„Wie im Wilden Westen“
Anwohner des Tuttlinger Marktplatzes fühlen sich von Jugendlichen schikaniert
- Die Symbolik ist eindeutig: Zum Verweilen sollen die außenliegenden Fensterbänke der Sparkassen-Geschäftsstelle am Tuttlinger Marktplatz nicht mehr einladen. Das Finanzhaus hat die waagerechten Platten bereits abbauen lassen und wird die vorher als Sitzgelegenheit genutzte Fläche durch eine 45 Grad abschüssige Schräge ersetzen. Damit dort kein Sitzen mehr möglich ist, meint Christian Mayer, Pressesprecher der Kreissparkasse.
Es habe Beschwerden von Anliegern, Kunden, Mitarbeitern und vom Gewerbe- und Handelsverein Pro Tut gegeben, erklärt Mayer die bauliche Veränderung. Die Möglichkeit, sich auf die Fensterbänke zu sitzen, habe zur Verschmutzung der Fassade und der Fenster sowie zu einer Vermüllung des Vorplatzes geführt. „Darüber hinaus kam es zu Störungen und Beeinträchtigungen der Diskretion in den Beratungszimmern. Ein Kippen der Fenster – vor allem im Sommer – war nicht möglich“, sagt Mayer. Die Ursache liege bei den Jugendlichen, die sich am späten Nachmittag und Abends rund um den Marktplatz in großen Gruppen zusammenfinden (wir berichteten).
Von Anwohnern der Bahnhofstraße wird die Veränderung begrüßt. Die Sparkasse habe auch mit dem „Lärm und Müll zu kämpfen“, sagt eine Anwohnerin. Wenn die Geschäftsstelle schließt, hört das rege Treiben aber noch lange nicht auf. „Das geht bis in die Nacht“, sagt die Tuttlingerin, die zudem über Beleidigungen, Pöbeleien und Sachbeschädigungen berichtet.
„Jugendliche haben keinen Respekt und keine Angst“
Ein anderer Bewohner meint, dass die Maßnahme der Sparkasse die Schwierigkeiten mit den Heranwachsenden nur verlagern würde. „Das ist wie Wilder Westen“, sieht er ein generelles Problem in der Innenstadt. „Das hat wahnsinnig zugenommen. Die Jugendlichen haben keinen Respekt und keine Angst vor nichts.“Selbst die Polizei, die schon mehrfach gerufen wurde, habe daran nichts ändern können. „Die wissen doch, dass die Polizei nichts machen kann, und deshalb meinen sie, dass sie machen können, was sie wollen“, sagt der Tuttlinger. Und die Anwohnerin ergänzt: „Die denken, dass es ihr Revier ist.“
Die Anwohner fühlen sich im Stich gelassen. „Ich bin verzweifelt und weiß nicht mehr weiter. Die vielen Gespräche mit der Stadt und der Polizei führen zu nichts. Ich habe das Gefühl, das weggesehen wird. Dabei ist die Situation ein Nachteil für uns und die Innenstadt“, sagt der Tuttlinger Bewohner.
Baubürgermeister Willi Kamm ist sich der Situation durchaus bewusst. Er hat in der vergangenen Woche das Gespräch mit den Jugendlichen und den Anwohnern gesucht. Für ihn ist es ein strukturelles Problem. Es fehle ein attraktives Angebot für die Jugendlichen, damit nicht der Marktplatz zum Anziehungspunkt werden muss. Derzeit sei es so, dass die Heranwachsenden den Raum „okkupiert“hätten. „Sie sind lautstark und rüde unterwegs. Die Jugendlichen probieren aus, wie weit sie gehen können. Das ist klar, dass das die Menschen irritiert“, meint Kamm. Das aktuelle Geschehen würde auch nicht dazu beitragen, dass die Innenstadt attraktiv bleibt.
Stadt will sich schrittweise dem Problem nähern
Eine schnelle Lösung hat er nicht parat. „Wir müssen Räume definieren und Spielregeln vereinbaren“, meint Kamm. Allerdings könne man den Marktplatz auch nicht zusperren wie ein Kaufhaus. „Wir müssen uns mit dem Problem auseinander setzen.“Die Strategie, andere Angebote zu schaffen, wirke allerdings nicht kurzfristig. „Wir werden schrittweise vorgehen müssen.“
Die Polizei rät allen Bürgern, die sich belästigt fühlen, mit Fotos oder Videos für Beweismittel zu sorgen. „Es handelt sich bei den Vorkommnissen in Tuttlingen um Momentaufnahmen. Wenn die Polizei eintrifft, ist die Situation beendet“, erklärt Thomas Kalmbach aus der Pressestelle des Tuttlinger Polizeipräsidiums. Eine Sachbeschädigung, Verschmutzung, Beleidigung oder Pöbelei dann noch zu ahnden, sei schwierig. „Dann steht Aussage gegen Aussage. Und der Betroffene beziehungsweise der Beobachter steht allein gegen 20 Jugendliche.“Mit einem Foto oder Video könne der Täter identifiziert werden und das Vergehen geahndet werden.
Als Mittel bleibt der Polizei das Aussprechen eines Platzverweises. Allerdings dürften sich, wenn die Polizei wieder gefahren ist, nicht viele Jugendliche daran halten. Eine Ausweitung, so Kalmbach, sei aber möglich. „Wenn die Ordnungsstörung bleibt, müssen wir die Person notfalls in Gewahrsam nehmen.“ Aber auch in der Verwaltung mussten höhere Ausgaben geschultert werden. Allein der Gemeinderat verschlang fast 120 000 Euro mehr als ursprünglich eingeplant. Diese waren zu einem Großteil auf höhere Personalausgaben zurückzuführen. Das Einwohnerwesen gab 30 000 Euro mehr aus, die Karlschule (33 00 Euro), Schildrainschule (31 000 Euro) und die Wilhelmschule (51 000 Euro) lagen ebenfalls über dem Jahresetat.
Für die Ferienbetreuung im Jahr 2015 müssen noch 31 000 Euro nachfinanziert werden, für die städtischen Sporthallen und -plätze 36 000 Euro und für die öffentlichen Grünflächen 46 000 Euro.