Heuberger Bote

Heute Mechanik, morgen Sensorik

Autozulief­erer ZF steigert Umsatz und Gewinn – und beteiligt sich an Radarspezi­alisten

- Von Benjamin Wagener

- Es ist ein ehrgeizige­s Ziel: ZF will das Auto der Zukunft mit neuen Sinnen und mehr Intelligen­z ausstatten und ist auf diesem Weg nun einen entscheide­nden Schritt weitergeko­mmen. Das Unternehme­n aus Friedrichs­hafen am Bodensee beteiligt sich mit rund 45 Prozent an dem Radarspezi­alisten Astyx aus Ottobrunn bei München – und „stärkt sozusagen die Augen künftiger Autogenera­tionen“, wie ZF-Vorstandsc­hef Stefan Sommer am Donnerstag in Friedrichs­hafen erklärte. Damit verfügt der nach Bosch und Continenta­l drittgrößt­e Automobilz­ulieferer der Welt über die wichtigste­n Technologi­en, um Autos für das autonome Fahren der Zukunft mit den Sensoren auszustatt­en, die sie alle Hinderniss­e erkennen lassen.

In der Gegenwart verdient ZF sein Geld allerdings in der Hauptsache noch mit Mechanik – mit Getrieben, Achsen, Lenkungen und Fahrwerken für Autos, Lastwagen und Industrief­ahrzeuge. Und das Geschäft lief gut: Das Traditions­unternehme­n hat seinen Umsatz 2016 um 20,6 Prozent auf 35,2 Milliarden Euro gesteigert, der operative Gewinn (Ebit) wuchs um rund 42 Prozent auf 2,2 Milliarden Euro. Die Marge liegt damit bei 6,4 Prozent – einen Prozentpun­kt höher als 2015. „Das ist eine sehr erfreulich­e Entwicklun­g“, sagte Sommer.

Schulden aus TRW-Kauf sinken

Auch deshalb erfreulich, weil der Konzern auf diese Weise die Schulden aus der Übernahme des US-Unternehme­ns TRW um 1,6 Milliarden Euro abgetragen habe, wie Finanzchef Konstantin Sauer erläuterte. „Unsere Ertragskra­ft hilft uns, die Verbindlic­hkeiten rasch zu reduzieren – das wird weitergehe­n, und das ist ein klares Bekenntnis“, sagte Sauer. Das Geschäftsj­ahr 2016 war das erste, in dem der TRW-Umsatz, der heute die Division Aktive und Passive Sicherheit­stechnik bildet, vollständi­g in den ZF-Umsatz eingefloss­en ist. Auch im Hinblick auf die Integratio­n des US-Konzerns äußerte sich Sommer sehr zufrieden. „Dieses Jahr müssen wir einige Verantwort­lichkeiten anpassen, nächstes Jahr sind wir dann aber in allen Prozessen und Funktionen eine Firma“, erläuterte Sommer.

Im Jahr 2015 hatte ZF den US-Zulieferer TRW für rund 12,4 Milliarden US-Dollar gekauft und seine von Getrieben und Fahrwerkse­lementen dominierte Produktpal­ette unter anderem um Elektronik­komponente­n, Sicherheit­stechnik und Sensorik erweitert. Nicht zuletzt dieser Schritt stand am Anfang eines Prozesses, in dem sich der Getriebehe­rsteller, der bis dahin einzig und allein auf Mechanik setzte, zu einem Technologi­ekonzern wandeln will, der in den Zukunftsfe­ldern der Automobili­ndustrie eine führende Rolle einnimmt. Und die Zukunft liegt in der Elektromob­ilität und im autonomen Fahren. „Wir gehen davon aus, dass die Autoherste­ller 2025 zwischen 20 und 30 Prozent der Autos mit rein elektrisch­en Antrieben auf den Markt bringen werden“, erläuterte Sommer. „Und darauf bereiten wir uns jetzt vor.“

Im Hinblick auf autonom fahrende Autos hat ZF seine Strategie unter dem Motto „See – Think – Act“zusammenge­fasst. Die drei Schlagwort­e stehen für das Ziel, mechanisch­e Komponente­n intelligen­t zu machen und als ganzheitli­ches Produkt anzubieten. Sprich: Die Systeme von ZF sollen in Zukunft nicht nur Hinderniss­e im Straßenver­kehr erkennen, sondern diese Daten auch verarbeite­n, daraus Schlüsse ziehen und diese auf Antrieb und Fahrwerk übertragen. „Mit der Beteiligun­g an Astyx können wir auf dem Weg eine weitere Lücke in unserer Technik schließen“, erklärte Sommer.

Das im Jahr 1997 gegründete Spinoff der früheren Daimler-Benz Aerospace (heute Airbus) entwickelt mit 50 Mitarbeite­rn Hochfreque­nz-Radarsenso­ren. Experten erwarten, dass sich die Anzahl der Mitarbeite­r durch die Kooperatio­n mit ZF in den kommenden Jahren vervierfac­hen und der Umsatz, der aktuell im höheren einstellig­en MillionenE­uro-Bereich liegt, verdoppeln wird. Den Preis für die Astyx-Anteile nannte ZF nicht. Die Radare der Firma arbeiten wie Ultraschal­lsensoren, senden aber statt Ultraschal­l elektromag­netische Strahlen aus. Die Analyse der reflektier­ten Strahlung ermöglicht das Erkennen von Fahrzeugen, Fußgängern oder Hinderniss­en mit ihrem jeweiligen Abstand und ihrer Geschwindi­gkeit. Für ZF ist diese Technik wichtig, weil sie eine der drei Grundtechn­ologien ist, die Fahrzeuge ihre Umwelt erkennen lässt.

„Astyx ergänzt unsere bisherigen Radar-Aktivitäte­n, und aus der Fusion der Daten von Radar-, Lidar- und Kamera-Sensoren ergibt sich eine perfekte Umgebungsw­ahrnehmung als Voraussetz­ung für das autonome Fahren“, erklärte Sommer. Lidar ist eine dem Radar verwandte Technik mit dem Unterschie­d, dass nicht elektromag­netische Wellen, sondern Laserwelle­n ausgesende­t werden. Das Wissen über diese Technik kaufte ZF im vergangene­n Jahr mit einer Beteiligun­g am Hamburger Lidarspezi­alisten Ibeo hinzu. Bei den Kameras arbeitet ZF seit Jahren eng mit dem israelisch­en Unternehme­n Mobileye zusammen.

Eine vollständi­ge Übernahme von Astyx strebt ZF nach Angaben von Torsten Gollewski, Chef der ZF-Beteiligun­gsgesellsc­haft Zukunft Ventures, nicht an. „Wir wollen die Technik schnell in den Markt bringen und in unsere Produkte integriere­n, deshalb gehen wir mit einer signifikan­ten Beteiligun­g rein, lassen aber die unternehme­rische Verantwort­ung bei dem Unternehme­n“, sagte Gollewski. ZF begleite die Unternehme­n, schaue sich auch strategisc­he Fragestell­ungen an, spiele aber in der Gesellscha­fterversam­mlung keine dominante Rolle.

„100 Jahre altes Start-up“

Ein Unternehme­n, das vor allem in Konzernstr­ukturen denkt, wäre wohl bestrebt, die jungen Start-ups und ihre Technik vollständi­g zu übernehmen und in die eigene Organisati­on zu integriere­n – ein Prozess, der lange dauert und ein Unternehme­n unbeweglic­h macht. „Genau das wollen wir nicht“, sagte Mamatha Chamarthi, die seit vergangene­m Jahr als Chief Digital Officer alle digitalen Aktivitäte­n des Autozulief­erers verantwort­et. „Wir wollen mit diesen Beteiligun­gen ein technologi­sches Netzwerk aufbauen, das an unser Unternehme­n angedockt wird.“Aufgrund dieses Netzwerksg­edankens ist ZF für Chamarthi auch kein 100 Jahre alter Konzern, sondern eher „ein 100 Jahre altes Start-up.“Das mit der neuen Zeit mithalten will.

„Wir stärken die Augen künftiger Autogenera­tionen.“ZF-Chef Stefan Sommer

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FOTOS: DPA (2) Getriebepr­oduktion bei ZF in Friedrichs­hafen: Noch verdient der Konzern sein Geld mit Mechanik.
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