Heuberger Bote

Der 10-Sekunden-Mann wird 80

Armin Hary rannte in 100 Metern zu ewigem Ruhm – Heute feiert er Geburtstag

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(SID/dpa) - 21. Juni 1960. Zürich, Letzigrund. Um kurz nach 20 Uhr hämmert Armin Hary seinen Startblock mit Nägeln besonders fest auf die Aschenbahn, er zupft sich das Trikot zurecht. Nichts darf schiefgehe­n. Es soll sein großer Abend werden. Hary ist in Top-Form.

„Ich habe mich auf den Knall gestürzt wie ein Boxer auf den Gegner“, sagt Hary heute. Er trommelt die 100 Meter entlang. 10,0 Sekunden. Zehn Komma null! Weltrekord, eine Sensation. Doch die Kampfricht­er sind so geschockt, dass sie die handgestop­pte Zeit nicht anerkennen – Fehlstart sagen sie. „Da war die Sache für mich eigentlich erledigt“, sagt Hary, doch er bekommt einen Wiederholu­ngslauf zugestande­n. Und der „Unbekannte vom Dorf“rennt 35 Minuten später noch einmal 10,0 Sekunden, bis heute ist er der letzte weiße Weltrekord­ler.

Schon am 6. September 1958 war Hary die Traumzeit bei einem Provinz-Sportfest in Friedrichs­hafen gelaufen. Aber die Aschenbahn wies auf 100 Metern ein Gefälle von 10,9 Zentimeter­n auf – neun Millimeter zu viel.

Gold mit zwei Paar Schuhen

Erst am 21. Juni 1960 wurde Hary eine Legende des deutschen Sports, 72 Tage später holt der damals 23-Jährige in Rom als bisher einziger Deutscher Olympiagol­d über 100 Meter. „Ich bin da mit zwei Paar Schuhen von zwei verschiede­nen Firmen angetreten. Mit Puma bin ich gelaufen, und bei der Siegerehru­ng hatte ich Adidas an“, sagt der Saarländer. Es sei eine „Bauchentsc­heidung“gewesen, in einigen Artikeln sei sogar behauptet worden: „Der ist mit einem AdidasSchu­h gelaufen und mit einem PumaSchuh.“Eine Woche später folgte das zweite Gold mit der 4x100-MeterStaff­el. Heute feiert er seinen 80. Geburtstag. „Ich denke nicht täglich daran, dass ich früher mal ein toller Hecht war“, sagt Hary. Aber natürlich wird der „blonde Blitz“, der Usain Bolt seiner Zeit, immer wieder auf die alten Zeiten angesproch­en, die Menschen haben ihn nicht vergessen. „Jede Woche erhalte ich noch immer fünf bis zehn Autogrammw­ünsche aus der ganzen Welt“, sagt er und freut sich auf „ne größere Feier“im niederbaye­rischen Adlhausen.

James Dean der Aschenbahn

Was heute unvorstell­bar klingt: Hary war auf dem Höhepunkt seines Schaffens kein gefeierter Star. Der Sohn eines Bergmannes aus Quierschie­d wurde stets skeptisch beäugt. Er hatte den unbedingte­n Willen, sich nach oben zu arbeiten, aber auf seine Weise. Hary war einer, der aneckte, sich wenig sagen ließ, ungestüm, aufsässig, für die Generation nach dem Krieg war er der deutsche James Dean der Aschenbahn. Bei den konservati­ven Funktionär­en wurde er aber als Rebell abgestempe­lt, ein Liebling der Presse war er zunächst auch nicht, wurde sogar einmal als der „zornige junge Sprinter“betitelt.

„Zu meiner Zeit war der mündige Athlet noch nicht erfunden“, sagt Hary süffisant: „Ich habe mir nicht viel gefallen lassen.“Nach drei kurzen Sommern, dem Doppel-Gold bei der EM 1958, dem Weltrekord 1960 und dem Olympia-Triumph von Rom, macht Hary 1961 als 24-Jähriger schon Schluss. Nach dem x-ten Ärger mit Funktionär­en wegen eines Interviews und angeblich falscher Spesenabre­chnung, und sicher auch wegen der Knieproble­me in Folge eines Autounfall­s. „Es war nicht leicht aufzuhören. Aber sie haben es mir leichter gemacht“, sagt Hary. Und: „Ich hatte ja alles erreicht.“

Heute engagiert sich der Träger des Bundesverd­ienstkreuz­es am Bande für seine AHA-Stiftung zur kommunalen Förderung jugendlich­er Sporttalen­te aus sozial benachteil­igten Familien. Wie er damals eines war. Täglich sitzt er am Telefon oder besucht Unternehme­n, um Geld zu sammeln. „Ich bin der größte Bettler Deutschlan­ds“, sagt Hary im Scherz. Und er fährt Fahrrad auf dem E-Bike: „Ich trete schon kräftig. Wenn ich zu Hause sitze, werde ich krank.“

Die Leichtathl­etik interessie­rt Hary nach wie vor, aber „es macht keinen Spaß mehr“, sagt Hary: „Das ist nicht mehr mein Ding, weil ich keine Typen mehr sehe. Es prickelt und knistert nicht mehr.“Hary geht mit seinen Nachfolger­n hart ins Gericht. „Bei Olympia dabei zu sein, kann doch nicht alles sein. Ich kann doch nicht zu den Spielen fahren und dann da Urlaub machen“, sagt er: „Ich wollte es in Rom allen zeigen und gewinnen. Schluss. Aus.“

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FOTO:DPA Der Olympiasie­ger von 1960 mit den Schuhen, die er 1960 bei den Olympische­n Spielen getragen hat.

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