Berufsorientierung: Wahl, oft auch Qual
Viele Hilfen setzen schon bei Schülern an – Jugendarbeitslosigkeit liegt unter Landesschnitt
- Mit 226 arbeitslosen 15- bis 25-Jährigen hat der Landkreis Tuttlingen im Jahr 2016 erneut einen niedrigen Stand bei der Arbeitslosenquote junger Menschen erreicht. Und das vor dem Hintergrund, dass es derzeit sogar einen Überschuss an Ausbildungsplätzen gibt: So waren im Februar bei der Agentur für Arbeit 1086 Berufsausbildungsstellen im Landkreis Tuttlingen gemeldet, doch 637 waren zu diesem Zeitpunkt erst besetzt.
Um junge Menschen schon früh an die Berufswelt heranzuführen, wird an der Basis viel getan. Neben der berufsorientierenden Arbeit in den Schulen baut etwa die Agentur für Arbeit Rottweil Ende April einen Tandem-Kooperationsvertrag mit den Schulen aus.
Für Zehntklässler Daniel ist die Sache klar: Er startet im Herbst eine Mechatroniker-Ausbildung bei einem Tuttlinger Unternehmen. „Ich habe in der achten Klasse ein Praktikum gemacht und wusste danach, dass ich da später eine Ausbildung machen möchte“, erzählt der Schüler der Tuttlinger Schillerschule, der schon im vergangenen Herbst seine Bewerbungen losgeschickt hat. Nicht so einfach finden es hingegen seine beiden Mitschülerinnen Jessica und Sarah. „Mir gefällt bis jetzt kein Beruf so richtig“, sagt Sarah, „meine Praktika haben mir nur gezeigt, was ich nicht will.“So werden beide ab Herbst vermutlich weiterhin die Schule, genauer gesagt das Berufskolleg, besuchen.
Drei Viertel der Zehntklässler wissen wie’s weitergeht
Eines steht jedenfalls fest: Etwa drei Viertel der Schillerschul-Zehntklässler haben ein knappes halbes Jahr vor ihrem Schulabschluss konkrete Pläne, wie es im Herbst weitergehen soll. Eine Zahl, auf die Konrektor Dominik Groß stolz ist. „Wir legen sehr viel Wert auf die Themen Ausbildung und Beruf und haben die Berufsorientierung auch im Leitbild unserer Schule verankert.“
Konkret heißt das: In jeder Klassenstufe werden die Schüler mit der Berufswelt konfrontiert. Das Hineinschnuppern in verschiedene Berufsfelder – wie etwa jüngst die Klasse 5b bei einer Tuttlinger Bäckerei –, Besuche von Lehrlingen und Meistern, verschiedene Praktika, Bewerbungstraining: All das ist fest in den Schulalltag integriert. „Die Außenkontakte sind sehr wichtig“, sagt Groß, „es geht darum, konkrete Berufswünsche zu entwickeln und auch selbstständig Kontakte zu knüpfen.“
Ähnlich aktiv ist die Wilhelmschule. „Der Schwerpunkt der Gemeinschaftsschule ist die Berufsorientierung“, sagt Rektor Hans-Peter Gökelmann, „wir wollen, dass der Übergang in die Berufswelt auch funktioniert. Wichtig ist es, dass man den jungen Menschen alle Perspektiven aufzeigt, die für sie in Frage kommen könnten.“
Und das ist nicht immer so einfach, weiß etwa Adem Tosun. Der Berufsberater mit deutschem Pass und türkischen Wurzeln wird von der Agentur für Arbeit bezahlt und betreut in der Schillerschule täglich Schüler der achten bis zehnten Klassen. „Die Kinder sind oft überfordert“, sagt er. Sich informieren, Lebenslauf und Anschreiben verfassen: „Für viele ist es gut, wenn sie jemanden haben, der ihnen hilft.“Häufig kommt auch das Desinteresse oder die sprachlichen Hürden der Eltern hinzu, dass manch ein Schüler bei der Planung seines Berufsweges alleine gelassen wird, meint Tosun.
Damit es in puncto Berufsbegleitung überall so rund läuft wie an der Schiller- und Wilhelmschule, plant die Agentur für Arbeit Rottweil derzeit den Ausbau eines Tandem-Kooperationsvertrags. Was in den Kreisen Rottweil und Schwarzwald-Baar bereits Fakt ist, soll nun auch im Landkreis Tuttlingen folgen.
Dabei geht es darum, dass die Zusammenarbeit zwischen Schulen und Berufsberatung vertraglich festgehalten wird, was bislang überwiegend mündlich geregelt war, erklärt Pressesprecher Klaus Helm. „Das macht die Arbeit ein bisschen verbindlicher.“Schulen bekommen so einen internen Fahrplan an die Hand, was im Bereich der Berufsbegleitung zu leisten ist. Ende April soll diese neue Rahmenvereinbarung unterzeichnet werden.