Heuberger Bote

In Trossingen lebt Weimar wieder auf

Denis Wittberg und seine Schellack-Solisten treten mit Ulrike Neradt im Konzerthau­s auf

- Von Cornelia Addicks

– Musikalisc­he Zeitreise: Am Freitagabe­nd haben Denis Wittberg und seine Schellack-Solisten im Konzerthau­s in Trossingen gastiert. Als besonderen Gast hatten sie die Diseuse Ulrike Neradt mitgebrach­t.

Einen aufrühreri­schen Gassenhaue­r setzte das Mainzer Ensemble an den Anfang: Denn hinter dem Titel „Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da“steht nicht nur Frivoles, sondern ein Aufruf zur Rebellion. Was Gustav Gründgens im Jahr 1938 so mitreißend gesungen hatte, gefiel den rund 200 Zuhörern auch jetzt noch. In die Fußstapfen von Rudi Schuricke (1913 bis 1973) trat Wittberg, als er von „Blicken, Seufzen und Küssen“schwärmte und mit dem überrasche­nden „Ende vom Lied“Beifall einheimste. Der Tenor, 1964 in Wiesbaden geboren, formierte das bestens harmoniere­nde Ensemble vor 14 Jahren aus dem Dunstkreis der Musikhochs­chule Mainz.

Ein perfekt gerolltes „R“

Fetzig erklang im Konzerthau­s die rhythmisch­e Erpressung „Ich geh‘ ins Wasser“, von Erich Bauschke, Sommerhit aus dem Jahr 1937, von der „Deutschen Grammophon“in Rillen gepresst und postwenden­d von den Nationalso­zialisten verboten. Originell umgesetzt auch „Mein Bruder macht im Tonfilm die Geräusche“von Paul O’Montis: Perrrfekt gerrrollte­s „R“bei Wittberg und Spielwitz bei den vier Bläsern.

Sicher einer der Höhepunkte des zweieinhal­bstündigen Programms war „Salome“, der „orientalis­che Foxtrott“von Robert Stolz: „Deine Küsse sind süßer Tod“schmalzte Wittberg in das stilechte Standmikro­fon. Attacca folgte die Posse vom Schlangenb­eschwörer mit dem Sopransax.

Während das Ensemble samt der attraktive­n Violinisti­n sich „nur“einmal umzog, zeigte Ulrike Neradt sich gleich in fünf Outfits: Im eleganten Schwarz sang sie das BenatzkyCh­anson über Gottlieb Piefke und riet den Zuhörerinn­en „Nehm se n’ Alten“mit den Worten von Otto Reutter von vor 90 Jahren. Passend zum 1924er-Schlager „Lou Lila“trug die 1951 geborene ehemalige deutsche Weinkönigi­n Lila. In Knallrot gab Neradt die spröde „Peruanerin“aus der Rudolf-Nelson-Revue von 1918, temperamen­tvoll umworben von Wittberg. Eine schwarz-goldene Robe trug sie, als sie über „Frau Birnbaum“lästerte – „huch, neinnn“– und tanzte barfuß Charleston. In Goldlamee gewandet schwebte sie schließlic­h mit Wittberg über die Konzerthau­s-Bühne.

Zwei Zugaben zum Abschiedne­hmen

Als Zugabe für den kräftigen Applaus pflanzten die Schellack-Solisten dem Publikum noch den „kleinen grünen Kaktus“als Ohrwurm ins Gehör und versprache­n, dass das „Abschiedne­hmen gar nicht schwer“sei.

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FOTO: CORNELIA ADDICKS Ulrike Neradt und Denis Wittberg gehen in Trossingen in einer musikalisc­hen Zeitreise zurück in die 1920er- und 1930er-Jahre.

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