Ein Papst, der sich nicht so einfach einordnen lässt
Annette Schavan gewährt in Leutkirch Einblicke in das Wirken von Franziskus – Klare Aussagen zum Populismus
- Als deutsche Botschafterin am Heiligen Stuhl beobachtet Annette Schavan intensiv das Wirken von Papst Franziskus. Die CDU-Politikerin vertritt den Standpunkt, dieses Kirchenoberhaupt werde als ein besonders anspruchsvolles in die Kirchengeschichte eingehen. Noch sei es aber nach vier Jahren seines Pontifikats zu früh, diesem schon einen klaren Stempel aufzudrücken.
Hoch kompetent, dabei fesselnd, mal leise, mal durchaus mit stärkerem Timbre in der Stimme hat es Annette Schavan am Dienstagabend geschafft, beim Mitgliederforum der Leutkircher Bank das Publikum für ihre Sicht auf diesen Papst zu gewinnen. Sie schildert ihn als einen Kirchenführer, der sich sowohl den eigenen Reihen als auch jenen, die mit wachem Interesse auf ihn blicken, nicht zu sehr andient: „Er ist kein Fantast. Dieser Papst zeigt, dass ein Christentum, das nicht politisch agiert, verzichtbar ist.“Franziskus ist demnach „weder links noch grün, aber er ist durchaus ein radikaler und konsequenter Papst. Er tut was er sagt“.
Annette Schavan, die frühere baden-württembergische Kultusministerin und Bundesministerin für Bildung und Forschung, vertritt seit 2014 als Botschafterin die deutschen Interessen am Heiligen Stuhl. Sie trifft Papst Franziskus regelmäßig und ist von dessen klarer Sprache angetan. Sie macht sich diesen Stil zu eigen.
Mit Ausflügen ins Theologische beim Vortrag über diesen Theologen und dessen „Kunst des Politischen“hält sich Schavan nicht auf. So verdeutlicht sie, dass Franziskus das Thema Klimawandel und dessen Folgen vor allem für die ärmeren Schichten dieser Welt früh zur Chefsache im Vatikan erklärt hat. „Er nimmt die Wissenschaft mit ins Boot. Das hat so noch kein Papst vor ihm getan“, sagt Schavan.
Als stärkste Botschaft dieses Kirchenoberhaupts sieht die Katholikin dessen Eintreten für die Barmherzigkeit. Auch dieses Engagement bringt sie in direkten Bezug zur Erderwärmung und den damit verbundenen Nöten. Für Schavan schlägt Papst Franziskus damit bereits ein neues Kapitel der katholischen Soziallehre auf. „Er erlaubt uns nicht, theoretisch zu bleiben und über der Wirklichkeit zu schweben.“Schavan wertet diesen Schwenk in die Realität als „radikales Bekenntnis zu den Menschen“. Annette Schavan spricht an diesem Abend mit Leidenschaft auch über den Begriff Zynismus. Sie geht mit dem Verweis auf Franziskus damit einen Schritt in die aufgeregte politische Diskussion der Gegenwart, der sich gerade auch dieser Papst stelle. Weit über die eigene Konfession hinaus stehe der Pontifex aus Argentinien aufrecht da als einer, der den Populisten die Stirn biete. „Ich bin froh“, gibt sie zu, „dass Politiker und Politikerinnen aus allen Teilen dieser Welt diesen Papst besuchen.“Augenzwinkernd räumt sie ein, die damit verbundenen Fotos machten sich gut.
Sie sieht die große Chance auch ihrer Kirche aber darin, über diesen Papst Botschaften zu vermitteln fernab von Glamour und Prestige. „Dieser Papst sieht im Neuen nicht den Versuch zum Verrat. Er will die Menschen ermutigen, dem Zynismus nicht zu folgen.“
Die frühere Politikerin, die als Schul- oder als Wissenschaftsministerin keinem Streit um Werte aus dem Weg gegangen ist, stellt sich an die Seite eines Mannes, der wider die aktuellen Tendenzen zur Abschottung argumentiert. Frei formuliert: Unsere Probleme lösen wir, und die anderen sollen ihre Probleme lösen. Diesem oberflächlichen Trend hält sie entgegen: „Bei vielem, was als populistisch bezeichnet wird, ist Zynismus, ist Verachtung im Spiel.“Verachtung vor allem für jene Menschen, die unter Diskriminierung oder Verfolgung litten. Annette Schavan, im Geiste dieses Papstes argumentierend, bezieht so klar Stellung gegen all jene, die Mauern errichten wollen, die Ängste schüren, die sich einigeln wollen.
Gräben zuschütten
Schavan schließt ihre Betrachtungen mit dem Appell, nicht neue Gräben entstehen zu lassen sondern vorhandene Gräben zuzuschütten. Zwei Frauen reichen sich danach die Hände, die jede für sich nicht in gängige Schemen passt. Rosemarie MillerWeber, die Gastgeberin dieses Mitgliederforums, wird Mitte des Jahres als Chefin der Leutkircher Bank abtreten – nach der geplanten Fusion mit der Volksbank Allgäu-West. 25 Jahre lang war sie Mitglied des Vorstands, anfangs die erste Frau in so einer Position im deutschen Genossenschaftsverband. Annette Schavan vertritt als Frau deutsche Interessen am Heiligen Stuhl. Auch das ist neu. Die Bankerin und die Diplomatin harmonieren an diesem Abend, obwohl jede die Welt aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Hier die Geschäftsfrau. Da die Politikerin. Hier die Praktikerin. Da ein wenig auch die Frau des Theorethischen. Bei Papst Franziskus trennt sie nichts.