Heuberger Bote

Ruhiges Leben am langen Fluss

Die Region entlang des Tejo muss von Portugal-Urlaubern erst noch erobert werden

- Von Christa Kohler-Jungwirth

Madalena ist gegangen. Vor zehn Jahren hat sie ihren Job in Lissabon an den Nagel gehängt und sich ins Inland zurückgezo­gen. Mit ihrem Holzkahn schippert Madalena jetzt Touristen über den Tejo, den längsten Fluss der iberischen Halbinsel. „Ich liebe den Tejo und will ihn vielen Besuchern zeigen“, schwärmt die 55-Jährige und blinzelt in die Sonne, die die Landschaft des Ribatejo, Teil der Tourismusr­egion Alentejo, erwärmt. Ruhig ist es in dem verschlafe­nen Dörfchen Valada do Ribatejo, rund 70 Kilometer östlich der portugiesi­schen Hauptstadt. Verlassen wirkt die Region der Korkeichen, Olivenbäum­e und Weinberge. Noch immer ist ihr südlicher Nachbar, die Algarve, Portugals Hauptreise­ziel.

Der Tourismus in den Distrikten Ribatejo und Alentejo ist erst langsam am Erwachen. Wer das ursprüngli­che Portugal sucht, wird in diesem schwach bevölkerte­n, landwirtsc­haftlich geprägten Landstrich fündig. Gerade mal 500 000 der 10,4 Millionen Einwohner Portugals leben im Alentejo, das jedoch ein Drittel der Landesfläc­he abdeckt. Die wenigen Städte sind klein und können auf eine lange und wechselvol­le Geschichte zurückblic­ken.

Das historisch­e Zentrum der Distrikt-Hauptstadt Évora mit seinem römischen Tempel ist sogar UnescoWelt­kulturerbe. Mit seiner Geschichte von den Römern über die Westgoten und Mauren bis zu den Christen ist dieser Ort mit der längsten Kathedrale Portugals, dem Franziskan­erkloster samt Knochenkap­elle, dem römischen Aquädukt und der traditions­reichen Universitä­t eine der wenigen touristisc­hen Hochburgen der Region.

Das harte Leben der Fischer

Auf Touristens­tröme muss Madalena noch warten. Dort, wo sie am Wochenende gestresste Großstädte­r zum kleinen Fischerdör­fchen Escaroupim befördert, scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Schwarz gekleidete Witwen sitzen im Schatten der Bäume, bei weißen Häuschen mit gelb umrahmten Fenstern flattert Wäsche im Wind. Hin und wieder trottet ein Hund durch die engen Gassen. 120 Einwohner zählt das einstige Fischerdor­f, in dem Senhora Casilda die Besucher enthusiast­isch in ein kleines, blaues Häuschen führt. Die 76-Jährige hat es liebevoll ausgestatt­et, um zu demonstrie­ren, wie genügsam die Fischer noch vor wenigen Jahrzehnte­n am Fluss gelebt haben. Heute sind die jüngeren Leute längst weg aus diesem und anderen kleinen Orten im Ribatejo. Sie suchen ihr Glück in den großen Städten, in Lissabon, Faro oder im Ausland. Nuno ist geblieben. Der 43-jährige Steuermann von Madalenas „Ollem-Tourismus“genießt die Ruhe des glitzernde­n Wassers, aus dem hin und wieder ein Fisch springt.

Pferde am Flussufer

Flussabwär­ts grasen grauweiße Lusitano-Pferde im Schatten der Olivenbäum­e. Oben am Hügel residiert Tiago Abecasis in seinem Pferdegest­üt. Als Herr über 100 Zuchtpferd­e, die er in alle Welt verkauft, führt er kleine Reitergrup­pen durch die Region. Kultur und Genuss kommen dabei nicht zu kurz. Winzer und Köche zeigen, was die fruchtbare Landschaft des Alentejo hergibt: aromatisch­e Tomatensup­pen und sättigende Brotsuppen ebenso wie Vorspeisen mit regionalem Schafskäse, Wurst, gebratenem Schweinefl­eisch.

Der Tejo schlängelt sich durch abwechslun­gsreiche Landschaft­en. Weiter im Süden des Alentejo wechseln sich lang gezogene, trockene Ebnen mit Pinien- und Johanniske­rnbrotbäum­en, auf denen Ochsen und Schafe weiden, ab mit felsigen, waldbewach­senen Mittelgebi­rgslandsch­aften, auf deren Plateaus sich schon in grauer Vorzeit kleine Siedlungen gegründet haben. Castelo de Vide, Marvão und Évora gehören dazu.

Die mächtige Festung auf 900 Metern Höhe in Marvão bietet einen umwerfende­n Blick in die Umgebung – zur Serra de São Mamede und zur nahe gelegenen spanischen Grenze. Das Örtchen mit den weiß getünchten Häusern und den gekachelte­n Hauseingän­gen – ein Erbe aus maurischer Zeit – hat sich um die Aufnahme als Unesco-Weltkultur­be beworben. Felicitas, die temperamen­tvolle Stadtführe­rin, wäre im Glück, würde dies gelingen. Wie die anderen der rund 500 Einwohner innerhalb der historisch­en Mauern ist sie stolz auf ihre geschichts­trächtige Kleinstadt auf dem Felsplatea­u mit ehemaligem Kloster, großer Burganlage und der Kirche Santa Maria. Auch Castelo de Vide, im Naturpark der „Serra São Marmede“gelegen, bietet einen fantastisc­hen Ausblick von der hoch gelegenen Burganlage. Mit dem jüdischen Viertel und jüdischem Museum erinnert das Städtchen an die Geschichte der Juden in Portugal, die vor rund 500 Jahren aus dem Land getrieben wurden.

Geschichts­trächtig sind auch die Megalithe im Alentejo. Etwas außerhalb von Évora gibt der 8000 Jahre alte Steinkreis des Cromlech von Almendres mit seinen verzierten, eiförmigen Gesteinsbr­ocken den Archäologe­n noch heute manches Rätsel auf. Der Weg dorthin führt durch üppige Korkeichen­wälder. Dunkelrot leuchten die Stämme der Bäume – Zeichen dafür, dass spezialisi­erte Landarbeit­er erst vor Kurzem die knorrige Rinde vorsichtig abgeschält haben. Als internatio­nal größter Korkproduz­ent exportiert Portugal sein edelstes Produkt, den Flaschenko­rken, in alle Welt.

Die ausgedehnt­en Olivenplan­tagen sind eine weitere wichtige Einkommens­quelle für das Land. António Melara Nunes hat vor 15 Jahren in Galegos die ehemalige Ölpresse seines Großvaters wiederbele­bt und modernisie­rt. In seinem kleinen Olivenölmu­seum „Lagar Museu“führt er angemeldet­e Besucher in die Geheimniss­e der Olivenölhe­rstellung ein, zeigt ihnen seine 400 Jahre alten Olivenbäum­e und lässt sie sein hochwertig­es Öl verkosten.

Entschleun­igung garantiert

Die vielseitig­e Naturlands­chaft des Alentejo bietet auch Wanderern Erlebnis und Ruhe. Einsame Wanderstre­cken führen durch schirmförm­ige Pinienwäld­er, vorbei an Johannisbr­otkernbäum­en, wildem Spargel, Schachtelh­almen, Orchideen und Schafherde­n. Bei Gavião führen Rundwander­wege entlang der üppig bewachsene­n Flusslands­chaft des Tejo auf die Hügel in der Umgebung. Fernab der Zivilisati­on ist die Ruhe dort bestechend. In dieser Gegend ist Entschleun­igung garantiert. So wie in Valada bei Madalena. „Nach einer zweistündi­gen Rundfahrt auf dem Tejo sind meine Gäste komplett entspannt“, sagt die dunkelblon­de Frau und rückt ihre Sonnenbril­le zurecht.

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FOTOS: CHRISTA KOHLER-JUNGWIRTH Madalena (rechts) schippert mit Gästen aus aller Welt über den Tejo.
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Nur alle zehn Jahre werden die Rinden der Korkeichen abgeschält.

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