Nomadin der Lüfte
Silvia Mittermüller (33), beste deutsche Snowboarderin, träumt von Olympia
(SID) - Es ist noch keine sechs Wochen her, da befürchtete Silvia Mittermüller, alles könnte aus sein. Sie war beim Training in Colorado mit einem anderen Snowboarder zusammengeknallt und auf ihr im Oktober operiertes rechtes Knie gefallen. „Ich erinnere mich nur, dass ich vor Schmerzen schrie.“Tatsächlich fallen ihr allmählich auch die anderen Gedanken wieder ein. Als sie im Rettungsschlitten lag, fragte sie sich: „War es das? Mit der Saison. Mit Olympia. Mit dem Snowboarden?“War es nicht.
Letzten Donnerstag versuchte Mittermüller bei der WM in der spanischen Sierra Nevada, das Finale im Slopestyle zu erreichen. Sie wurde 15. Die 33-Jährige, ein Münchner Kindl, das in der Welt zu Hause ist, hat in dieser Disziplin 2016 als erste Deutsche im Weltcup gewonnen, aber nach der Verletzungspause war nicht mehr drin. „Kein super Ergebnis, aber ich bin positiv überrascht, dass ich das überhaupt gemacht habe.“Der Parcours war derart heftig, dass Mittermüller überlegt hatte, ob sie sich ihn überhaupt antun sollte.
Mittermüller hört viel auf ihren Bauch, auf ihr Gefühl, wenn das nicht stimmt, startet sie lieber nicht. Aber: Sie ist auch eine Kämpferin. Sie hat sich dann durchgebissen. Sie braucht Punkte für die Weltrangliste, 2018 will sie zu den Olympischen Spielen nach Pyeongchang. Das wird knapp, denn sie hat bisher alle Weltcups verpasst, die zur Qualifikation zählen. Heute bestreitet sie die Qualifikation für das Big-Air-Finale am Freitag.
Mittermüller ist seit Jahren die beste deutsche Freestyle-Snowboarderin. Lange war sie eine „professionelle Nomadin“, sagt sie, sie lebte mehr oder weniger in den Tag hinein. Aus einem Abitur mit der Note 1,5 und Plänen von einem Medizinstudium wurde: nichts. Mittermüller fuhr und fährt Snowboard, weil es ihr „unfassbar“Spaß macht und sie „erfüllt“. Snowboard zu fahren, das ist ihr Leben, etwas Spirituelles, mehr Berufung als Beruf.
Dass ein Freigeist wie Mittermüller zu Olympia will, mag überraschen. Sotschi 2014 hat sie verpasst. Achillessehnenriss. Aber jetzt soll es klappen. Dafür hat sie sich angepasst: Mitglied in einem Kader, Förderung durch den Verband, ein Trainer, dazu eine Stelle bei der Bundeswehr – klingt spießig. „Das Unkonventionelle, Verrückte geht mir schon ein bisschen ab“, gesteht sie augenzwinkernd. Der Vorteil: Sie muss sich keine Gedanken mehr machen wie: „Wo schlafe ich heute Nacht? Wie soll ich das bezahlen?“
Warum aber Olympia? Warum will da eine hin, die mit solchen Wettkämpfen irgendwie fremdelt, „weil Snowboarden mehr ist als Wettkämpfe“, weil bei den Winterspielen alles so „nationengetrieben ist“. Ganz einfach: Weil sie Lust darauf habe. „Es ist die letzte Möglichkeit, das letzte Puzzlestück im globalen Snowboarden noch mitzunehmen.“Dass sie sich dafür in ein Team einbinden muss, „ist wie eine Art Frieden zu finden nach vielen langen Jahren als wilde Einzelnomadin“. Olympia, sagt Mittermüller, das wäre ein „schöner Schlussakkord“.