„Psychisch Kranke sind teilweise Familienterroristen“
Thomas Schwank vom Sozialpsychiatrischen Dienst über den häuslichen Stress durch psychische Erkrankungen
Haben es psychisch kranke Menschen im ländlichen Raum schwerer, an geeignete Hilfen und Behandlungen zu kommen? Wie sieht die Versorgung im Landkreis für solche Menschen aus? Wohin wenden sich betroffene Angehörige in ihrer Not? Redakteur David Zapp sprach mit Thomas Schwank vom Sozialpsychiatrischen Dienst über Hilfen, Hürden und Auswege.
An wen wenden sich psychisch kranke Menschen oder betroffene Angehörige?
Als erste Anlaufstelle dient der Sozialpsychiatrische Dienst, weil er ein niederschwelliges Angebot zur Grundversorgung vorhalten soll. Das ist unsere Hauptaufgabe, und man braucht vorher keine Anträge stellen oder Kostenübernahmen zu beantragen. Unsere Aufgabe kann man als Drehscheibe beschreiben. Wir betreuen auch teilweise die Leute über viele Jahre hinweg, wenn der Betreuungsbedarf nicht zu hoch ist. Dann geht von uns in der Regel die Überlegung aus, welche Hilfen sind sinnvoll und notwendig. Das klären wir ab und vermitteln dann weiter.
Wie komme ich denn an eine Therapie oder einen Therapieplatz? Wie sind da die Schritte?
Erste Anlaufstelle ist der Hausarzt. Dieser überweist dann an den entsprechenden Facharzt. Das ist sicherlich mittlerweile eines der größeren Probleme, da die Versorgung im ländlichen Raum nicht so gut ist wie in einer Großstadt. Es gibt im Landkreis sechs Psychiaterstellen. Und in der Regel kann man davon ausgehen, dass diese das ambulante System kennen und dann weitervermitteln.
Ist die Betreuung im ländlichen Raum wie zum Beispiel auf dem Heuberg oder im Donautal für Betroffene schwieriger als in den Städten?
Ich glaube, da macht es nicht so viel aus. Der Unterschied ist nicht so groß. Das ist ein Telefonat, das man führen muss, und dann folgen Hausbesuche. Die Erreichbarkeit ist nicht das große Problem.
Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus? Mitunter entlädt sich eine Situation im Familienkreis, da wird dann zum Telefonhörer gegriffen und es heißt: „Ich weiß nicht mehr weiter!“
Das hängt sicherlich damit zusammen, wie die Situation ist. Zu allererst: Wir sind kein Krisendienst! Aber das gibt es in Städten auch nicht. Die akuten Krisen gehören in den medizinischen Bereich. Sprich: Da ist im Zweifelsfall wirklich der Anruf beim Notarzt notwendig oder beim behandelnden Psychiater, wenn es eine akute medizinische Krise ist.
Und wenn es nun nicht akut ist, wie Sie es beschrieben haben? Wenn bei Angehörigen der Geduldsfaden reißt?
Wenn es soziale Krisen sind, dann haben wir erst einmal ein offenes Ohr am Telefon. Wir bieten dann einen Termin an, bei dem die Leute uns aufsuchen können oder auch wir diese aufsuchen. Dann versuchen wir uns ein Bild von der Situation zu machen und schon eine Möglichkeit zu finden, einen Kontakt zu dem Erkrankten herzustellen. Das sind dann die schwierigen Sachen, gerade wenn Eltern, Bekannte oder Nachbarn anrufen, die nicht möchten, dass die Betroffenen wissen, dass sie angerufen haben.
Also anonyme Hinweise sind dann eher schwierig ...
Wir brauchen schon einen konkreten Anlass, um auch einen Kontakt aufzunehmen. Man muss schon den Schritt rausmachen. Wir können keinen Auftrag annehmen, nach dem Motto: „Mein Nachbar spinnt komplett. Da muss jetzt jemand etwas machen! Aber sagen Sie nicht, dass ich angerufen habe!“Nur, was soll ich denen dann sagen? Dass wir wahllos durch den Landkreis fahren, an Türen klingeln und sagen: „Entschuldigen Sie bitte! Ich glaube, Sie sind psychisch krank und ich biete Ihnen meine Hilfe an.“(lacht) Wir sind ja nur ein Freiwilligendienst. Wenn jemand uns nicht will, dann sind wir draußen. Wir haben keine hoheitlichen Aufgaben, dass die Betroffenen mit uns sprechen müssen.
Behindert das Ihre Arbeit und enttäuscht das die Angehörigen, die sich bei Ihnen gemeldet haben?
Gott sei Dank, nicht! Das kann ich aus vielen Jahren Erfahrung sagen. Durch die Freiwilligkeit ist es für uns auch viel leichter, zu dem Erkrankten eine stabile Beziehung aufzubauen.
Das klingt nicht nach einem Einmal-Einsatz, der kurz und schmerzlos ist, sondern nach einem längeren Prozess. Bei den Angehörigen steckt hinter ihrer Hilflosigkeit sicherlich eine große Erwartungshaltung an Sie?
Ein großer Schritt ist, dass wir dem Umfeld deutlich machen, wir haben keine Handhabe, um etwas mit Gewalt zu erreichen. Wir können nicht sagen, dieser Mensch ist krank und muss nun in die Klinik. Die Hürde für eine Zwangsbehandlung ist extrem hoch. Unsere Gesetzgebung ist da sehr, sehr vorsichtig.
Ab wann gibt es denn Möglichkeiten zu Zwangsbehandlungen?
Das ist nur bei Fremd- und Selbstgefährdung der Fall, dass es Zwangsmaßnahmen geben kann. Das ist dann der Fall, wenn jemand am Fenster steht und rausspringen will oder jemanden Anderen massiv bedroht. Das gilt nicht für den Fall, wenn jemand nervt. Wenn jemand nachts die ganze Zeit schreit, weil Geister aus den Wänden kommen, dann ist das lästig, aber keine Selbst- und Fremdgefährdung. Wenn jemand keine Medikamente nimmt und deshalb akut psychotisch ist, dann gefährdet er damit nicht akut sein Leben.
Dann ist die Ernüchterung bei den Angehörigen groß und es heißt: „Wir dachten, Sie nehmen den jetzt mit.“
Ja. Wir besuchen und bauen Kontakt auf, versuchen uns bekannt zu machen, um dann zu sehen, an welchen Schrauben man drehen kann, um die ganze Situation zu entspannen. Wie können wir Überzeugungsarbeit leisten, dass sich jemand medizinisch behandeln lässt? Wie kann die häusliche Situation verändert werden, dass man miteinander zurecht kommt? Das sind Prozesse, die nicht innerhalb von wenigen Wochen passieren. Das geht über ein halbes oder ein Jahr.
Was ist, wenn der Betroffene sich nicht behandeln lassen will, das verweigert?
Das ist Überzeugungsarbeit. Es läuft oft darauf hinaus, dass sich Angehörige zurücknehmen müssen. Und der Druck, der Zuhause aufgebaut wird, dass derjenige zum Arzt geht, führt nicht zum Ziel. Unsere Arbeit zielt auch auf die medizinische Behandlung, aber langsam. Aber, die Angehörigen sind froh, dass jemand kommt. Wenn dann klar wird, dass wir denjenigen nicht mitnehmen, dann wird auch akzeptiert, so geht es nicht. Dann merken sie, dass wir kommen und ihnen bei ihren Problemen zuhören, sie entlasten und feststellen, dass sie auch wütend sein dürfen über die Situation. Dass die Erkrankten teilweise auch unausstehliche Familienterroristen sind. Nicht jeder Kranke ist auch ein netter Mensch. Dann merken Angehörige, das brauchen wir uns nicht gefallen zu lassen und ziehen da eine Grenze. Dann ist in den allermeisten Fällen schon so Sprengstoff aus der Situation raus, dass man die Zeit hat, Überzeugungsarbeit zu leisten.
Wie sieht denn eine ambulante Betreuung bis zu einer stationären Therapie aus, wenn der Fall das notwendig macht?
Das kommt drauf an, wie intensiv die Betreuung zu sein hat. Den Rahmen, den wir anbieten, ist alle 14 Tage für cirka eine Stunde. In Akutsituationen manchmal auch mehr. Wenn mehr Hilfe notwendig ist, dann gibt es betreutes Wohnen. Dann müssen die Leute aber einen Antrag stellen. Das kann auch eine Überbrückung zu einer stationären Therapie sein. Die stationäre Therapie aus Akutphasen raus braucht in der Regel keine lange Wartezeit. Und in der Klinik werden die Erkrankten dann sofort auf die Stationen verlegt, wo die Therapie stattfindet.
Um welche psychische Krankheitsbilder geht es dabei meistens?
Da geht es um den Schwerpunkt Psychosen, schwere Depressionen, Persönlichkeitsstörungen oder manisch-depressive Erkrankungen. Und das sind Sachen, wo man nicht mehrere Monate auf einen Therapieplatz wartet. Bei uns kommen in der Regel chronisch Kranke an. Und wir lagen 2016 bei 160 Klienten.