Kritik am Aufklärungseinsatz der Bundeswehr in Syrien
Tornado-Piloten sollen der Anti-IS-Koalition Bilder geliefert haben, die für Bombenangriffe genutzt wurden – Dabei wurden Zivilisten getötet
(dpa) - Die Bundeswehr war offenbar in einen verheerenden Luftangriff der Anti-IS-Koalition auf ein Schulgebäude im Norden Syriens verwickelt. Mindestens 33 Zivilisten seien dabei ums Leben gekommen, meldete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Die Umstände des Angriffs sind unklar. Sicher ist aber: Deutsche Tornado-Jets hatten das Ziel ausgespäht.
In dem Gebäude waren 40 Familien untergebracht, unter den Opfern sollen auch Frauen und Kinder gewesen sein. Wahrscheinlich seien Jets der US-geführten Koalition für die Bombardierung des von der Terrormiliz „Islamischer Staat“(IS) kontrollierten Ortes al-Mansura verantwortlich, teilten die Aktivisten mit. Laut US-Militär gibt es keine Hinweise auf zivile Opfer in der Region.
Der Leiter der Menschenrechtler, Rami Abdel Rahman, sitzt in England und damit weit weg vom Bürgerkriegsgeschehen in Syrien. Er stützt sich auf ein Netzwerk von Informanten vor Ort. Seine Angaben haben sich bislang als zuverlässig erwiesen und werden deswegen von Journalisten oft verwendet. Zudem berichtet Rahman über Tote auf allen Seiten.
Die Bundeswehr fliegt selbst keine Angriffe gegen den IS und al-Kaida-nahe Extremisten, liefert aber Bilder dafür. Deutsche Tornados machen im Irak und in Syrien Fotos von mutmaßlichen Stellungen der Terrormiliz. Damit sollen Angriffsziele identifiziert werden. Die Bilder des Schulgebäudes wurden nach dpa-Informationen am 19. März aufgenommen. Einen Tag später folgte dann der tödliche Angriff.
So läuft generell die Aufklärung der Bundeswehr in Syrien ab: Die Luftwaffe erhält von den Partnern der Anti-IS-Koalition Listen mit potenziellen Zielen zur Aufklärung. Ein Offizier prüft, ob diese Orte vom Mandat gedeckt sind, der Einsatz also tatsächlich dem Kampf gegen den „Islamischen Staat“dient. Dann steigen die Tornados in den Himmel. In einem Behälter unter dem Rumpf tragen sie Kameras, die hochauflösende, digitale Bilder schießen.
Aufnahmen werden ausgewertet
Im Anschluss betrachten Luftbildauswerter die Aufnahmen. Ist darauf ein Panzer zu sehen oder ein Pkw? Ist ein Flughafen stillgelegt? Ein Offizier prüft erneut, ob die Bilder mandatskonform sind. Nur dann dürfen sie an die Koalitionspartner weitergegeben werden. Sind etwa kurdische Stellungen darauf zu sehen, werden die Bilder nicht weitergeleitet, da die Türkei – ebenfalls Teil der Anti-IS-Koalition – sie im Kampf gegen Kurden-Milizen einsetzen könnten. Die Koalitionspartner nutzen die Fotos für die Angriffsplanung – neben Quellen wie Satellitenbildern und Drohnen.
Der Verteidigungsausschuss des Bundestags wurde am Mittwoch in geheimer Sitzung über den Vorfall informiert. Die Parlamentarier mussten vor der Unterrichtung nach Angaben von Teilnehmern sogar ihre Handys abgeben. Dennoch drangen die Informationen schnell an die Öffentlichkeit. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) sieht keine Mitverantwortung der Bundeswehr für den Tod von Zivilisten.
Das Verteidigungsministerium will sich nicht zu konkreten Angriffen und Zielen äußern. Es verweist auf oftmals längere Zeitspannen zwischen Aufnahmen und Angriffen: Es sei auf den Bildern nicht zu erkennen, wer sich zur Zeit der Bombardierung in den Gebäuden aufhalte.
Die Bundeswehr hat seit Beginn des Einsatzes Tausende Aufklärungsfotos für den Kampf gegen den IS zur Verfügung gestellt. Ähnliche Vorfälle wurden bislang nicht bekannt.