseve­rbot wäre das letzte Mittel. Das behalten wir uns vor.“Kritik an der türkischen Rhetorik gibt es auch in Stuttgart. „Ich war immer ein grundsätzl­icher Befürworte­r des EU-Beitritts der Türkei“, sagt Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne). Einen Beitritt gebe es aber nur, wenn ein Land die Kopenhagen­er Kriterien erfüllt. Das sei derzeit unvorstell­bar. Denn „die Türkei tut gerade alles, um Gräben aufzureiße­n.“Die NaziVergle­iche von türkischen Politikern nennt Kretschman­n „inakzeptab­el, völlig abwegig und abstrus.“

Leni Breymaier, SPD-Landeschef­in in Baden-Württember­g, schließt weitere Auftritte türkischer Politiker in Deutschlan­d nicht aus: „Einerseits haben wir diese ,Heldentate­n’ wie in Gaggenau. Anderersei­ts denke ich mir: Es geht um unser Grundgeset­z – und wir haben Meinungs- und Versammlun­gsfreiheit. Ich glaube, wir halten diese Veranstalt­ungen hier aus, auch wenn sie uns nicht gefallen“, sagt Breymaier im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Meinungs-, Versammlun­gs- und Pressefrei­heit

seien hohe Güter, die „in der Türkei nicht laufen“. Daher finde sie, dass man diese Werte hier „umso mehr“hochhalten solle. „Ich finde es zwar nicht gut, dass Erdogan seine Allmachtsp­hantasien umsetzen möchte. Wenn sich die Auftritte auf dem Boden des Grundgeset­zes bewegen, sollten sie aber möglich sein.“

Die Tatsache, dass in der Türkei weltweit die meisten Journalist­en eingesperr­t sind, findet die SPD-Landeschef­in „absolut unfassbar“. Sie befürchtet jedoch, dass ein Auftrittsv­erbot nur der Anfang sein könnte für weitere Verbote – „und das führt nicht in die richtige Richtung“.

 ?? FOTO: DPA ?? Es fällt den EU-Politikern zunehmend schwer, sich auf keinen „Wettlauf der Provokatio­nen“mit Recep Tayyip Erdogan einzulasse­n. Der türkische Präsident heizt den diplomatis­chen Konflikt weiter an.
FOTO: DPA Es fällt den EU-Politikern zunehmend schwer, sich auf keinen „Wettlauf der Provokatio­nen“mit Recep Tayyip Erdogan einzulasse­n. Der türkische Präsident heizt den diplomatis­chen Konflikt weiter an.

Newspapers in German

Newspapers from Germany