Piratenschiffe und Fackeln
Kinder und Erwachsene kommen zum Schiffleschwimmen am Faulenbach zusammen
WURMLINGEN - Die Sonne ist gerade untergegangen, als hohe Scheinwerfer den Faulenbach im Wurmlinger Wiesle erneut in helles Licht tauchen. Dort, am Bach hinter dem Rathaus, versammeln sich auf einem Abschnitt von etwa 100 Metern nach und nach zahlreiche Menschen. In ihren Händen: Schiffle. Mit einer Tradition von mehr als 150 Jahren sei das Schiffleschwimmen berechtigt „Brauchtum“genannt zu werden, so Ursel Liebermann, Vorsitzende der Wurmlinger Ortsgruppe im Schwäbischen Alberein. Organisiert hat es auch in diesem Jahr ihr Verein gemeinsam mit der örtlichen Feuerwehr.
Ob jung oder alt, mit der Familie oder alleine, viele Menschen hat es am Sonntag an das kleine Stück des Faulenbachflusses geführt. Schon nach kurzer Zeit entstand eine vertraute Stimmung, die durch das Licht der Scheinwerfer und der umliegenden Dunkelheit zusätzlich verstärkt wurde. Noch bevor das eigentliche Event startete, positionierten die ersten Kinder und Erwachsenen ihre selbstgemachten Boote auf dem Faulenbach: manche davon klein, manche größer, ein paar prunkvoll verziert, andere schlicht gestaltet.
Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. „In den Kindergärten und Familien wird sich hierauf vorbereitet und gemeinsam gebastelt. Fast das ganze Dorf macht dabei mit“, erklärt Anja Mattmüller, Mitorganisatorin und Familienwartin des Wurmlinger Albvereins. Für sie ist klar: „Die Kinder wissen, was auf sie zukommt, und bereiten sich gerne darauf vor“.
So auch Moritz, der mit seinem Großvater, dem gebürtigen Wurmlinger Michael Pfeiffer, beim Schiffleschwimmen mitmacht. „Die Preise gefallen mir sehr gut und das Schwimmenlassen der Schiffe“, meint der Sechsjährige. Für die Kinder gibt es, nach der Teilnahme mit einem Schiff, kleine Geschenke.
Um Konkurrenzdruck zu vermeiden, wurden die Geschenke an jeden verteilt, der bei der Aktion mitgemacht hat.
Dass das kleine Fest eine lange Tradition hat, bestätigte auch Pfeiffer: „Ganz klar, heute ist Josefstag und damit Schiffleschwimmen.“Die Piratenschiffe, Segelboote, Dampfer und Hausboote haben sich auf dem Faulenbach versammelt und werden von an Stöcken befestigten Leinen in der Stromspur gehalten.
Nach und nach lassen Wurmlinger Feuerwehrleute ein Stück weiter den Fluss aufwärts Fackeln herantreiben, die sich ihren Weg durch die Schiffsflotten bahnen. Wer sein Boot nicht gut genug unter Kontrolle hat, kollidiert mit ihnen und muss im schlimmsten Fall ein Kentern seines Schiffes in Kauf nehmen. Da diese aber meistens aus Styropor oder Holz gefertigt sind, können sie schnell wieder aufgerichtet werden und ihre Fahrt auf der schwachen Strömung fortführen. Über 50 solcher Fackeln setzen die Feuerwehrleute auf dem Bach in Bewegung und fischen sie im Nachhinein wieder heraus.
Am Schiffleschwimmen teilgenommen haben aber nicht nur die Wurmlinger Bürger, sondern auch Gäste aus Tuttlingen, Rottweil, Rietheim sowie einigen weiteren Orten. Unter anderem die umliegenden Ortsvereine seien eingeladen worden, sagte Mattmüller und bekundete ihre Freude über die alljährlich gute Besucherzahl. Für die Vorsitzende des Albvereins, Ursel Liebermann, ist das Schiffleschwimmen nicht mehr wegzudenken: „Es sind ja auch viele ältere Leute dabei, die in jungen Jahren selbst einmal mitgemacht haben“.
Eine Stunde nach Beginn der Veranstaltung sind die großen, hellen Scheinwerfer aus, die Leute haben ihre Schiffe eingeholt und einige von ihnen befinden sich auf dem Weg zum Gasthaus „Sternen“, um den Abend gemütlich ausklingen zu lassen.
Nach der Überlieferung begründet sich das Schiffleschwimmen auf folgende Tradition: Der 19. März, der Josefstag, liegt einen Tag vor dem offiziellen Frühlingsanfang am 20. März. Tag und Nacht sind an diesem Punkt des Jahres gleich lang, wodurch die früheren Bauern zu morgendlichen Zeiten weniger, bis gar kein Licht mehr benötigten. Diese übrig gebliebenen Kerzen konnte man damals also wortwörtlich „den Bach abi“schwimmen lassen. Die Schiffe hingegen könnten auf den heiligen Josef zurückzuführen sein, der von Schiffsbauern verehrt wurde.