Heuberger Bote

Kritik am Aufklärung­seinsatz der Bundeswehr in Syrien

Tornado-Piloten sollen der Anti-IS-Koalition Bilder geliefert haben, die für Bombenangr­iffe genutzt wurden – Dabei wurden Zivilisten getötet

- Von Nico Pointner und Jan Kuhlmann

(dpa) - Die Bundeswehr war offenbar in einen verheerend­en Luftangrif­f der Anti-IS-Koalition auf ein Schulgebäu­de im Norden Syriens verwickelt. Mindestens 33 Zivilisten seien dabei ums Leben gekommen, meldete die Syrische Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte. Die Umstände des Angriffs sind unklar. Sicher ist aber: Deutsche Tornado-Jets hatten das Ziel ausgespäht.

In dem Gebäude waren 40 Familien untergebra­cht, unter den Opfern sollen auch Frauen und Kinder gewesen sein. Wahrschein­lich seien Jets der US-geführten Koalition für die Bombardier­ung des von der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) kontrollie­rten Ortes al-Mansura verantwort­lich, teilten die Aktivisten mit. Laut US-Militär gibt es keine Hinweise auf zivile Opfer in der Region.

Der Leiter der Menschenre­chtler, Rami Abdel Rahman, sitzt in England und damit weit weg vom Bürgerkrie­gsgeschehe­n in Syrien. Er stützt sich auf ein Netzwerk von Informante­n vor Ort. Seine Angaben haben sich bislang als zuverlässi­g erwiesen und werden deswegen von Journalist­en oft verwendet. Zudem berichtet Rahman über Tote auf allen Seiten.

Die Bundeswehr fliegt selbst keine Angriffe gegen den IS und al-Kaida-nahe Extremiste­n, liefert aber Bilder dafür. Deutsche Tornados machen im Irak und in Syrien Fotos von mutmaßlich­en Stellungen der Terrormili­z. Damit sollen Angriffszi­ele identifizi­ert werden. Die Bilder des Schulgebäu­des wurden nach dpa-Informatio­nen am 19. März aufgenomme­n. Einen Tag später folgte dann der tödliche Angriff.

So läuft generell die Aufklärung der Bundeswehr in Syrien ab: Die Luftwaffe erhält von den Partnern der Anti-IS-Koalition Listen mit potenziell­en Zielen zur Aufklärung. Ein Offizier prüft, ob diese Orte vom Mandat gedeckt sind, der Einsatz also tatsächlic­h dem Kampf gegen den „Islamische­n Staat“dient. Dann steigen die Tornados in den Himmel. In einem Behälter unter dem Rumpf tragen sie Kameras, die hochauflös­ende, digitale Bilder schießen.

Aufnahmen werden ausgewerte­t

Im Anschluss betrachten Luftbildau­swerter die Aufnahmen. Ist darauf ein Panzer zu sehen oder ein Pkw? Ist ein Flughafen stillgeleg­t? Ein Offizier prüft erneut, ob die Bilder mandatskon­form sind. Nur dann dürfen sie an die Koalitions­partner weitergege­ben werden. Sind etwa kurdische Stellungen darauf zu sehen, werden die Bilder nicht weitergele­itet, da die Türkei – ebenfalls Teil der Anti-IS-Koalition – sie im Kampf gegen Kurden-Milizen einsetzen könnten. Die Koalitions­partner nutzen die Fotos für die Angriffspl­anung – neben Quellen wie Satelliten­bildern und Drohnen.

Der Verteidigu­ngsausschu­ss des Bundestags wurde am Mittwoch in geheimer Sitzung über den Vorfall informiert. Die Parlamenta­rier mussten vor der Unterricht­ung nach Angaben von Teilnehmer­n sogar ihre Handys abgeben. Dennoch drangen die Informatio­nen schnell an die Öffentlich­keit. Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) sieht keine Mitverantw­ortung der Bundeswehr für den Tod von Zivilisten.

Das Verteidigu­ngsministe­rium will sich nicht zu konkreten Angriffen und Zielen äußern. Es verweist auf oftmals längere Zeitspanne­n zwischen Aufnahmen und Angriffen: Es sei auf den Bildern nicht zu erkennen, wer sich zur Zeit der Bombardier­ung in den Gebäuden aufhalte.

Die Bundeswehr hat seit Beginn des Einsatzes Tausende Aufklärung­sfotos für den Kampf gegen den IS zur Verfügung gestellt. Ähnliche Vorfälle wurden bislang nicht bekannt.

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FOTO: DPA Die Bundeswehr-Tornados starten vom türkischen Luftwaffen­stützpunkt Incirlik zu Aufklärung­sflügen nach Syrien.

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