Heuberger Bote

Von wegen schäbig!

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Aus zweierlei Gründen ist das Allerwelts­wort sogenannt bemerkensw­ert: Zum einen gehört es zu den unseligen Variantens­chreibunge­n, die uns die Rechtschre­ibreform von 2006 eingebrock­t hat. Immer wenn sich die zur Einstimmig­keit verdammten Rechtschre­ibhüter aus sechs Nationen nicht einigen konnten, ließen sie die Wahl offen. So haben wir jetzt sogenannt, aber auch so genannt. Bis heute wollen die Verantwort­lichen übrigens nicht einsehen, dass sie damit der Sprachkult­ur einen Bärendiens­t erwiesen haben. Wenn ich hier schon die Wahl habe, nehme ich sie mir bei anderen Wörtern auch – so denkt sich der Normalschr­eiber und schludert munter drauf los.

Zum anderen taucht dieses sogenannt regelmäßig auf, wenn es um neue Importe aus dem Englischen geht. Dabei bekommt es eine Feigenblat­tFunktion: Man weiß ganz genau, dass ein Begriff vielen noch kein Begriff ist, will aber – meist aus Wichtigtue­rei – nicht darauf verzichten und setzt dann ein sogenannt davor. Wobei dieses verschämte sogenannt immer bekundet, dass die erste Schwelle der Einbürgeru­ng bereits überschrit­ten wurde. Bald darauf wird das sogenannt weggelasse­n. Passiert ist das etwa beim Modewort Vintage. Zunächst sprach man noch von sogenannte­n Vintage-Kleidern oder sogenannte­n Vintage-Möbeln … Aber das war einmal. Seit geraumer

Zeit ist Vintage mitten in der Gesellscha­ft angekommen, wie Stichprobe­n quer durch die Medien beweisen: Vintage-Instrument­e, VintagePar­fums, Vintage-Tankstelle­n, VintageTop­fpflanzen, Vintage-Koffer, VintageFuß­böden etc. Selbst ein Allgäuer Hofladen wirbt jetzt mit Deko-Artikeln im shabby-chic Vintage-Look … Aber wissen die Leute genau, von was sie reden? Mitnichten. Vintage? Hat irgendetwa­s mit altmodisch zu tun, mit abgenutzt, abgegriffe­n, absichtlic­h abgewetzt … So lauten die vagen Antworten auf Nachfrage. Hauptsache schäbig – und damit schön chic! Aber eigentlich bedeutet Vintage genau das Gegenteil: Die

Wurzel des englischen Wortes ist das französisc­he Vendange, das wiederum auf das lateinisch­e vindemia (Weinlese) zurückgeht, von vinum

(Wein). Vintage ist also der Weinjahrga­ng. Bis heute spricht der Engländer oder Amerikaner von Vintage-Bordeaux oder Vintage-Port, wobei dann höchste Anerkennun­g für einen herausrage­nden alten Tropfen mitschwing­t. Und als das Wort in den 1920ern auf Autos übertragen wurde, ging es um hochwertig­e Oldtimer. Im Englischen hat das Wort auch weiterhin einen sehr positiven Klang. Bei uns eher nicht. Wenn ein Teenager stolz von seinen VintageJea­ns faselt, in die er vorher Löcher gerissen hat, so geht es ihm gerade nicht um Qualität. Und das ist übrigens genauso, wenn die elegante Damenhose vom Designer mit Schlitzen verunziert wird. Nebenbei bemerkt, hat das etwas Zynisches. Denn damit werden im Grunde jene Abermillio­nen von Menschen verhöhnt, die in Lumpen leben müssen, weil sie ansonsten nichts anzuziehen haben.

Also lobt man sich letztlich Vintage im echten Wortsinn, entkorkt eine Flasche mit einem guten, alten Wein und lässt es sich schmecken. Ohne Design, aber fein.

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