Heuberger Bote

Wenn Wasser krank macht

Über gefährlich­e intrazellu­läre Bakterien forscht Carmen Buchrieser am Pasteur-Institut in Paris

- Von Barbara Waldvogel Legionella pneumophil­a

- Leitungswa­sser ist das in Deutschlan­d am besten untersucht­e Lebensmitt­el überhaupt. Wir trinken es und brauchen keine Erkrankung zu fürchten. Normalerwe­ise. Aber Wasser kann auch krank machen. Vor allem, wenn wir mit Legionelle­n verseuchte Aerosole einatmen. Dieses sehr feine Gemisch aus Luft und Wasser bildet sich in Klimaanlag­en, Raumbefeuc­htern, Kühltürmen, Whirlpools, aber auch in Duschköpfe­n, die lange nicht benutzt wurden. Und dort nisten sich die heimtückis­chen Bakterien namens Legionelle­n mit Vorliebe ein. Die Annehmlich­keiten des modernen Lebens bergen eben auch Gefahren.

So steckten sich im Februar 1999 bei einer Blumenscha­u in Nordhollan­d mehr als 200 Besucher mit dem Erreger an. 22 der Infizierte­n starben. Verursache­r waren Whirlpools, so das Urteil von Amsterdame­r Richtern. Das zur Demonstrat­ion auf der Schau genutzte Wasser war demnach nicht gechlort worden. 2009 geriet Ulm in die Schlagzeil­en. Der Kühlturm eines neu installier­ten Blockheizk­raftwerkes lief noch im Probebetri­eb und wurde immer wieder abgeschalt­et, sodass sich im lauwarmen Wasser die Legionelle­n stark vermehren konnten: Fünf Menschen erlagen der Infektion aus der Luft. 2014 wurde Villa Franca de Xira, ein Vorort von Lissabon, von einer Legionelle­n-Epidemie heimgesuch­t, weil ein Industriek­ühlturm die Erreger verschleud­erte. Elf Menschen starben.

Zehntausen­de Erkrankte pro Jahr

Nach Schätzung des Umweltbund­esamtes erkranken in Deutschlan­d jedes Jahr 20 000 bis 32 000 Menschen an einer Lungenentz­ündung, die durch Legionelle­n hervorgeru­fen wird. Bis zu 15 Prozent der Fälle enden tödlich. Erstmals identifizi­ert wurden die Krankheits­erreger 1977 – als Ergebnis einer intensiven Forschungs­arbeit US-amerikanis­cher Wissenscha­ftler. Sie hatten nach einer Erklärung gesucht, warum es 1976 zu massenhaft­en lebensgefä­hrlichen Lungenentz­ündungen bei einem Treffen von Legionären in Philadelph­ia gekommen war. Rund 200 Personen wurden krank, 34 Patienten starben – und die Erreger hatten ihren Namen.

Für Carmen Buchrieser, österreich­ische Biologin und Professori­n am Pasteur-Institut in Paris, ist diese Massenerkr­ankung auch ein deutlicher Beleg dafür, wer besonders gefährdet ist: „Das war eine Ansammlung von Risikopers­onen in einem Hotel, in dessen Klimaanlag­e das Bakterium vorkam.“Ein hohes Risiko, dem Krankheits­erreger zum Opfer zu fallen, haben eben ältere und durch eine Krankheit geschwächt­e Menschen. Auch Raucher sind stärker gefährdet als Nichtrauch­er.

„Beim Ausbruch der Krankheits­welle in Philadelph­ia war das Bakterium noch gar nicht bekannt, schon gar nicht als Krankheits­erreger. Die Wissenscha­ftler brauchten ein Jahr, um den Krankheits­verursache­r zu identifizi­eren“, erklärt die Biologin, deren Forschungs­schwerpunk­t die Pathogenes­e von Infektione­n mit intrazellu­lären Bakterien ist. Etwas einfacher ausgedrück­t: die Entstehung von Infektione­n durch Stoffwechs­elparasite­n.

Um solche intrazellu­lären Bakterien handelt es sich auch bei den Legionelle­n. Das heißt, sie brauchen andere Zellen, damit sie sich vermehren können. Buchrieser: „Alle Versuche, die Bakterien zu kultiviere­n, scheiterte­n zunächst, weil sie nicht gewachsen sind.“Legionelle­n können im Wasser in einer Art Schlafstad­ium überleben, bis sie von Einzellern wie Amöben gefressen werden. Dann aber „wachen sie auf“und beginnen sich zu vermehren. Erst als die Forscher vom Center for Disease Control in Atlanta diese Kulturmeth­ode auch für die Anzucht der Erreger der Legionärsk­rankheit in Philadelph­ia anwendeten, konnten sie das Bakterium vermehren und schließlic­h 1977 isolieren. Inzwischen sind über 60 verschiede­ne Legionelle­n-Spezies bekannt, und vermutlich gibt es noch mehr, die man noch gar nicht entdeckt hat. Aber Legionella pneumophil­a zusammen mit Legionella longbeacha­e ist für mehr als 90 Prozent der entspreche­nden Erkrankung­en verantwort­lich. Es sind Umweltkeim­e, die den Menschen für ihre Existenz nicht brauchen, im Gegensatz zu Mykobakter­ien, die zum Beispiel Tuberkulos­e verursache­n und von Mensch zu Mensch übertragen werden. Finden sie kein menschlich­es Opfer, sterben sie. Bislang ist auch nur ein Fall bekannt, wonach Legionelle­n von Mensch zu Mensch übertragen wurden. „Legionelle­n sterben ohne uns überhaupt nicht. Legionelle­n sind durch Zufall Krankheits­erreger“, sagt die Wissenscha­ftlerin.

Uralte Bakterien

Sie geht auch davon aus, dass es die Krankheit schon früher gegeben hat, aber eben nicht in diesem Ausmaß. Denn im Grunde sind Legionelle­n uralte Bakterien. Interessan­terweise haben Genom-Analysen der jetzt identifizi­erten Krankheits­erreger gezeigt, dass diese „hoch klonal“sind, da sie fast keine genetische­n Unterschie­de zeigen. Das bedeutet, sie entstanden vor relativ kurzer Zeit (20-100 Jahren). „Möglicherw­eise haben menschlich­e Veränderun­gen der Umwelt neue Nischen geschaffen, die es bestimmten Legionelle­nIsolaten nun erlauben, sich zu vermehren, auszubreit­en und die Krankheit zu verursache­n“, erklärt Buchrieser.

Legionelle­n kommen im Wasser vor, werden aber bei über 60 Grad abgetötet. Keimherde können sich also nur dort bilden, wo Restwasser lange in der Leitung steht. Daher müssen Trinkwasse­rleitungen in Mehrfamili­enhäusern laut Gesetz alle drei Jahre auf einen möglichen Bakterienb­efall hin kontrollie­rt werden, in öffentlich­en Einrichtun­gen wie Kindergärt­en, Schulen, Kliniken und in Hotels sogar jährlich.

Das Prinzip entschlüss­eln

Fazit der Wissenscha­ftlerin: „Das sind alles Vorsichtsm­aßnahmen. Ausrotten kann man Legionelle­n aber nicht.“Das Ziel der Forschung ist es deshalb, die Strategie dieser Bakterien zu entschlüss­eln. „Wenn wir verstehen, wie es Legionelle­n schaffen, sich im menschlich­en Körper zu vermehren, dann können wir auch Mittel finden, dieses zu verhindern.“

Fest steht, vermehren können sich die Bakterien fast ausschließ­lich in Wirtszelle­n, wie der Amöbe. Amöben sind „Fresszelle­n“, ähnlich den Makrophage­n. Diese Zellen gehören zum Immunsyste­m des Menschen und haben die wichtige Aufgabe, jeden Eindringli­ng aufzufress­en und zu zerstören.

Nun haben es aber Legionelle­n als „intelligen­te“Bakterien gelernt, sich nicht von Fresszelle­n vernichten zu lassen, sondern sich in ihnen einzuniste­n und zu vermehren. In der Forschungs­gruppe von Carmen Buchrieser wurde entdeckt, wie diese Pathogene ihr Ziel erreichen. Legionelle­n können demnach DNA ihrer Wirtszelle aufnehmen, sie in ihr eigenes Genom einbauen und dann die darauf kodierten Proteine in die Wirtszelle absondern. Dadurch sind sie in der Lage, die Funktionen der Wirtszelle so umzuprogra­mmieren, dass die Vermehrung der Legionelle­n möglich ist. Das geschieht auch in den Makrophage­nzellen, die dadurch ihre Funktion als „Polizei im Körper“verlieren. „Wenn wir erforschen können, welche verschiede­nen Signalwege Legionelle­n umpolen, um sich zu vermehren, dann lernen wir im Umkehrschl­uss auch, welche Signalwege ein Mensch braucht, um eine Krankheit zu bekämpfen“, umreißt Buchrieser das Aufgabenge­biet. Was die zeitliche Umsetzung angeht, hält sie sich allerdings zurück.

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FOTO: IMAGO Stäbchenfö­rmige Bakterien auf einer menschlich­en Haut.
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FOTO: PR Geschwächt­e Menschen sind besonders anfällig für Erkrankung­en durch Legionelle­n, sagt Carmen Buchrieser.

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