Heuberger Bote

Angeklagte­r bedroht Opfer

Mutmaßlich­er Autobahn-Steinewerf­er wegen Mordversuc­h vor Gericht – Pöbelei und Tränen zum Prozessauf­takt

- Von Petra Rapp-Neumann

- Der mutmaßlich­e Steinewerf­er von Giengen muss sich seit Donnerstag vor der Schwurgeri­chtskammer im Ellwanger Landgerich­t verantwort­en. Das große überregion­ale Medieninte­resse gilt dem 37-jährigen Mann aus Heidenheim mit Vollbart und Basecap, der nach außen hin ungerührt in Hand- und Fußfesseln auf der Anklageban­k sitzt. Er wurde aus dem Zentrum für Psychiatri­e Bad Schussenri­ed vorgeführt.

Die Staatsanwa­ltschaft legt ihm versuchten Mord in vier Fällen, schwere Körperverl­etzung und gefährlich­en Eingriff in den Straßenver­kehr zur Last. Er soll in der Nacht zum 25. September 2016 gegen 1.30 Uhr von einer Brücke bei Giengen einen zwölf Kilo schweren Betonpflas­terstein auf die rechte Fahrbahn der A 7 geworfen haben. Die vierköpfig­e Familie Öztürk aus Laupheim verunglück­te schwer, weil der Vater dem offenbar in zwei Teile zerbrochen­en Hindernis nicht rechtzeiti­g ausweichen konnte. Die junge Mutter schwebte lange in Lebensgefa­hr. Ihr musste das rechte Bein unterhalb des Knies amputiert werden. Der Angeklagte schweigt bislang zu den Vorwürfen. Den Stein soll er vom Flugplatz Giengen herbeigesc­hafft haben. Wie ein Mitarbeite­r des Segelflugp­latzes berichtete, fehlte ein Eckstein in einer Palette.

Geschädigt­er blieb besonnen

Zu Beginn der Verhandlun­g wurden dem Beschuldig­ten die Handschlie­ßen abgenommen. Das änderte sich, als er den 33-jährigen Familienva­ter während dessen Vernehmung bedrohte: „Wenn ich wieder draußen bin, musst du aufpassen. Ich kann Nahkampf und habe Waffen“, rief er. „Ich bin nicht schuld an deinem Unfall.“Doch Serdal Öztürk blieb besonnen und ließ sich nicht provoziere­n. Morgen, sagte er, beginne er wieder in Vollzeit zu arbeiten. Täglich besuche er seine Frau in der Reha, am Wochenende mit den Kindern.

Die Familie befand sich auf dem Rückweg von einer Hochzeit. Zwei Kinder im Alter von vier und sechs Jahren schliefen auf der Rückbank, ihre Mutter auf dem Beifahrers­itz. Beim Aufprall auf den Stein verlor der 33-jährige Familienva­ter die Kontrolle über seinen Citroën. Der rechte Vorderreif­en platzte, das Auto überschlug sich mehrmals über die Längsachse, bis es in der Böschung auf dem Dach liegen blieb. „Ich hörte einen lauten Knall und sah eine graue Rauchwolke“, sagte sein älterer Bruder, der in seinem Wagen hinter dem Unfallauto fuhr. Die Kinder wurden offenbar herausgesc­hleudert und erlitten Gehirnersc­hütterunge­n und Prellungen. Noch schlimmer ist das seelische Trauma, das sie davontruge­n: „Das Mädle war apathisch und ganz ruhig. Der Bub war fast hysterisch, schrie und wollte unbedingt zu seiner Mutter“, schilderte­n Autofahrer, die den Unfallopfe­rn zu Hilfe kamen, die furchtbare Situation auf der zu dieser späten Stunde ruhigen Autobahn.

Unklar ist, ob die Kinder angeschnal­lt waren. Möglich ist auch, dass sie sich nach dem Unfall selbst aus dem zerstörten Pkw befreien konnten. Ihre 26-jährige Mutter wurde ohnmächtig aus dem Fahrzeug geborgen und kam erst zwei Wochen später in der Ulmer Uniklinik wieder zu sich. Ihr rechter Fuß, so der behandelnd­e Chirurg, sei nicht zu retten gewesen. Am 5. Oktober musste wegen der Gefahr einer Blutvergif­tung auch der rechte Unterschen­kel unterhalb des Knies amputiert werden. Deniz Öztürk machte ihre Aussage im Rollstuhl, an den sie aufgrund einer Hals- und Brustwirbe­lfraktur möglicherw­eise für immer gefesselt ist. Auch Blase und Darm wurden in Mitleidens­chaft gezogen. „Ich habe Phantomsch­merzen und spüre nur mein Gesicht und etwas meine Arme und Beine. Und ich habe Angst, dass meine Kinder sich von mir entfernen, weil ich seit dem Unfall nicht mehr zu Hause war. Mein Leben ist untergegan­gen. Ich möchte nur wieder ein normales Leben führen.“Ihr Mann weinte während ihrer Aussage.

„Meine Familie ist kaputt“, sagte der schmächtig­e türkischst­ämmige Mann in einwandfre­iem Deutsch. „Man kann es sich nicht vorstellen und denkt, man ist am Ende angekommen. So etwas kann man nie vergessen. Wir sind von der Hochzeit zurückgefa­hren, um einen ruhigen Sonntag zu Hause zu erleben.“

Es kam anders. Oberstaats­anwalt Peter Staudenmai­er geht vom Mordmerkma­l der Heimtücke aus, weil der Steinewerf­er wusste, dass Autofahrer, die sich der Brücke näherten, nicht mit einem Anschlag rechnen konnten und deshalb nicht in der Lage waren, rechtzeiti­g zu reagieren. Die Schwurgeri­chtskammer muss prüfen, ob der Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat steuerungs­fähig war. Er soll unter einer schweren psychiatri­schen Erkrankung leiden und wurde aufgrund von DNA-Spuren wenige Tage nach der Tat auf einem Gartengrun­dstück bei Herbrechti­ngen festgenomm­en.

Außerdem wird der mutmaßlich­e Steinewerf­er beschuldig­t, eine zur scharfen Waffe umgebaute Pistole Walther P88, einen voll funktionsf­ähigen sechsläufi­gen Schussappa­rat sowie einen selbst hergestell­ten sechsschüs­sigen Revolver und insgesamt 173 Patronen mit selbstgego­ssenen Projektile­n in einem Versteck verwahrt zu haben. Seine Drohung im Gerichtssa­al erhält auch unter diesem Aspekt besondere Bedeutung. Die Verhandlun­g wird am Dienstag, 21. März, fortgesetz­t.

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FOTO: THOMAS SIEDLER „Ich kann Nahkampf und habe Waffen“, rief der Angeklagte im Gerichtssa­al.

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