Gesichter, die Landschaften sind
Die Galerie Lände in Kressbronn zeigt „Menschenbilder“von Ursula Wentzlaff
- Ursula Wentzlaff (1938-2015) war für ihre Porträtkunst berühmt, die sich kleinformatig groß entfaltete. Ihr Beitrag zum zeitgenössischen Aquarell beruht darin, dass sie Traditionen der Moderne fortführte und neu kombinierte. Im Vordergrund ihrer Kunst steht dabei nicht die Abbildung der Wirklichkeit, sondern ihre gefühlten Sinneseindrücke. Die Galerie Lände in Kressbronn zeigt derzeit rund 80 Blätter von Wentzlaff zum Thema „Menschenbilder“. Anlass für die Gedächtnisausstellung ist der Geburtstag der Künstlerin. Sie wäre dieses Jahr 80 geworden. Bis zu ihrem Tod hatte sie in ihrem „Blechhaus“in Kressbronn gelebt und gearbeitet.
Wentzlaff hatte eine Vorliebe für schräge Typen. Die Männer und Frauen, die sie auf ihren Reisen kennenlernte und im Bild festgehalten hat, sind meistens alles andere als schön. Sie haben dicke Lippen oder eine Knollennase, ein spitzes Kinn oder Glubschaugen, einen gigantischen Busen oder gar riesige Hände. Mit verschmitztem Eigensinn schuf die Künstlerin Porträts voller Fantasie und Ironie - und zwar bevorzugt in leuchtenden Aquarellfarben.
Hinter die Dinge sehen
Dabei sah sie Dinge, die andere nicht sahen. Bisweilen erinnert ihr Humor an Romane Holderried Kaesdorf, auch was die Titel betrifft. Da malt sie ein bürgerliches Pärchen bei der bekleideten Sexualakrobatik und gibt ihm dem Titel „Mit dackelhaftem Gesicht“. Ein gewisser „Sepp“wiederum, der „früh ins Gras beißen musste“, wird mit Bissspuren gezeichnet – da hat wohl das Gras zurückgebissen. Dem Kerl mit dem „Platzhirsch-Komplex“wächst ein Geweih aus dem Kopf und dem „Josef, dem der Teufel aus den Augen schaut“setzt sie gar kleine Teufel in die Pupillen.
Immer wieder fügt Wentzlaff ihren Bildern aber auch kurze Texte hinzu, die in keinem erkennbaren Bezug zum Inhalt stehen. Hier darf der Betrachter seiner Fantasie freien Lauf lassen. Zugleich ist ihr Werk voller Zeitbezüge. Sie aquarelliert einen Junkie, der sich einen Schuss setzt, das Gesicht einer misshandelten Frau mit Hämatom oder eines hohlwangigen Kranken, der Blut spuckt.
All diese Blätter, die zwischen 1990 und 2004 entstanden sind, werden in Kressbronn im Erdgeschoss gezeigt. Während im Obergeschoss jene Aquarelle hängen, die in den letzten Lebensjahren der Künstlerin entstanden und bislang kaum bekannt sind. Ein Hirnschlag hatte Wentzlaff an den Rollstuhl gefesselt. Dennoch malt sie ungebrochen weiter. Ja, sie wagt sich sogar mit Aquarellfarben an das große Format. In Serie entstehen Gesichter von „Erdrandbewohnern“, die aus der Nähe betrachtet Landschaften sind. Erst aus der Distanz werden die Farbwolken zu Gespenstern und Hexen, zu Gnomen und Dämonen. Dabei schwelgt sie in gedämpften Grauund Blautönen. Nur gelegentlich blitzt ein Gelb oder Lila auf. Und das, obwohl Wentzlaff bis dato immer leuchtende Farben bevorzugte. Man wird das Gefühl nicht los, dass es sich hier um Seelenlandschaften handelt.