Die Krise der Nr. 1
Wieder zu passiv, wieder kommt der Aufschlag nicht – Angelique Kerber scheitert an Venus Williams
(SID/dpa) - Angelique Kerber verließ mit hängendem Kopf den Centre Court im Crandon Park von Miami. Es war vielleicht ganz gut, dass die enttäuschte Kielerin gar nicht mehr mitbekam, mit welchen Worten Venus Williams ihren 7:5, 6:3-Sieg im Viertelfinale des Premier-Turniers feierte. „Es ist ein tolles Gefühl, besser als die Nummer 1 zu sein“, sagte die 36-jährige Amerikanerin, die selbst vor 15 Jahren lange an der Spitze thronte. Und die Menge tobte.
Die topgesetzte Kerber fand später in den Katakomben durchaus simple Erklärungen für ihr Ausscheiden. „Ich habe viele leichte Fehler gemacht und nicht die Länge in meinen Schlägen gefunden, das hat den Sieg gekostet“, sagte die 29-Jährige, die nach dem verpassten Halbfinale dennoch recht aufgeräumt wirkte: „Diese Niederlage ist kein Drama, denn ich spiele allgemein ganz gut und gewinne Matches.“
Kerber weiß, der Weg zurück zu alter Form ist ein steiniger, der von Rückschlägen gepflastert ist. Der Blick auf die nackten Zahlen veranlasste die Journalisten im Presseraum, noch ein wenig nachzubohren. In dieser Saison wartet die zweimalige Grand-Slam-Gewinnerin Kerber noch immer auf einen Sieg gegen eine Gegnerin aus den Top 20 (vier Niederlagen). Gegen Kontrahentinnen aus den Top 50 hat sie 2017 sieben von neun Duellen verloren.
„Natürlich läuft es noch nicht so, wie ich es mir wünsche. Aber ich versuche, aus jedem Match zu lernen. Und ich weiß auch, dass es da noch einiges zu verbessern gibt“, meinte die Linkshänderin selbstkritisch. Kerber nannte explizit ihren Aufschlag – gegen die aggressive Williams wurde sie gleich fünfmal gebreakt – und ihre Spielweise, die im Vergleich zu 2016 noch zu passiv wirkt.
Chris Evert wies in den Tagen von Florida auch auf die mentale Komponente hin. „Ich denke, es spielt sich alles in ihrem Kopf ab. Daran muss Angie arbeiten“, forderte die US-Ikone, die nach eigener Aussage ein KerberFan ist. Evert prognostizierte aber auch, dass es eine „große Herausforderung“ für die Kielerin werde, die Topposition mittelfristig zu halten. „Um das zu schaffen, muss sie wieder zu ihrem furchtlosen Spiel zurückfinden, das sie 2016 so stark gemacht hat“, meinte die 62-Jährige.
Furchtlos ist Kerber („An die Nummer-1-Position denke ich gar nicht“) immer dann, wenn sie nichts mehr zu verlieren hat. Vier Matchbälle wehrte sie zunächst gegen Williams ab – drei davon mit krachenden Vorhand-Winnern. Nach 1:39 Stunden aber entschied Williams, die im Halbfinale auf die Britin Johanna Konta trifft und zuletzt 2001 in Key Biscayne triumphiert hatte, die Partie für sich.
Für Kerber blieb der erhoffte Durchbruch bei den Sunshine-Events in Indian Wells (Achtelfinale) und Miami (Viertelfinale) aus. Nächste Woche startet die Olympia-Zweite noch beim Hartplatzturnier in Monterrey, ehe sie in heimischen Gefilden die Sandplatzsaison einleitet.
Der Druck wird nicht geringer. Beim Relegationsspiel um den Klassenerhalt am 22./23. April in Stuttgart gegen die Ukraine ist Kerber die große, einzige Hoffnungsträgerin des deutschen Fed-Cup-Teams. In der Woche danach geht sie an gleicher Stelle als Titelverteidigerin beim WTA-Turnier an den Start. „Ich freue mich auf die Herausforderungen“, sagte Kerber – und zog von dannen.