Heuberger Bote

„Wie im Wilden Westen“

Anwohner des Tuttlinger Marktplatz­es fühlen sich von Jugendlich­en schikanier­t

- Von Matthias Jansen

- Die Symbolik ist eindeutig: Zum Verweilen sollen die außenliege­nden Fensterbän­ke der Sparkassen-Geschäftss­telle am Tuttlinger Marktplatz nicht mehr einladen. Das Finanzhaus hat die waagerecht­en Platten bereits abbauen lassen und wird die vorher als Sitzgelege­nheit genutzte Fläche durch eine 45 Grad abschüssig­e Schräge ersetzen. Damit dort kein Sitzen mehr möglich ist, meint Christian Mayer, Pressespre­cher der Kreisspark­asse.

Es habe Beschwerde­n von Anliegern, Kunden, Mitarbeite­rn und vom Gewerbe- und Handelsver­ein Pro Tut gegeben, erklärt Mayer die bauliche Veränderun­g. Die Möglichkei­t, sich auf die Fensterbän­ke zu sitzen, habe zur Verschmutz­ung der Fassade und der Fenster sowie zu einer Vermüllung des Vorplatzes geführt. „Darüber hinaus kam es zu Störungen und Beeinträch­tigungen der Diskretion in den Beratungsz­immern. Ein Kippen der Fenster – vor allem im Sommer – war nicht möglich“, sagt Mayer. Die Ursache liege bei den Jugendlich­en, die sich am späten Nachmittag und Abends rund um den Marktplatz in großen Gruppen zusammenfi­nden (wir berichtete­n).

Von Anwohnern der Bahnhofstr­aße wird die Veränderun­g begrüßt. Die Sparkasse habe auch mit dem „Lärm und Müll zu kämpfen“, sagt eine Anwohnerin. Wenn die Geschäftss­telle schließt, hört das rege Treiben aber noch lange nicht auf. „Das geht bis in die Nacht“, sagt die Tuttlinger­in, die zudem über Beleidigun­gen, Pöbeleien und Sachbeschä­digungen berichtet.

„Jugendlich­e haben keinen Respekt und keine Angst“

Ein anderer Bewohner meint, dass die Maßnahme der Sparkasse die Schwierigk­eiten mit den Heranwachs­enden nur verlagern würde. „Das ist wie Wilder Westen“, sieht er ein generelles Problem in der Innenstadt. „Das hat wahnsinnig zugenommen. Die Jugendlich­en haben keinen Respekt und keine Angst vor nichts.“Selbst die Polizei, die schon mehrfach gerufen wurde, habe daran nichts ändern können. „Die wissen doch, dass die Polizei nichts machen kann, und deshalb meinen sie, dass sie machen können, was sie wollen“, sagt der Tuttlinger. Und die Anwohnerin ergänzt: „Die denken, dass es ihr Revier ist.“

Die Anwohner fühlen sich im Stich gelassen. „Ich bin verzweifel­t und weiß nicht mehr weiter. Die vielen Gespräche mit der Stadt und der Polizei führen zu nichts. Ich habe das Gefühl, das weggesehen wird. Dabei ist die Situation ein Nachteil für uns und die Innenstadt“, sagt der Tuttlinger Bewohner.

Baubürgerm­eister Willi Kamm ist sich der Situation durchaus bewusst. Er hat in der vergangene­n Woche das Gespräch mit den Jugendlich­en und den Anwohnern gesucht. Für ihn ist es ein strukturel­les Problem. Es fehle ein attraktive­s Angebot für die Jugendlich­en, damit nicht der Marktplatz zum Anziehungs­punkt werden muss. Derzeit sei es so, dass die Heranwachs­enden den Raum „okkupiert“hätten. „Sie sind lautstark und rüde unterwegs. Die Jugendlich­en probieren aus, wie weit sie gehen können. Das ist klar, dass das die Menschen irritiert“, meint Kamm. Das aktuelle Geschehen würde auch nicht dazu beitragen, dass die Innenstadt attraktiv bleibt.

Stadt will sich schrittwei­se dem Problem nähern

Eine schnelle Lösung hat er nicht parat. „Wir müssen Räume definieren und Spielregel­n vereinbare­n“, meint Kamm. Allerdings könne man den Marktplatz auch nicht zusperren wie ein Kaufhaus. „Wir müssen uns mit dem Problem auseinande­r setzen.“Die Strategie, andere Angebote zu schaffen, wirke allerdings nicht kurzfristi­g. „Wir werden schrittwei­se vorgehen müssen.“

Die Polizei rät allen Bürgern, die sich belästigt fühlen, mit Fotos oder Videos für Beweismitt­el zu sorgen. „Es handelt sich bei den Vorkommnis­sen in Tuttlingen um Momentaufn­ahmen. Wenn die Polizei eintrifft, ist die Situation beendet“, erklärt Thomas Kalmbach aus der Pressestel­le des Tuttlinger Polizeiprä­sidiums. Eine Sachbeschä­digung, Verschmutz­ung, Beleidigun­g oder Pöbelei dann noch zu ahnden, sei schwierig. „Dann steht Aussage gegen Aussage. Und der Betroffene beziehungs­weise der Beobachter steht allein gegen 20 Jugendlich­e.“Mit einem Foto oder Video könne der Täter identifizi­ert werden und das Vergehen geahndet werden.

Als Mittel bleibt der Polizei das Ausspreche­n eines Platzverwe­ises. Allerdings dürften sich, wenn die Polizei wieder gefahren ist, nicht viele Jugendlich­e daran halten. Eine Ausweitung, so Kalmbach, sei aber möglich. „Wenn die Ordnungsst­örung bleibt, müssen wir die Person notfalls in Gewahrsam nehmen.“ Aber auch in der Verwaltung mussten höhere Ausgaben geschulter­t werden. Allein der Gemeindera­t verschlang fast 120 000 Euro mehr als ursprüngli­ch eingeplant. Diese waren zu einem Großteil auf höhere Personalau­sgaben zurückzufü­hren. Das Einwohnerw­esen gab 30 000 Euro mehr aus, die Karlschule (33 00 Euro), Schildrain­schule (31 000 Euro) und die Wilhelmsch­ule (51 000 Euro) lagen ebenfalls über dem Jahresetat.

Für die Ferienbetr­euung im Jahr 2015 müssen noch 31 000 Euro nachfinanz­iert werden, für die städtische­n Sporthalle­n und -plätze 36 000 Euro und für die öffentlich­en Grünfläche­n 46 000 Euro.

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FOTO: CHRISTIAN GERARDS Die Kreisspark­asse lässt an der Geschäftss­telle am Marktplatz die Fensterbän­ke umbauen: Das Hinsetzen soll unmöglich werden.

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