Erdogan gießt Öl ins Feuer
Türkischer Präsident greift verbal Deutschland und Niederlande an – De Maizière kündigt „Grenzen der Toleranz“an
ISTANBUL/BERLIN/STUTTGART Diesmal richten sich die Angriffe Recep Tayyip Erdogans nicht mehr vage gegen Berlin. Am Montagabend greift der türkische Präsident Angela Merkel direkt an. „Merkel stellt sich auch auf die Seite Hollands“, poltert er in einem Interview und wirft der Kanzlerin vor, Terroristen zu unterstützen.
Merkel-Sprecher Steffen Seibert reagiert nach der Sendung: „Die Bundeskanzlerin hat nicht die Absicht, sich am Wettlauf der Provokationen zu beteiligen.“Obwohl die Angriffe schwer zu ertragen sind, versucht die Bundesregierung, Ruhe zu bewahren. Bloß nicht an der Eskalationsspirale drehen, heißt die Devise. Die türkische Führung eskaliert aber alleine weiter – auch gegen die Niederlande. Erdogan lastet am Dienstag dem Land den Mord von etwa 8000 bosnischen Jungen und Männern an: „Wir kennen Holland und die Holländer noch vom Massaker von Srebrenica.“
„Unerträgliche“Vorwürfe
Im Bosnienkrieg hatten 1995 serbische Einheiten unter General Ratko Mladic die UN-Schutzzone Srebrenica überrannt und ein Massaker verursacht. Die Enklave Srebrenica stand damals unter dem Schutz der niederländischen UN-Blauhelme. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte weist die Völkermord-Vorwürfe im Fernsehen als „widerliche Geschichtsverfälschung“zurück.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière kritisiert Erdogans Vorwürfe gegen Merkel als „absurd“. Solche Angriffe hätten das Ziel, „die Türkei in eine Opferrolle zu bringen“, sagt der CDU-Politiker am Dienstag in Berlin. De Maizière macht zugleich klar, wann er Wahlkampfauftritte türkischer Politiker verbieten will: „Es gibt ganz klare Grenzen, an denen auch meine Toleranz endet.“Dies sei der Fall, „wenn Strafbarkeitsgrenzen überschritten sind, wenn ausländische Minister auf deutschem Boden den Wolfsgruß zeigen, oder unser Land mit respektlosen Nazivergleichen diskreditiert wird oder wenn der Versuch unternommen wird, uns zu kränken“. Deutschland könne die Einreise ausländischer Politiker unterbinden, sagt der Chef des Bundeskanzleramts, Peter Altmaier (CDU), den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Dass die Bundesregierung bisher nicht ihre völkerrechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, ist keine Freikarte für die Zukunft. Ein Einreiseverbot wäre das letzte Mittel. Das behalten wir uns vor.“Kritik an der türkischen Rhetorik gibt es auch in Stuttgart. „Ich war immer ein grundsätzlicher Befürworter des EU-Beitritts der Türkei“, sagt Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Einen Beitritt gebe es aber nur, wenn ein Land die Kopenhagener Kriterien erfüllt. Das sei derzeit unvorstellbar. Denn „die Türkei tut gerade alles, um Gräben aufzureißen.“Die NaziVergleiche von türkischen Politikern nennt Kretschmann „inakzeptabel, völlig abwegig und abstrus.“
Leni Breymaier, SPD-Landeschefin in Baden-Württemberg, schließt weitere Auftritte türkischer Politiker in Deutschland nicht aus: „Einerseits haben wir diese ,Heldentaten’ wie in Gaggenau. Andererseits denke ich mir: Es geht um unser Grundgesetz – und wir haben Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Ich glaube, wir halten diese Veranstaltungen hier aus, auch wenn sie uns nicht gefallen“, sagt Breymaier im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit
seien hohe Güter, die „in der Türkei nicht laufen“. Daher finde sie, dass man diese Werte hier „umso mehr“hochhalten solle. „Ich finde es zwar nicht gut, dass Erdogan seine Allmachtsphantasien umsetzen möchte. Wenn sich die Auftritte auf dem Boden des Grundgesetzes bewegen, sollten sie aber möglich sein.“
Die Tatsache, dass in der Türkei weltweit die meisten Journalisten eingesperrt sind, findet die SPD-Landeschefin „absolut unfassbar“. Sie befürchtet jedoch, dass ein Auftrittsverbot nur der Anfang sein könnte für weitere Verbote – „und das führt nicht in die richtige Richtung“.