Der Biber nagt sich Ärger ein
Klagen über Schäden nehmen zu – Debatte über Tötung vereinzelter Tiere wird immer offensiver geführt
- Die Nagespuren sind deutlich zu erkennen. Unliebsame Grüße vom Biber. Das Apfelbäumchen ist ihm zum Opfer gefallen. Dicht über dem Boden haben seine scharfen Zähne den Stamm gekappt. „Ich hab es kürzlich entdeckt“, berichtet Christoph Gierer, Juniorchef eines Obsthofes in Oberdorf. Der Ort liegt bei Kressbronn im württembergischen Bodenseeraum. Drum herum erstrecken sich weite Obstanlagen. Viele der Bodensee-Äpfel wachsen hier. Die meisten Bauern leben vom Geschäft damit. Nun macht sich jedoch verstärkt der streng geschützte Biber bemerkbar. Dies befeuert auch im sonst so beschaulichen Oberdorf die aktuelle Diskussion, ob es nicht an der Zeit wäre, dessen Bestände zu regulieren – sei es durch Fallenstellen oder den direkten Abschuss.
Gierer meint „Ja“. Es müsse etwas geschehen. Nun ist es zwar so, dass ein gekapptes Bäumchen noch nicht das Betriebsergebnis der Gierers ruiniert. Die Reihen der Apfelplantage erstrecken sich weit. „Problematisch für unseren Betrieb wäre aber ein großflächiger Schaden. Deshalb brauchen wir rasch eine Regelung zur Kontrolle der Biberbestände“, fordert der junge Mann. Er hat dabei im Auge, was die 20 bis 25 Kilogramm schweren Nager vermögen.
An der Mündung der Argen am Bodensee hat die örtliche Biberzuwanderung vor einigen Jahren ihren Anfang genommen. Gierer zeigt auf einen Bereich, der mit einem rotweißen Band abgesperrt ist. Betreten zu gefährlich, angenagte Gehölze könnten vollends umfallen. Weil die Argen in diesem Bereich Naherholungsgebiet ist, war behördlicherseits eine Absperrung unumgänglich. Vom Bau in der Uferböschung aus hat die Biberfamilie eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Selbst dicke Erlen sind den Tieren zum Opfer gefallen.
Beschwerden von Bauern
Dies sind durchaus bekannte Bilder in Baden-Württemberg. Die BiberProblematik wurde seit Längerem besonders regional immer wieder angesprochen. Dass sie nun an eine breite Öffentlichkeit gedrungen ist, hat mit jüngsten Bemerkungen des Landwirtschaftsministers Peter Hauk zu tun. Der CDU-Politiker und gelernte Förster fordert: „Keine Denkverbote beim Umgang mit dem Biber.“Der Hintergrund: Hauk hört inzwischen aus fast allen Landesecken Beschwerden von Bauern.
Neben gefällten Bäumen ist von überschwemmten Wiesen und Feldern die Rede. Biberdämme haben Bäche übers Ufer treten lassen. Ein weiterer bäuerlicher Klagepunkt sind unterhöhlte Böschungen an Flussläufen. Die possierlichen Tiere lassen sich dort gerne nieder und graben ihren Bau. Landwirte berichten von Unfällen. Traktoren seien auf ufernahen Feldwegen wegen der Röhren eingebrochen und umgekippt, heißt es beispielsweise aus dem Ostalbkreis.
Zu den landwirtschaftlichen Sorgen addieren sich noch jene der Behörden. Biber können sich schließlich auch den Untergrund von Straßen als Wohnung aussuchen – oder Staudämme und Bauten zum Hochwasserschutz. Vergangenes Jahr war im oberschwäbischen Mietingen nach Starkregen ein Biberdamm gebrochen. Das aufgestaute Wasser ergoss sich in den Ort. Ein Millionenschaden entstand. Des Weiteren bedrohen Baumfällarbeiten der fleißigen Tiere womöglich Verkehrswege. Im Grenzbereich des württembergischen Allgäus war dies vor wenigen Tagen der Fall. Alarmierend ist zudem ein Ereignis aus dem Bayerischen. In einem Freibad bei Regensburg fiel 2015 eine angenagte Pappel durch einen Windstoß um. Eine Frau sowie ein Kleinkind wurden verletzt.
Rund 3500 Tiere im Land
So lassen sich allerlei Ereignisse erwähnen oder Szenarien durchspielen. Nun wird Baden-Württemberg durch den Biber kaum untergehen. Fakt ist jedoch, dass er sich massiv verbreitet, nachdem es ihn rund 150 Jahre lang im Südwesten gar nicht gegeben hat. Erst Ende der 1990er-Jahre tauchten die ersten Tiere so langsam als Zuwanderer aus Bayern und der Schweiz auf. Die amtlichen Zahlen besagen, dass sich die Population im Land inzwischen auf gut 3500 Tiere vermehrt hat.
Inoffiziell wird sogar schon mit weit über 4000 Exemplaren gerechnet. Es sei ja schön, dass der Biber da sei, meint Minister Hauk hierzu. Er lobt den „Erfolg des Artenschutzes“. Steige die Population aber so an, dass „sie vereinzelt zum Risiko wird“, müsse man über „ein gutes und sinnvolles Management sprechen“. Mit anderen Worten: Auch eine mögliche Bejagung der Tiere ist für Hauk eine Option. Für Ökoverbände bedeutet jedoch allein der Gedanke daran eine Art Kriegserklärung. Die Emotionen gehen hoch.
Des einen Leid ist dabei des anderen Freud. So verweisen Biologen darauf, dass der Biber eben landschaftsverändernd tätig sei. Dies liege in seiner Natur. Er baue Dämme, um den Zugang zum Bau unter Wasser zu halten. Eine Schutzmaßnahme, die aber zu Stauseen führt. Der Bauer flucht vielleicht, ein gefährdeter Bürger ebenso. Aus Sicht von Ökovertretern ist hingegen ein solches wasserbauliches Wirken der Tiere ausdrücklich erwünscht. „Wo über Jahrhunderte hinweg Bäche begradigt, Moore entwässert und Wiesen trockengelegt wurden, sorgt der Biber jetzt dafür, dass das Wasser diese Fläche zurückerobert“, sagt Johannes Enssle, Vorsitzender des Naturschutzbundes Baden-Württemberg.
Sein Vorgänger André Baumann betonte kürzlich: „Biber legen gleichsam den Schalter für einen anderen Wasserhaushalt um.“Baumanns Haltung ist in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung, weil er seit der neuen Regierungsbildung im vergangenen Jahr als Staatssekretär im grün geführten Umweltministerium sitzt. Dieses ist für den Biber zuständig, weil er unter das Naturschutzrecht fällt. Weshalb der Vorstoß von Landwirtschaftsminister Hauk für den Moment nur als politische Überlegung eine Bedeutung hat. Mittelfristig zielt sie aber auf den für nächstes Jahr vorgesehenen Wildtierbericht des Landes. In seinem Rahmen geht es um bedrohte und nicht bedrohte Arten, um jagdbares Wild und streng geschützte Tiere.
Aufnahme ins Jagdrecht?
Theoretisch könnten also 2018 Wege gefunden werden, um den Biber ins Jagdrecht zu überstellen. Dies möchte das Umweltministerium auf keinen Fall. Dort wird bereits vor „zu viel Pulverdampf“gewarnt. Für ihn wären wiederum die Jäger zuständig. Der Landesjagdverband zögert aber damit, den Biber fürs Waidwerk einzufordern. Seine Mitglieder sind bereits durch Rehe und Wildsauen stark beschäftigt. Zudem haben sie keine Lust, womöglich noch für Biberschäden haftbar gemacht zu werden.
Selbst für Hauk ist die Aufnahme des Bibers ins Jagdrecht nicht das allein selig machende Ziel. Ihm geht es ums Ausloten verschiedener Möglichkeiten. So bietet sich eine naturschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung an. Sie gibt es etwa beim Kormoran und ermöglicht unter bestimmten Umständen die Jagd auf diesen vor allem von der Fischerei gefürchteten Vogel. Das Umweltministerium erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass es bereits jetzt rechtlich möglich sei, einen Problem-Biber zu töten – sofern es keine andere Möglichkeit gebe. So etwas sei aber bisher nicht notwendig gewesen.
Das Umweltministerium setzt vor allem auf Präventivmaßnahmen. Ehrenamtliche Biber-Berater versuchen hierzu, mit Biber-Betroffenen Lösungen zu finden. Anton Willburger gehört zu diesen engagierten Zeitgenossen und betreut den östlichen Bodenseekreis. „Einzelbäume können durch Drahthosen am Stammfuß geschützt werden, Obstanlagen durch Elektrozäune. Bei Bäumen ist auch ein Anstrich mit einem quarzsandhaltigen Mittel möglich. Dies mögen Biber nicht.“Seiner Erfahrung nach haben sich diese Maßnahmen bewährt. Mittel und Zäune stellt das Landratsamt zur Verfügung. Arbeiten muss der Bauer. Der zusätzliche Aufwand stößt in ihren Reihen natürlich auf wenig Begeisterung.
Keine staatliche Entschädigung
Richtig auf die Palme bringt Landwirte jedoch der Standpunkt des Umweltministeriums, wenn es um einen Schadensausgleich geht. „Grundsätzlich besteht keine staatliche Entschädigungspflicht für durch wild lebende Tiere verursachte Schäden“, heißt es aus der Behörde. Ariane Amstutz, Sprecherin des baden-württembergischen Bauernverbands, schimpft: „Unsere Bauern bleiben auf jeglichen Schäden sitzen.“Jerg Hilt, Geschäftsführer der Forstkammer, des Verbandes privater und kommunaler Waldbesitzer, stößt ins selbe Horn. Er und Amstutz drängen auf ein Bibermanagement, das die Tötungsoption ausdrücklich beinhaltet – und nicht nur als praktisch undenkbare Ausnahme vorsieht. Hierzu hilft ihnen eine Blick nach Bayern.
Gut 20 000 Biber soll es dort geben. Vermutlich hat der Freistaat deshalb früher reagiert. Bereits seit 2013 existiert eine Richtlinie, die eine Entnahme von Bibern aus der Natur vorsieht. Dies wird auch vollzogen. Die jüngsten Zahlen liegen für 2015 vor: 1435 Exemplare wurden getötet. In bayerischen Zeitungen ist zu lesen, dass unter dem weißblauen Himmel durch die Jagd das Interesse an Biber-Kochrezepten gestiegen sei. Immerhin galten die Tiere in alten Zeiten als Delikatesse.