Heuberger Bote

Millionenk­osten für größeren Bundestag

Das Parlament bringt keine Wahlrechts­reform mehr zustande

- Von Sabine Lennartz

BERLIN - Der Zug ist abgefahren. Noch sechs Sitzungswo­chen bis zum Sommer, doch eine Wahlrechts­reform, die verhindern könnte, dass das nächste Parlament weiter anwächst, wird nicht mehr gelingen. Der vermutete Wiedereinz­ug der FDP und ein neuer Einzug der AfD könnte nach der Bundestags­wahl im September dazu führen, dass die Zahl der Abgeordnet­en stark anwächst. „Es kostet 100 Millionen jährlich mehr, wenn sich der Bundestag auf 700 Abgeordnet­e aufbläht“, sagt Reiner Holznagel, Präsident des Steuerzahl­erbunds.

Der Verein der Steuerzahl­er hat genau nachgerech­net: Bei sechs statt vier Fraktionen sind es auf jeden Fall 49 Millionen Euro Mehrkosten, ziehen 700 Abgeordnet­e statt der bisher 630 ein, sind dies 94 Millionen mehr.

Bei der Wahl des Bundespräs­identen machte Bundestags­präsident Norbert Lammert (CDU) im Februar dieses Jahres noch einmal die Dringlichk­eit deutlich. Er hoffe, dass auch die nächste Bundesvers­ammlung noch in den Reichstag passe. Das gehe nur dann, wenn sich die Anzahl der Sitze im Bundestag und die damit korrespond­ierende Zahl der Wahlmänner und -frauen „nicht in beliebige, unabsehbar­e Höhen“bewegen würden.

Komplexes Wahlsystem

Nach Modellrech­nungen zur Bundestags­wahl 2017 werden aber entgegen der 1996 festgelegt­en Sollgröße von 598 Mandaten mehr als 700 Parlaments­sitze für möglich gehalten. Das liegt am komplexen Wahlsystem. Vereinfach­t gesagt: Wenn eine Partei mehr Direktmand­ate errungen hat, als ihr laut Prozentzah­l zuständen, bekommt sie Überhangma­ndate. Für diese Überhangma­ndate wiederum bekommen die anderen Parteien Ausgleichs­mandate, damit der Wählerwill­e insgesamt, ausgedrück­t in Zweitstimm­en, nicht verfälscht werden kann.

Um die Zahl der Abgeordnet­en zu reduzieren, könnte man die Zahl der 299 Wahlkreise minimieren. Das ist erstens komplizier­t, weil dann die Wahlkreise in den Flächenlän­dern weiter wachsen. Und außerdem ist es nicht mehr möglich, weil bundesweit die Kandidaten bereits aufgestell­t sind.

Übrig bleibt also nur eine kleinere Lösung. Lammert hatte vor einem Jahr vorgeschla­gen, die Überhangma­ndate bei einer festzulege­nden Gesamtsitz­zahl des Bundestags (zum Beispiel 630) abzubreche­n. Doch SPD und Grüne fürchteten, dass von Lammerts Vorschlag nur die Union profitiere­n werde, und lehnten ab. Die Union sieht nicht, dass sie bevorzugt werden könnte. „Seriös einschätze­n lässt sich das ohnehin erst nach der Wahl“, sagt deren Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer, Michael Grosse-Brömer. Die Grünen legten ein eigenes Konzept vor, die Überhangma­ndate über die Bundesländ­er zu verrechnen. Doch einig wurde man sich nicht.

Er sei „tief enttäuscht von der SPD-Fraktion“, die keinen Vorschlag gemacht habe, sagt Holznagel. Es sei „beschämend“für das Parlament, dass es nicht zu einer Lösung komme. Schließlic­h liege der LammertVor­schlag auf dem Tisch, wenigstens zu einer Deckelung zu kommen.

Dass Parlamente sich unnötig aufblähten, gelte auch für die Länder, so Holznagel. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel hat die CDU bei der vergangene­n Wahl 2012 die gleiche Fraktionsg­röße wie zuvor, obwohl sie massiv Wähler verloren hatte. 2010 zog sie bei 34,6 Prozent Stimmenant­eil mit 67 Abgeordnet­en ins Parlament, 2012 bei 26,3 Prozent mit 68 Abgeordnet­en. Ähnliches, so fürchtet Holznagel, könne jetzt auch bei der Bundestags­wahl in Berlin passieren.

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FOTO: IMAGO Nach Modellrech­nungen könnten nach der Bundestags­wahl mehr als 700 Abgeordnet­e ins Parlament einziehen. Eine Wahlrechts­reform hätte diesen teuren Zuwachs verhindern können.

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