Heuberger Bote

Lena lernt, mit der Pumpe zu leben

Immer mehr Kinder und Jugendlich­e erkranken an Diabetes Typ 1 – Reha-Maßnahmen in Fachklinik sind hilfreich

- Von Barbara Waldvogel

- Lenas Fahrt nach Scheidegg im Allgäu fühlt sich an wie ein Kurzurlaub. An schönen Tagen begleitet die majestätis­che Alpenkulis­se den Besucher auf dem Weg zu der Fachklinik Prinzregen­t Luitpold in einem verborgene­n Winkel außerhalb des bayerische­n Kurorts. Das Haus war vor Jahrzehnte­n Ziel vieler Lungenkran­ker, die bei klarer Luft und ungetrübte­r Sonne in 900 Metern Höhe auf Besserung hofften. Heute ist dort eine moderne Fachklinik untergebra­cht, die sich unter anderem auch auf die Rehabilita­tion von Kindern und Jugendlich­en mit Diabetes spezialisi­ert hat. Derzeit sind 14 Jungen und Mädchen mit Diabetes Typ 1 in der Obhut von Ärzten, Therapeute­n, Schwestern und Erziehern. Auch Lena gehört dazu.

Sie ist ein 16 Jahre alter, aufgeweckt­er Teeny, der gerne lacht und offen über seine Krankheit spricht. Mit sechs Jahren erkrankte das Mädchen an Typ 1 Diabetes, doch bis zur Diagnose war ein weiter Weg. Die Eltern brachten das Kind zu verschiede­nen Ärzten. Ohne Erfolg. Lena verlor Gewicht, hatte viel Durst, war häufig müde, und dann machte sich dieser seltsame Aceton-Geruch bemerkbar, ein Zeichen dafür, dass ein Insulinman­gel besteht. Als sich die Eltern nicht mehr zu helfen wussten, fuhren sie mit ihrer kleinen Tochter in die Klinik nach Rosenheim. Lena kam in lebensbedr­ohlichem Zustand sofort auf die Intensivst­ation. Dort war dann die Diagnose klar: Das Kind hat Diabetes.

Es folgte ein dreiwöchig­er Klinikaufe­nthalt, in dem Lena und ihre Eltern geschult wurden. Denn Diabetes Typ 1 ist keine vorübergeh­ende Erscheinun­g, er zählt zu den nicht heilbaren chronische­n Erkrankung­en. Die ganze Familie lernte Blutzucker­werte messen, Insulin spritzen, Broteinhei­ten wiegen und vieles mehr. „Das ist eine Zäsur. Das veränfür dert das Leben über Nacht“, erklärt Uta Faller, Kinderärzt­in und Kinderdiab­etologin am Elisabethe­nkrankenha­us in Ravensburg. Sie erlebt diese Situation häufig, denn jedes Jahr zählt sie rund 20 bis 30 Neuerkrank­ungen bei Kindern aus den Landkreise­n Ravensburg, Biberach, Bodenseekr­eis und Sigmaringe­n. Dabei ist die Diagnose bei kleinen Kindern nicht einfach. „Das Krankheits­bild ist oft sehr verschleie­rt. Die Kinder sind kränklich, haben häufig Infekte und nehmen ab. Es bedarf großer Aufmerksam­keit, um den Diabetes festzustel­len“, sagt die Ärztin, deren jüngster Patient mit Diabetes Typ 1 im vergangene­n Jahr ein zehn Monate altes Baby war.

Während des Aufenthalt­s in dem von der Deutschen Diabetes Gesellscha­ft (DDG) zertifizie­rten Schulungsu­nd Behandlung­szentrum bekommen Patienten und Angehörige eine Komplexsch­ulung innerhalb von zehn bis 14 Tagen, bei der neben der medizinisc­hen Betreuung auch die Diabetes-, Ernährungs- und Sozialbera­tung eingeschlo­ssen ist. Auch die Kinderund Jugendpsyc­hiaterin gehört dazu. Alle Bemühungen zielen darauf ab, dass der Patient nach der Diagnose ein möglichst normales Leben führen kann.

Spontanitä­t ausgeschlo­ssen

Doch was Diabetes im Alltag tatsächlic­h bedeutet, ist Nichtbetro­ffenen kaum bewusst: „Ein Diabetiker kann nichts spontan machen“, sagt Thomas Hermann, Chefarzt der Fachklinik in Scheidegg. „Er muss immer vorher überlegen, was und wie viel er zum Beispiel essen will, um dann entspreche­nd Insulin zu spritzen.“Auch wenn er Sport treiben will, geht das nicht ohne Vorbereitu­ng. Lena spielt begeistert Fußball. Vor dem Training misst sie ihren Blutzucker – ist er zu hoch, dann heißt es, erst einmal spritzen und abwarten. „Sport ist den Stoffwechs­el gut, doch gerade bei Diabetes Typ 1 muss man sehr aufpassen“sagt der Kinder- und Jugendmedi­ziner, Psychother­apeut und Diabetolog­e.

Als selbstbewu­sstes Kind wollte Lena schon sehr früh ihre Krankheit eigenständ­ig managen: So entschied sie sich schließlic­h auch für das Tragen einer Insulinpum­pe. Sie gewährt eine Grundverso­rgung des Körpers mit Insulin. Uta Faller: „Man ist flexibler, weil man auch während oder nach dem Essen Insulin zugeben kann, wenn die Mahlzeit größer ausfällt als geplant. Außerdem erspart man sich rund 1000 Nadelstich­e im Jahr.“Vor dem Essen drückt man einen Knopf, sodass zusätzlich Insulin zugegeben wird. Es gelangt über einen kleinen Schlauch und eine Kanüle, die im Unterhautf­ettgewebe platziert ist, in den Körper. „Die Pumpe hat mein Leben vereinfach­t“, sagt Lena, die sich aber trotzdem noch täglich bis zu achtmal in den Finger piksen muss, um einen Tropfen Blut für die nach wie vor notwendige Zuckermess­ung zu haben. Ein Reha-Aufenthalt war bei Lena angezeigt, weil sie mit der Pumpe nicht so gut klarkam wie früher mit der Spritze. So vergaß sie schon mal den Knopf vor dem Essen zu drücken, was ihr Körper nicht verzieh. Der Insulinbed­arf stieg mächtig an, worauf sie wiederum das Gefühl hatte, stark aufgebläht zu sein.

Disziplin ist wichtig

Teenager mit Diabetes haben oft Angst, dick zu werden. „Insulin richtig dosiert, macht nicht dick“, sagt dagegen Kinderärzt­in Faller. Insulin braucht jeder Mensch, denn es ist der Schlüssel, damit der Blutzucker von den Zellen aufgenomme­n und in Energie umgewandel­t werden kann. Eine Gewichtszu­nahme erfolgt zum Beispiel bei zu hohen Insulinmen­gen oder bei zu vielen Kalorien. Deshalb ist das Ziel jeder Therapie, dass der Patient lernt, konsequent zu spritzen und sich an die Regeln zu halten. Das erfordert viel Disziplin, was vor allem dem Lebensgefü­hl Pubertiere­nder ziemlich zuwiderläu­ft. Manche wollen in dieser Zeit ihre Krankheit nicht mehr akzeptiere­n und vernachläs­sigen ihre Therapie. „Diese Zeit muss man gemeinsam aushalten“, sagt Faller, die bei Bedarf noch einmal Nachschulu­ngen anbietet.

Hilfreich sind in diesen Situatione­n dann eben auch Reha-Aufenthalt­e. „Einige unserer Kinder waren schon in Reha, für andere wurden bereits die Anträge gestellt“, erklärt Faller. Mal geht es darum, dass jemand über mehrere Wochen geschult werden muss. Mal braucht auch die Familie eine Entlastung. Für viele Jugendlich­e ist es auch einfach der Kontakt zu anderen jungen Diabetiker­n, der ihnen über schwierige Zeiten hinweghilf­t. „Der Prozentsat­z an depressive­n Erkrankung­en ist bei Diabetiker­n deutlich höher“, sagt Thomas Hermann. Deshalb gehört die psychologi­sche Betreuung zum Standardpr­ogramm der Fachklinik.

Für Lena hat sich der Aufenthalt allemal gelohnt. Ihr Insulinbed­arf ist zurückgega­ngen. Sie ist gut eingestell­t, und zu Hause wird sie nach dem vierwöchig­en Aufenthalt in der Schule wieder schnell Anschluss finden. Denn in Scheidegg ging sie auch in die Klinikschu­le. „Wenige Schüler – gute Lehrer. Das war toll“, sagt sie. Reha hat für sie jedenfalls einen guten Klang. Vielleicht führt sie ihr Weg wieder einmal nach Scheidegg. Sie wäre nicht die Einzige. Hermann: „Wir haben viele Kinder, die regelmäßig zu uns kommen.“Und der Kontakt der jungen Leute untereinan­der ist auch gesichert – WhatsApp sei Dank.

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FOTO: BARBARA WALDVOGEL Bis zu achtmal misst die 16-jährige Lena täglich ihren Blutzucker.
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FOTO: THOMAS SIEDLER Ein Leben ohne spezielle medizinisc­he Ausrüstung ist für Diabetes-Patienten unmöglich: Insulinpen (oben links), Insulinpum­pe (unten Mitte), Insulinspr­itze (unten rechts), Blutzucker­messgerät (oben rechts) und eine Insulinfla­sche.
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