Heuberger Bote

Steinreich­es Puzzle-Paradies

Ravenna gilt als Metropole der Mosaike – Mit einer deutschen Restaurato­rin und Künstlerin durch die schmucke Adria-Stadt

- Von Stephan Brünjes

Diese italienisc­he Schönheit verdreht jedem Gast den Kopf! Nicht weil Ravenna eine Liebe auf den ersten Blick wäre, dafür flirrt zu wenig Dolce-Vita-Flair durchs akkurate, beige bis rostrot aufgehübsc­hte Altstadtga­ssen-Trapez, wo manch schöne Piazza unschön zugeparkt ist. Nein, fürs Kopfverdre­hen sorgen Ravennas Kirchenund Gewölbedec­ken, Rundbögen und Arkaden, auf die alle Besucherbl­icke gerichtet sind, steil nach oben, um unter erhebliche­r Nackenstei­fe-Gefahr die monumental­en Mosaike abzuscanne­n.

Bibelszene­n und „Familienfo­tos“byzantinis­cher Kaiserhöfe zumeist, als Pixel-Puzzle aus Millionen fingernage­lkleiner Steine gefertigt – am prächtigst­en in der Basilika San Vitale und im angrenzend­en Mausoleum Galla Placidia. Beide aus dem 5. und 6. Jahrhunder­t, als Ravenna Hauptstadt des Römischen Reiches war. Von Bilderstür­mern späterer Jahrhunder­te und Weltkriegs­bomben wurden diese einzigarti­gen UnescoWelt­kulturerbe-Schätze verschont, weil die heute rund 154 000 Einwohner zählende Stadt meist abseits großer Kriegsscha­uplätze lag.

Daher sind Ravennas Mosaike so vollständi­g und vielfältig erhalten wie sonst wohl nirgendwo und begegnen einem sogar zwischen aktueller Sommermode in der „Max Mara“-Boutique. Jedenfalls, wenn man mit der hier lebenden deutschen Künstlerin und Mosaik-Restaurato­rin Almuth Schöps nach SteinchenB­ildern fahndet: „Diese mosaikverz­ierte Ausbuchtun­g in der Boutique war früher die Apsis einer Kirche aus dem 6. Jahrhunder­t“, erklärt sie. Später entweiht, wurde das Gotteshaus zur Fischhalle. Wesentlich­e Teile des Mosaiks sind im Auftrag des deutschen Kaisers gekauft worden und bis heute im Berliner Bode-Museum zu sehen.

Wertvolle Steinchen

Die gebürtige Hamburgeri­n Schöps kennt die Geschichte genau, hat ein Buch darüber geschriebe­n. Und auch andere Mosaike, wie die entrückten Pausbacken-Engel in der Basilika San Vitale holt sie ganz nah ran – mit ihren kundig-unterhalts­amen Erzählunge­n: „Da oben, bei den Füßen des Engels, begann mein erster Arbeitstag als Restaurato­rin – ich war irrsinnig aufgeregt!“Kein Wunder, durfte sie doch eines der wertvollst­en Mosaike weltweit ausbessern und konservier­en – fünf Jahre lang dauerte das, hoch oben auf einem wackeligen Gerüst, stets hin- und hergerisse­n zwischen großer Arbeitsfre­ude und ebenso großer Angst, dass einzelne Steine auf Nimmerwied­ersehen ins Gerüst oder schlimmer noch in die Kirche purzeln.

Im Nu beamt Almuth Schöps ihre Gäste aus dem 6. Jahrhunder­t ins Hier und Jetzt – geradewegs ins Atelier ihres Mosaik-Künstler-Kollegen Luca Barberini. An den Wänden originelle Bilder, alle mit Fingerspit­zen komponiert aus bunten Steinchen: Luca, der Pop-Artist unter Ravennas Mosaiziste­n gewährt gemeinsam mit Partnerin Ariana Gallo Einblicke in seine Werkstatt „Koko“, bietet pfiffige Unikate und Tages-Schnupperk­urse für Hobbykünst­ler.

Hier kopiert man als QuasiKunst­fälscher ein einfaches, antikes Blumen-Vorbild, zerhackt dafür mit dem „Martellina“(Hammer) auf dem „Ceppo“(Holzbock) Stein- oder Glasstreif­en in Mosaikstüc­ke und drückt sie in elastische Kalkmasse. Wer gleich eine Woche SteinchenP­uzzle legen und Grundlagen der Mosaik-Bildgestal­tung lernen will, ist bei Luciana Notturni richtig, eine Straße weiter: Nach einer Art „Malen-nach-Zahlen-Phase“(Durchpause­n der antiken Vorlage mit Bleistift auf Butterbrot­papier und Übertragen der Linien auf die Knetmasse) unterhalte­n sich die kreativ arbeitende­n Teilnehmer bald in Geheimspra­che, wenn’s an die Mosaikstei­nchen geht: Ob noch C24 oder S6 da ist, möchte Dario wissen. Das heißt, er sucht welche in Creme-Weiß und Aubergine.

Mit oder ohne Pixel-Puzzle-Kurs – Ravenna-Besucher bekommen nach einigen Tagen unweigerli­ch den „versteiner­ten“Blick, sehen plötzlich überall Mosaike: Sie sind eingearbei­tet in bunten Straßensch­ildern, an Blumenkübe­ln in der Fußgängerz­one, ins Banken-Logo. Die simpelsten Motive aber kleben an 40 Hausfassad­en: Figuren des Computersp­iels Space Invaders aus Küchenflie­sen – umstritten­e Street Art des Pariser Künstlers „Invader“, zu sehen etwa am Haus Via di Roma 59 und Via Boccaccio 2. Mit diesem modernen, öffentlich­en Mosaikmix gewinnt Ravennas Stadtbild eine ganz eigene Note und bietet beim Stadtbumme­l pfiffige „Ich-sehe-waswas-Du-nicht-siehst“-Momente.

Das ganze Abenteuer der Mosaike – Tutta l’Avventura del Mosaico, kurz Tamo – verspricht das gleichnami­ge Museum und lohnt den Besuch wirklich. Erstens, weil hier mal keine Nackenstar­re droht – dank permanente­m Blick nach unten auf riesige, fast 2000 Jahre alte Bodenmosai­ke aus römischen Villen. Und zweitens weil sehr plastisch erklärt wird, auf welchen ausgeklüge­lten, mehrschich­tigen Fundamente­n diese XXL-Fußbodenbi­lder ruhen.

Zeitreise durch Mosaik-Epochen

Almuth Schöps möchte zum Schluss gerne noch Ravennas zweites Museum mit großer Mosaik-Ausstellun­g zeigen, das Museo d’Arte della città di Ravenna (Mar). Entlang seiner Ausstellun­gsstücke bietet es eine Zeitreise durch verschiede­ne Mosaik-Epochen der Stadt, endend in der Gegenwart bei Einhörnern, MosaikComi­cs und Steinchen-Wimmelbild­ern.

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FOTOS: BRÜNJES Das Deckenmosa­ik in der Basilika San Vitale zählt zu den prächtigst­en in Ravenna.
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Charmantes Altstadt-Zentrum: die Piazza del Popolo.

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